MUTTER GOTTES VOM ZEICHEN – PLATYTERA

Ikonen-Interpretationen-Mutter Gottes vom Zeichen (c) Vera Klimentyeva
Ikonen-Interpretationen-Mutter Gottes vom Zeichen
Datum:
Mi. 30. März 2022
Von:
Propst Tobias Schäfer, Worms

Stellen Sie sich vor, Sie würden einer Frau, die sie verehren, das Kompliment machen: „Dein Leib ist umfangreicher als der Himmel“. Heutzutage käme das wohl nicht sehr gut an. Genauso aber besingt die Basilius-Anaphora, ein frühchristliches Hochgebet, ein Lobpreisgesang, die Gottesmutter:

Deinen Leib gestaltete er umfangreicher, weiter als den Himmel!“ Und von diesem Ausruf erhielt das heutige Ikonenmotiv seinen griechischen Namen: „Platytera“ – die Weite. Diese Ikone zeigt die Gottesmutter in der Haltung der Orante, mit im Gebet zum Himmel erhobenen Händen, fürbittend für die ganze, weite Welt.

Vor Ihrem Leib ist ein Medaillon, in dem vor einem blau-grünen Sternenhimmel, mit goldenem Heiligenschein ebenso wie die Gottesmutter selbst, ein segnender Christus zu sehen ist: bekleidet mit festlichem Gewand, kein Baby mehr, ein junger Mann schon, mindestens ein Knabe. „Mutter Gottes vom Zeichen“ – so heißt diese Ikone auch, denn sie greift in ihrer Darstellung die uralte Jesaja-Verheißung auf, die wir gerade als Lesung gehört haben: „Darum wird der Herr dir ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel – Gott mit uns – geben“ (Jes 7,14)

Die Ikone stellt uns das Zeichen vor Augen, das Gott dem zitternden König Ahas gab, das Gott der an Gottes Macht und Stärke zweifelnden Menschheit gibt. Dieses Zeichen ist die Jungfrau, in deren Leib der Immanuel, der Gott-mit-uns heranwächst. Es ist ein zutiefst adventliches Motiv: in aussichtsloser Situation, in verzweifelter Lage kommt Gott selbst zu den Menschen, schenkt Hoffnung und Heil. Ja mehr noch: er ist selbst das Heil, das in die Welt kommt, der „Gott mit uns“.

Es ist ein jämmerlich ängstlicher, zitternder König Ahas, zu dem Gott seinen Propheten schickt. Aber er hat auch allen Grund. Das kleine Volk Juda wird bedroht von mächtigen Feinden, ist umzingelt von Großreichen, die es überrennen und einverleiben wollen. Mächtige Heere stehen an der Grenze. Der König versucht seinen Kopf durch eine waghalsige Bündnispolitik aus der Schlinge zu ziehen, sucht seine Sicherheit in Bündnissen mit anderen Großmächten. Gott aber verlangt Vertrauen allein in seine Macht: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!“ Die hilflosen politischen und diplomatischen Ränkespiele des Königs sind in den Augen Gottes nichts als mangelndes Vertrauen in Gottes Macht.

In einem schwachen, unscheinbaren Kind zeigt Gott seine Macht, in dem Immanuel, den die Jungfrau in die Welt bringt. Ein Zeichen, vor dem Himmel und Erde erzittern.

In der starken Reduktion beschreibt die Künstlerin unserer Ausstellung diese Botschaft auf ihre Weise. Vor dunkelblauem Hintergrund – in dem man vielleicht den Himmel, das All, das Universum sehen kann, vielleicht auch die Urtiefen des Wassers, in die die ganze Welt zu versinken droht, leuchten zwei Kreise auf. Ein vielfarbiger: außen ganz weiß, dann ein helles grünblau, ein etwas dunkleres grün und aufsteigend aus diesen Kreisen ein goldener Heiligenschein. Darüber, wie die Sonnenscheibe am dunkeln Firmament, ein großer goldener Heiligenschein: der der Gottesmutter, der Jungfrau, die zum Hoffnungszeichen wird. Das eigentliche Zeichen aber ist der Christus, der aus dem gleisenden göttlichen Licht, dem Weiß, hinabsteigt in die Dunkelheit der Welt. „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kommt in die Welt“ (Joh 1, 9), heißt es im Weihnachtsevangelium – und wohin er kommt, wird die Dunkelheit aufgebrochen, vertrieben. „Das Licht leuchtet in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh 1,5). Es ist die Erfahrung der Osternacht, wenn das zaghafte österliche Licht, das für Christus steht, sich im ganzen Raum verteilt. Daran muss ich denken, wenn ich diesen nach innen dunkler werdenden Lichtkreis sehe, aus dem, wie die Sonne, der Heiligenschein aufsteigt, wie die Sonne, die jeden Morgen neu über dem Horizont aufgeht. Er kommt in die Welt, als unsere Hoffnung, unsere Kraft. Als das Zeichen, in dem uns Gott seinen Gegenwart zusagt, in aller Dunkelheit.

Diese Ikone hat eine Geschichte, die gerade angesichts des Krieges in der Ukraine eine ganz eigene Aktualität hat. Das ursprünglich in Byzanz – Konstantinopel verehrte Motiv der Mutter Gottes vom Zeichen kommt im 12. Jahrhundert durch Missionare nach Russland. Eine uralte Ikone aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, also genau aus der Zeit, als hier der Westchor des Domes entstand, kam so nach Nowgorod, wo sie noch heute in der Sophienkathedrale aufbewahrt und verehrt wird. Als im Jahr 1170 die Stadt Nowgorod von den Truppen eines feindlichen Großfürsten belagert wurde, so erzählt es die Überlieferung, betete der Bischof drei Tage lang vor dem Bild der Gottesmutter, bis er schließlich durch eine Stimme vom Himmel die Aufforderung erhielt, die Ikone der Gottesmutter vom Zeichen auf die Stadtmauer der belagerten Stadt zu tragen und den feindlichen Truppen entgegen zu halten. Ein Pfeilhagel war die Antwort. Einer der Pfeile traf das Bild, und die Gottesmutter begann zu weinen. Ein Wunder, ein Zeichen, das die Feinde, selbst Christen und Verehrer der Mutter Gottes, schließlich in die Flucht trieb.

Das Zeichen, das Gott dem Ahas gibt, um nicht in Krieg und Waffen sein Heil zu suchen; das Zeichen, das der von feindlichen Truppen überfallenen russischen Stadt Nowgorod einst Hoffnung und Frieden brachte: Vielleicht dürfen wir, mit dem der Heiligen Vater Papst Franziskus, der in der vergangen die Menschen in Russland und der Ukraine der Gottesmutter flehentlich ans Herz legte, heute gemeinsam die Mutter Gottes vom Zeichen anflehen um Frieden. Und vertrauen, dass uns Gott in ihr ein machtvolles Zeichen der Hoffnung und des Friedens geschenkt hat.