Schmuckband Kreuzgang

Kolumne zur Bibel von Timm Schreiner

Missverständnisse über das Alte Testament:

Tempelkult und Opferpraxis

Vor wenigen Tagen haben wir das Fest gefeiert, welches sich ganz besonders der Eucharistie widmet: Fronleichnam. In der dritten Strophe des beliebten Sakramentsliedes „Deinem Heiland, deinem Lehrer“ (GL 898) heißt es:

Wie der Herr uns aufgetragen, weihen wir, Gott Dank zu sagen, nun zum Opfer Wein und Brot.

Der Begriff „Opfer“ taucht nicht nur hier auf, sondern gleichfalls gelegentlich bei den Gebeten in der Hl. Messe. Viele rümpfen dabei die Nase, erinnert sie dieser Begriff doch an ein antikes Religionsverständnis, bei dem ein oder mehrere Götter mit Tributgaben gnädig gestimmt werden sollten. Dass wir immer noch über eine solche Terminologie verfügen, wird von einigen Gläubigen als unpassend empfunden. Entsprechende Erwähnungen werden daher entweder höflich überhört oder gleich ganz gemieden.

Auch das Alte Testament kennt eine detaillierte Opferpraxis, welche besonders in den Büchern Exodus und Levitikus geregelt ist. Diese Liturgie hatte bis 70 n.Chr. Bestand, als die Römer den Jerusalemer Tempel zerstörten und dem Kult seinen Platz nahmen. Besonders in christlichen Kreisen meint man häufig, dass dieser israelitische Gottesdienst nichts mit uns zu tun habe und derartige Bestandteile des Alten Testaments nur von geringem Interesse seien.

Dieser kleine Beitrag möchte versuchen Sie durch drei Beobachtungen vom Gegenteil zu überzeugen und zeigen was „Opfer“ im Alten Testament wirklich bedeutet.

 

Beobachtung 1:
Prophetische Kultkritik lehnt die Opfernden ab, nicht den Kult!

Wer sich an „Opfern“ stört, der sieht sich sogar schon in der Bibel bestätigt. Betrachtet man die Gottesdienstkritik der Propheten, dann scheinen diese Texte nahezulegen, dass der Kult in der Bibel selbst schon verworfen wird, so als habe Gott irgendwann die Opfer verboten, welche ihm das Volk fälschlicherweise meinte darbringen zu müssen. Grundsätzlich ist zu fragen, ob das Alte Testament tatsächlich solche Aussagen macht oder nicht. Ich persönlich bezweifle es, gewinnt man doch einen anderen Eindruck, wenn man genauer in die Texte schaut. Nehmen wir zum Beispiel Amos 5,21-22 als klassisches Beispiel:

21 Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen.

22 Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an euren Gaben und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen.

Auf den ersten Blick scheint die Sachlage klar: Gott lehnt den Kult und die Opfergaben ab. Machen wir uns jedoch die Mühe und lesen weiter, dann erfahren wir schon direkt im nächsten Vers:

23 Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören

Deutet man diesen Vers wie seine Vorgänger, dann müssten jetzt jedem Kirchenmusiker die Ohren klingeln. Wer in den Versen 21 und 22 die Opferpraxis abgelehnt sieht, der müsste konsequenterweise auch jegliche Musik im Gottesdienst als biblisch verworfen sehen. Das ist in Vers 23 sicher nicht gemeint! Sollten wir daher nicht die klassische Deutung der Verse 21 und 22 hinterfragen?

Gerade der Prophet Amos ist ein großer Kritiker der ungerechten Zustände im Staat und der Unterdrückung der unteren Klassen. Er kritisiert, dass die Mächtigen in Politik und Religion erst Wehrlose ausbeuten und danach zu dem Tempel ziehen, um Liturgie zu feiern.

Gerade diese Kombination ist es, die Gottes Abscheu hervorruft. Nicht nur Amos ist so zu verstehen, jegliche Kultkritik in prophetischen Büchern des Alten Testaments zielt in diese Richtung.

Anschaulich ist dieser Umstand auch im Buch Jesaja beschrieben. In 1,10-14 lehnt der Herr entschieden ihre Gottesdienste ab. Ab Vers 15 sagt er dann:

„Wenn ihr eure Hände ausbreitet, verhülle ich meine Augen vor euch. Wenn ihr auch noch so viel betet, ich höre es nicht. Eure Hände sind voller Blut.“

Darin besteht der entscheidende Punkt! Mit blutigen Händen muss man nicht meinen, dass das Gebet oder das Opfer Gottes Zuspruch finden könnte.

Vor aller Glaubensfeier muss zumindest eine ganz grundsätzliche Bereitschaft zu einem moralisch angemessenen Leben stehen. Die Kritik der Propheten ist deshalb keine Kritik an den Opfern, sondern an den Opfernden. Der Fokus der Ablehnung bei Amos 5,21-23 und Jes 1,10-15 liegt nicht auf den „Brandopfern“, sondern auf    „eure“!

Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass es bei Jesaja in einer Beschreibung einer idealen Zukunft ganz selbstverständlich heißt (Jes 60,7):

„Sie [Schafe und Widder] steigen zum Wohlgefallen auf meinen Altar; so verherrliche ich das Haus meiner Herrlichkeit.“

Wenn das Unrecht getilgt ist, dann werden in Zukunft natürlich Opfer willkommen sein. Warum auch nicht? Der Kult ist nach biblischer Darstellung keine menschliche Erfindung, um Gott gnädig zu stimmen. Gott selber ist der Stifter des Kultes mit allen seinen Vorschriften (Ex 25 bis Lev).

Von einer biblischen Verwerfung der Tempelliturgie kann also keinesfalls die Rede sein.

 

Beobachtung 2:
Das Opfer ist als stilisierte Mahlzeit vor allem ein Kommunikationsgeschehen!

Wer den Opfergottesdienst bewerten will, muss zunächst verstehen, welchen Sinn diese Liturgie überhaupt hat. Nach Auskunft der Bibel ist es ein großes Anliegen des Schöpfers, in Kontakt mit seinen Geschöpfen zu treten. Gleichzeitig verspürt der Mensch die Sehnsucht nach Gott. Nun besteht das Problem, dass kein Mensch Gott direkt schauen kann, ohne zu sterben (Ex 33,20: „Du kannst mein Angesicht nicht schauen; denn kein Mensch kann mich schauen und am Leben bleiben.“) Damit beide Seiten zusammenkommen können, bedarf es eines vermittelnden Mediums. Dieses richtet Gott nun selber ein, wobei er auf die menschliche Beschränktheit seiner Gläubigen Rücksicht nimmt.

Jetzt sind wir dem wahren Sinn der Liturgie schon sehr nahe. Es geht um ein geregeltes Begegnungsgeschehen zwischen Mensch und Gott.

Das sieht man auch an den verwendeten Materien: Fleisch (Schaf, Ziege, Rind), ungesäuertes Weizenbrot, Öl, Wein und Weihrauch. Das sind alles Bestandteile einer orientalischen (Königs-)Mahlzeit.

Die Liturgie des Tempels bildet ein Festessen ab, an dem sowohl Gott, als auch sein Volk teilnehmen. Der Altar ist dabei der Tisch, um den sich versammelt wird.

Das gemeinschaftsbildende und entscheidende Moment ist das gemeinsame Essen. Für die menschliche Seite isst der Priester und je nach Opfer Art, der Gläubige. Ebenso kennt der Tempelgottesdienst ein stilisiertes Essen Gottes. Der Altar ist nämlich nicht der Ort, an dem das Tier geschlachtet wird, sondern auf dem das schon geschlachtete Tier ganz oder teilweise verbrannt wird. Die verzehrenden Flammen sind dabei der Ausdruck der göttlichen Seite. Daneben hat das tatsächliche Essen des Priesters ebenfalls Anteile am göttlichen Beitrag der Tischgemeinschaft.

„Opfer“ im biblischen Kontext heißt nichts anderes als Kommunikation oder Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. Dabei ist das Essen der entscheidende Akt und nicht die Tötung eines Tieres. Die Schlachtung, welche vor allem nicht zu den priesterlichen Handlungen gehört (!), ist als Vorbereitung notwendig, aber nicht Teil des eigentlichen Opfergeschehens. Überhaupt sind die vegetarischen Opfergaben (Brot, Öl, Weihrauch, Wein) die höchsten Opfergaben, welche auch bei fleischhaltigen Opfern immer mit dazu dargebracht werden müssen und diese generell ersetzen können.

Andere Religionen haben ihre Kulte als Versorgungsleistungen für die Götter betrachtet. Aber das ist nicht das Verständnis des Alten Testaments. Die Bibel weiß von Anfang an, dass Gott keine Lieferung von Schafen, Brot oder Wein benötigt, deshalb hat der Tempelkult Israels seinen Sinn nicht darin, Gott mit Opfergaben zu überhäufen, sondern mit ihm in ein Kommunikationsgeschehen einzutreten.

Dass mit manchen Opferarten auch Sündenvergebung geschehen kann, passt in dieses Verständnis. Es ist das Angebot Gottes, der sagt: Wenn ihr umkehrt und euch ernsthaft wieder mit mir an einem Tisch zusammenfindet, dann geschieht dort ein Versöhnungsmahl, in welchem wir Verbindung feiern.

Eine dritte Beobachtung fehlt noch: Das Opferverständnis Israels gleicht unserem Eucharistie- bzw. Opferverständnis. In der nächsten Ausgabe des Haltepunktes möchte ich Ihnen zeigen, inwiefern unsere Liturgie vom Alten Testament geprägt ist.

 

Beobachtung 3:
Die katholische Liturgie als Erbe von Tempelkult und Opferpraxis

Im 11. Band seiner „Gesammelten Schriften“, welcher sich mit der Liturgie beschäftigt, äußert sich Papst Benedikt XVI. im Vorwort wie folgt:

„Ohne den Zusammenhang mit dem alttestamentlichen Erbe ist die christliche Liturgie schlechterdings nicht zu verstehen.“

Der Heilige Vater hat völlig Recht. Das Verständnis, die Art und Weise und zahlreiche Begleitumstände des Gottesdienstes, so wie er vor allem im Herzstück des Alten Testaments, der Tora, dargestellt ist, wirkte maßgeblich prägend auf unseren Gottesdienst. Man könnte sagen, dass durch Israel in der Liturgie der Weg abgesteckt ist, auf dem wir Christen weitergehen.

Im vergangenen Haltepunkt hatte ich erklärt, dass der Opfergottesdienst des Tempels ein von Gott sowohl selbst begründetes, als auch gewolltes (und niemals verworfenes) Kommunikationsgeschehen zwischen ihm und seinem Volk darstellt.

Die Gemeinschaft zwischen göttlicher und menschlicher Seite entsteht durch ein Zusammenkommen beider Parteien zu einer „Mahlzeit“, bei der die Materien Brot, Wein,  Öl, Weihrauch und Fleisch Verwendung finden.

Der Grundgedanke des Tempelgottesdienstes, nämlich dass das Essen beziehungsstiftend ist, ist identisch mit unserem Eucharistieverständnis, besteht doch der Höhepunkt in der persönlichen Begegnung mit Gott in dem Verzehren der konsekrierten Hostie, bzw. dem Trinken des konsekrierten Weines. Die christliche Eucharistiefeier ist in ihrer Grundgestalt auch nichts anderes als ein Mahl, bei dem zuerst der Tisch gedeckt wird, dann die Gaben bereitet werden, danach der Tischsegen gesprochen und anschließend gemeinsam gegessen wird.

Die Theologie der Tempelgottesdienste ist sicherlich ein wichtiger Bezugspunkt für das letzte Abendmahl Jesu und daraus resultierend für die Eucharistiefeier der Kirche. Es ist der Rahmen, welcher dem Israelit Jesus vertraut ist, welchen er übernimmt, aber natürlich auch mit eigenen Neuerungen anreichert.

Genauso wie der Grundgedanke deckungsgleich ist, so sind es auch die verwendeten Materialien. Es ist ja kein Zufall, dass bei der Hl. Messe Brot, Wein, Öl und Weihrauch eine Rolle spielen.

Einzig das Fleisch von Schafen, Ziegen oder Rindern findet bei uns keine Anwendung. Jedoch konnte auch im Tempelkult auf die tierischen Opfer verzichtet werden, allein die Gaben von Brot, Wein, Öl und Weihrauch waren immer vorgeschrieben. Das unblutige Opfer war auch in Israel das wertvollere, weil es die idealen Verhältnisse im Paradies abbildet, die sich dadurch auszeichnen, dass kein Geschöpf einem anderem das Leben nimmt.

Die vegetarischen Gaben haben wir Christen uns als Erbe zu Eigen gemacht. Wann und wie Brot und Wein in der Messfeier im Einsatz sind, dürfte offensichtlich sein.

Der Weihrauch wird von uns leider vielfach nur als feierlicher Zusatz an Sonntagen oder Hochfesten eingesetzt. Der aufsteigende Weihrauch soll die Kommunikation zwischen Gott und seinem Volk zeichenhaft darstellen, insofern gehört er in der Tempelliturgie stets dazu, da Kommunikation immer stattfindet. Die Kirchen des Ostens haben diesen Brauch besser bewahrt, indem bei ihnen der Weihrauch in jedem Gottesdienst im Einsatz ist.

Fortlaufend wird in unseren Kirchen Olivenöl dargebracht. Gleichwohl haben wir es gut versteckt, sodass dieser Umstand kaum bekannt ist. Des Rätsels Lösung ist das Ewige Licht, welches zwingend ein Öllicht sein muss und sich dadurch von unseren Kerzen aus Wachs unterscheidet. Das Ewige Licht ist ein Zeichen für den brennenden Dornbusch und damit für Gottes Anwesenheit und hat insofern seinen passenden Platz bei dem Tabernakel.

Um den Ruf der Liturgie des Tempels im alten Israel steht es unter uns Christen nicht zum Besten. Dazu besteht aber eigentlich kein Grund. Sicher, man muss sich die Mühe machen den alttestamentlichen Gottesdienst verstehen zu wollen. Beginnt man sein Wesen zu begreifen, dann wird aber schnell klar, dass der Tempel und sein Gottesdienst nichts mit in die Irre geführter menschlicher Frömmigkeit zu tun hat, sondern vielmehr ein Geschenk Gottes an sein Volk darstellt.

In der Hl. Messe feiern wir grundsätzlich nichts anderes und benutzen sogar die gleichen Materialien. Die katholische Liturgie ist, von ihrem Wesen bis hin zu ihrer Gestik, insgesamt absolut biblisch. Die Eucharistiefeier erklärt sich nicht nur von Jesu letztem Abendmahl, sondern vor allem auch aus dem Alten Testament.

Doch dabei endet nicht der Einfluss, den die alttestamentlichen Bücher auf liturgische Angelegenheiten und sogar auf das Interieur des Kirchenraumes haben.