Schmuckband Kreuzgang

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
War Jesus am Kreuz von Gott verlassen?

Grundlagen

Vater, Sohn, Hl.Geist eng (c) Pater Peter Knauer

Jesus wurde in die Welt gesandt um uns das Wort Gottes mitzuteilen. Es sagt uns zu, dass wir von Ewigkeit her in die Liebe Gottes zu Gott, nämlich in die Liebe des Vaters zum Sohn, die der Heilige Geist ist, hineingenommen sind. Sie ist eine Liebe, die nicht an der Welt ihr Maß hat. Diese Zusage gilt über den Tod hinaus in alle Ewigkeit. Sie ist unüberbietbar und enthält den vollständigen christlichen Glauben. Auf dieses Wort können wir selber nicht kommen. An der Welt ist nur ihre restlose Verwiesenheit auf Gott ablesbar (siehe schwarzer Bereich in der Graphik). Diese Verwiesenheit begrüpndet aber keine Gemeinschaft mit Gott. Unsere Geborgenheit in der Liebe Gottes muss uns im Wort Jesu zu dieser Welt dazugesagt werden (siehe roter Bereich in der Graphik).

Anspruch dieser Botschaft ist, uns durch die Zusage der Gemeinschaft mit Gott eine Gewissheit mitzuteilen, die stärker ist als unsere Angst um uns selbst. (vgl. Hebr 2,15) Diese Angst drückt sich aus, indem wir aus der Angst zu kurz zu kommen, andere übervorteilen, lügen, betrügen, ja sogar andere umbringen. Die christliche Botschaft möchte diese Angst entmachten und uns zur Menschlichkeit befreien. Diese Angst hat ihren Grund in unserer Todesverfallenheit und ist die Wurzel aller Unmenschlichkeit. Das heißt nicht, dass wir keine Angst mehr haben. Auch Jesus hat in Getsemani Angst gehabt. Der Glaube versetzt uns aber in die Lage, uns dieser Angst zu stellen und ihr nicht mehr das letzte Wort über unser eigenes Leben zuzugestehen. Nur Gott hat das letzte und endgültige Wort über den Menschen.

So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn für sie dahingab (Joh. 3,16).

Gott wollte, dass Jesus seiner Sendung treu bleibt, die Barmherzigkeit des Vaters zu verkünden. Jesus wurde wegen seiner Botschaft, die aus der Macht der Angst befreit, und weil er für sie Anhänger gefunden hatte, umgebracht. Gekreuzigt von denen die ihre Macht darauf aufbauten, anderen Menschen Angst zu machen. Sogar noch, indem sie Gott als Argument verwandten und so seinen Namen missbrauchten. Sie haben Jesus wegen seines anderen Gottesverständnisses der Gotteslästerung angeklagt (vgl. Mt. 26,65). So ist der Kreuzestod Jesu das Martyrium für seine Botschaft. (Vgl. 1 Tim 6,13; Offb. 1,5 und 3,14.)

Aufgrund der Liebe des Vaters ist Jesus bis in den Tod seiner Botschaft treu geblieben. Er vertraut diesem Wort Gottes mit aller Konsequenz.

Wie ist aber dann der Ausruf Jesu am Kreuz, dass er von Gott verlassen sei, zu verstehen?

 

Hierzu gibt es zwei interessante Auslegungen:

Auslegung 1:

Oft wird erklärt, dass Jesus angesichts seiner Kreuzigung in eine letzte Verzweiflung gerät, weil er sich von Gott verlassen sieht.

Der Psalm 22 fängt an mit den Worten „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“.
Aus christlicher Sicht, also vom Neuen Testament gesehen, handelt der Psalm aber von Passion und Auferstehung.

Passion
Psalm 22 Vers 1 - 22

Auferstehung
Psalm 22 Vers 23 – 32
Gemeinschaft, Heil, Errettung

1 Für den Chormeister. Nach der Weise Hinde der Morgenröte. Ein Psalm Davids.

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bleibst fern meiner Rettung, den Worten meines Schreiens?

3 Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort; und bei Nacht, doch ich finde keine Ruhe.

4 Aber du bist heilig, du thronst über dem Lobpreis Israels.

5 Dir haben unsere Väter vertraut, sie haben vertraut und du hast sie gerettet.

6 Zu dir riefen sie und wurden befreit, dir vertrauten sie und wurden nicht zuschanden.

Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott, vom Volk verachtet.

8 Alle, die mich sehen, verlachen mich, verziehen die Lippen, schütteln den Kopf:

9 Wälze die Last auf den HERRN! Er soll ihn befreien, er reiße ihn heraus, wenn er an ihm Gefallen hat!

10 Du bist es, der mich aus dem Schoß meiner Mutter zog, der mich anvertraut der Brust meiner Mutter.

11 Von Geburt an bin ich geworfen auf dich, vom Mutterleib an bist du mein Gott.

12 Sei mir nicht fern, denn die Not ist nahe und kein Helfer ist da!

13 Viele Stiere haben mich umgeben, Büffel von Baschan mich umringt.

14 Aufgesperrt haben sie gegen mich ihren Rachen, wie ein reißender, brüllender Löwe.

15 Hingeschüttet bin ich wie Wasser, gelöst haben sich all meine Glieder, mein Herz ist geworden wie Wachs, in meinen Eingeweiden zerflossen.

16 Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Scherbe, die Zunge klebt mir am Gaumen, du legst mich in den Staub des Todes.

17 Denn Hunde haben mich umlagert, eine Rotte von Bösen hat mich umkreist. Sie haben mir Hände und Füße durchbohrt.1

18 Ich kann all meine Knochen zählen; sie gaffen und starren mich an.

19 Sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand.

20 Du aber, HERR, halte dich nicht fern! Du, meine Stärke, eile mir zu Hilfe!

21 Entreiß mein Leben dem Schwert, aus der Gewalt der Hunde mein einziges Gut!

22 Rette mich vor dem Rachen des Löwen und vor den Hörnern der Büffel! - Du hast mir Antwort gegeben.

23 Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden, inmitten der Versammlung dich loben.

24 Die ihr den HERRN fürchtet, lobt ihn; all ihr Nachkommen Jakobs, rühmt ihn; erschauert vor ihm, all ihr Nachkommen Israels!

25 Denn er hat nicht verachtet, nicht verabscheut des Elenden Elend. Er hat sein Angesicht nicht verborgen vor ihm; er hat gehört, als er zu ihm schrie.

26 Von dir kommt mein Lobpreis in großer Versammlung, ich erfülle mein Gelübde vor denen, die ihn fürchten.

27 Die Armen sollen essen und sich sättigen; den HERRN sollen loben, die ihn suchen. Aufleben soll euer Herz für immer.

28 Alle Enden der Erde sollen daran denken/ und sich zum HERRN bekehren: Vor dir sollen sich niederwerfen alle Stämme der Nationen.

29 Denn dem HERRN gehört das Königtum; er herrscht über die Nationen.

30 Es aßen und warfen sich nieder alle Mächtigen der Erde. Alle, die in den Staub gesunken sind, sollen vor ihm sich beugen. Und wer sein Leben nicht bewahrt hat,

31 Nachkommen werden ihm dienen. Vom Herrn wird man dem Geschlecht erzählen, das kommen wird.

32 Seine Heilstat verkündet man einem Volk, das noch geboren wird: Ja, er hat es getan.

 

Wenn es sich bei dem „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ um den Beginn des Psalms 22 handelt, dann kann man natürlich nicht erwarten, dass Jesus am Kreuz den gesamten Psalm vorträgt. Aber der Psalm bleibt, wie viele Psalmen, nicht bei der ersten Hälfte stehen, sondern schlägt ab Vers 23 in das Gegenteil um, nämlich in das Vertrauen auf Gott.


Deshalb muss man den Bezug auf Psalm 22 so lesen, dass auch die zweite Hälfte des Psalms mitgemeint ist und Jesus in vollem Vertrauen auf das Wort Gottes stirbt. Er weiß dass wir durch unseren Glauben immer in der Gemeinschaft mit Gott sind, egal ob es uns gut oder schlecht geht und über den Tod hinaus in der Liebe Gottes sind.

 

Auslegung 2 von Pater Peter Knauer SJ:

Hierzu lesen wir im Markusevangelium 15,33-41:

Der Tod Jesu

33 Als die sechste Stunde kam, brach eine Finsternis über das ganze Land herein - bis zur neunten Stunde.

34 Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eloï, Eloï, lema sabachtani?, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

 

35 Einige von denen, die dabei standen und es hörten, sagten: Hört, er ruft nach Elija!

 

36 Einer lief hin, tauchte einen Schwamm in Essig, steckte ihn auf ein Rohr und gab Jesus zu trinken. Dabei sagte er: Lasst, wir wollen sehen, ob Elija kommt und ihn herabnimmt.

37 Jesus aber schrie mit lauter Stimme. Dann hauchte er den Geist aus.

38 Da riss der Vorhang im Tempel in zwei Teile von oben bis unten.

39 Als der Hauptmann, der Jesus gegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.

40 Auch einige Frauen sahen von weitem zu, darunter Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses, sowie Salome;

41 sie waren Jesus schon in Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient. Noch viele andere Frauen waren dabei, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren.

 

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Bei dem auf aramäisch so beginnenden Psalm 22 ist es schwierig zu verstehen, warum diese Worte von den umstehenden als Ruf nach Elija gedeutet wurde (Mk 15,35).
Dies wird nur von seiner hebräischen Fassung verständlich. Diese Fassung ist die Grundlage von Mt 27,46 :
46 Um die neunte Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eli, Eli, lema sabachtani?, das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Der Psalm 22 enthält in Vers 11 (siehe Tabelle) in seiner hebräischen Fassung das Wort (in Lautschrift)
[eli attá] = „mein Gott du“, oder „du bist mein Gott“. Dies hört sich an wie aramäisch [elija ta] = „Elija, komm!“.

(zum Vergleich 1 Kor 16,22:  22 Wer den Herrn nicht liebt, sei verflucht! Marána thá - Unser Herr, komm!)

Lukas schreibt in seinem Evangelium in 23,46:
46 Und Jesus rief mit lauter Stimme: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Mit diesen Worten hauchte er den Geist aus.
und zitiert damit den Psalm 31,6:
6 In deine Hand lege ich voll Vertrauen meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du Gott der Treue.

Auch dieser Psalm 31 enthält in Vers 15 das [eli attá]:
15 Ich aber, HERR, ich habe dir vertraut, ich habe gesagt: Mein Gott bist du.

Auch Psalm 63, dessen Beginn in Johannes 19,28 zitiert wird, enthält in Vers 2 das [eli attá]
Psalm 63:
2 Gott, du mein Gott, dich suche ich, /meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib / wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser.
Joh 19,28
28 Danach, da Jesus wusste, dass nun alles vollbracht war, sagte er, damit sich die Schrift erfüllte: Mich dürstet.

So war mit großer historischer Wahrscheinlichkeit, auch wegen der extremen Atemnot des Gekreuzigten, das bloße „Eli attá“ Jesu letzter Ruf. Er wird vom Evangelisten jeweils durch ein Zitat aus einem der wenigen Psalmen, in denen er vorkommt, ergänzt bzw. erläutert. Es handelt sich deshalb eher nicht um einen „Schrei der Verzweiflung“, wie man häufig zu meinen scheint, sondern um den Ausdruck letzten Vertrauens, eine Zusammenfassung des Glaubens.

 

zusammengestellt von Ludwig Witzenberger