Schmuckband Kreuzgang

Jesus gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister Mk 6,6b-13

  1. Sonntag im Jahreskreis 2021

Lesungen und Evangelium: 

Am 7,12-15; Ps 85; Eph 1,3-10;

Mk 6,6b-13

 

6b Und er zog durch die Dörfer ringsum und lehrte. 7 Und er ruft die Zwölf herbei und begann sie je zwei und zwei auszusenden und gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister. 8 Und er wies sie an, nichts auf den Weg mitzunehmen, nur einen Stab, kein Brot, keine Tasche, kein Kupfergeld in den Gürtel, 9 doch mit Sandalen beschuht! Und zieht nicht zwei Kleider an!“ 10 Und er sagte ihnen: „Wo immer ihr in ein Haus kommt, bleibt dort, bis ihr von dort weggeht! 11 Und welcher Ort euch nicht aufnimmt und wenn man euch nicht hört, von dort geht weg und schüttelt den Staub unter euren Füßen ab zum Zeugnis für sie!“ 12 Und sie zogen aus und verkündeten, dass sie sich bekehren sollen, 13 und warfen viele Dämonen hinaus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie.

 

Gedanken:

Jesus lehrte (V. 6b). Er ist Lehrer. Und er zieht umher mit seinen Jüngern, da er aber Lehrer ist, sind die Jünger eigentlich seine Schüler. Ich übersetzte den griechischen Begriff μαθητής (=mathätäs) mit „Schüler“. Die Jünger, die Apostel, sind also die, die bei Jesus in die „Lehre“ gehen. Jesus geht also zu den Menschen hin. Und genauso sollen es seine „Schüler“ auch zu zweit machen. Denn auch für Jesu „Schüler“, für uns, kommt der Glaube nicht aus uns selbst, wir haben uns ihn nicht ausgedacht, sondern vom Zuspruch der anderen.

Diese Lehre Jesu gibt die Vollmacht „unreine Geister“ auszutreiben: „Der Herr gab den „Schülern“ Vollmacht über die unreinen Geister.“ (V.7) Wer aber sind diese „unreinen Geister“? Und was machen sie mit den Menschen, dass man sie austreiben muss? Griechisch besser übersetzt heißt das Wort „ἐξέβαλλον“ (=ex-eballon) hinauswerfen, rausschmeißen. „Unrein“ meint hier nicht „schmutzig“, sondern nicht mit Gott und seiner Botschaft zu vereinbaren. In der Bibel werden diese „unreinen Geister“ auch „Dämonen“ genannt. Nun scheint es so als wüssten wir, durch irgendwelche Filme oder Horrorgeschichten vorgeprägt, was mit „unreinen Geistern“ gemeint ist: irgendwelche skurrile unsichtbare teuflische Wesen, die manchmal in Menschen hineinfahren und von ihnen Besitz ergreifen. Für uns heute ist diese Sicht der Dämonen kaum noch nachvollziehbar. Aber ist das wirklich mit den „unreinen Geistern“ gemeint?

Für die Menschen zur Zeit Jesu waren die Dämonen allerdings alltäglich. Die Menschen damals erlebten die Welt ganz anders als wir. Sie war ihnen voller Rätsel. Es gab so viel Unerklärliches. Was Elektrizität, was Atome, was Viren und Bakterien, was Gravitation, was Evolution, Klimawandel etc. ist, wusste man nicht. Obwohl es das alles gab, konnte man es nicht im Ansatz naturwissenschaftlich erklären. Aber erklären musste man es. Und so griff man auf mythologische Erzählungen zurück. Was nicht erklärbar war, das versuchte man mit irgendwelchen unsichtbaren Mächten zu erklären. So stand z. B. für die alten Griechen hinter allen Phänomenen eine Gottheit, und zwar entweder eine gute oder eine böse. Für die Menschen der Bibel kam so etwas nicht in Frage, weil sie ja nur den einen Gott verehrten. Aber so verschieden von den anderen waren sie auch nicht: sie stellten sich Engel und Dämonen vor, also gute oder böse geistige Geschöpfe, die entweder zu Gott gehörten oder gegen ihn standen. Hinter vielen bösen Erfahrungen vermuteten die Menschen dämonische Wesen, z. B. bei Unglücksfällen und unerklärlichen, vor allem psychischen Krankheiten. Sie hatten ständig Angst vor solchen Dämonen und erfuhren sich selbst als Spielball „teuflischer“ Mächte und Gewalten. Das Leben der einfachen Menschen, und das war die Mehrzahl, war damals sehr schwer. Armut, Elend, viele unbehandelte Krankheiten und Behinderungen, Kriege und Gewalt, politische Unruhen, Naturkatastrophen machten den meisten das Leben zur Qual. Das, was Jesus lehrt und verkündet, soll gegen diese „unreinen Geister“ Hilfe verschaffen. Seine Lehre soll diese „Quälgeister“ hinauswerfen und heilen.

Aber was sollen wir heute mit diesem Geisterglauben anfangen? Sind wir nicht aufgeklärt? Können wir nicht mit unseren naturwissenschaftlichen Mitteln die Welt erklären und sogar manches an Unheil aus der Welt schaffen? Wir haben die Welt entzaubert und glauben nicht an Gespenster und ähnlichen Zauber. (Zumindest der Großteil der Menschen in unseren Breiten.) Aber ist die Welt deshalb weniger Angst einflößend, weniger abgründig, weniger Unheil voll?

Gerade in diesen Tagen spüren wir: angst gibt es immer noch, Abgründe gibt es immer noch, Unheil gibt es immer noch. Alle Menschen holen sich in dieser Welt, früher oder später, den Tod. Und deshalb haben wir auch immer noch Angst, trotz aller unserer naturwissenschaftlichen Einsichten. Und unsicher sind wir oft auch. Denn der Boden, auf dem wir stehen, ist immer noch schwankend und das Leben zerbrechlich. In der Hand haben wir unser Schicksal nicht. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Und nicht selten erfahren auch wir uns wie Spielbälle von Mächten, die es nicht gut mit uns meinen: Drohende Kriege, Amokläufer, Selbstmordattentäter, Inflation, (Ebola-, Zicka-, … Corona-,) Viren, Finanzkrisen, Flüchtlingsströme, Hungersnöte, Unfälle, Terror, Naturgewalten, Umweltkatastrophen, Klimawandel … – ständig scheinen wir ausgeliefert zu sein an derartige todbringende Mächte und Gewalten. Die „Dämonen“ haben heute andere Namen und werden anders erklärt, aber Angst machen sie immer noch, angesichts ihrer Tod bringenden Macht. Auch ein romantisierendes Naturverständnis wirft diese „Dämonen“ nicht aus unserem Leben. Wasser beispielsweise ist, wie wir es in diesen Tagen erfahren nicht nur Leben spendend, sondern Not, Tod und Unheil bringend.

Das alles erzeugt Angst. Die Angst um uns selbst, die uns manchmal erschaudern lässt. Mit der Angst um unser Leben kommen wir bereits auf die Welt. Gegen sie scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Das liegt an unserer Verwundbarkeit. Wir sind zerbrechlich und fürchten um unser Leben. Doch wenn die Angst übermächtig wird, dann treibt sie uns zum Bösen, dann werden wir selbst Werkzeuge dieser Mächte und Gewalten: wir lügen aus Angst vor der Wahrheit, wir können aus lauter Angst gegen unser Gewissen handeln, um keine Nachteile zu haben. Ja, wir können uns sogar erpressen lassen, Werkzeuge der Unmenschlichkeit zu werden, zu mobben, zu denunzieren, zu verleumden, um selbst Vorteile davon zu haben. Die Angst bestimmt das Leben wie ein Dämon. Auch Diktaturen und Korruption sind Kettenreaktionen von Angst und Erpressung. Wir erleben sie wie höhere Gewalten, gegen die wir ohnmächtig sind. Sie haben uns in der Hand.

Aktuell erleben wir wohl den Coronavirus oder die jüngste Überflutungen durch Starkregen im Westen Deutschlands, wie eine solche Macht über unser Leben. Auch die Börsenkurse sind wie Mächte, die über uns walten: der Dollarkurs, die Konjunktur, der Dax, der Euro, die Zentralbank. Und auch Dinge, die wir anfangs als große Errungenschaft gefeiert haben wie die Kernspaltung, oder die Gentechnik können mit einem Mal ein teuflisches Gesicht zeigen. Machtlos, hilflos können wir uns angesichts solcher Mächte vorkommen. Und auch Besessenheit gibt es: Süchte aller Art, Banker und Immobilienbesitzer, die vom Geld besessen sind, Spekulanten, für die das Geld ihr Gott ist, Machthaber, die sich als Herren der Welt, als Götter oder Heilsbringer über ihr Volk aufspielen, weil Macht ihr Ein und Alles ist, korrupte Politiker, die für Macht und Geld ihre Seele und ihr Volk verkaufen. Auch wir selbst können von einem Anklammern an eine vergängliche Wirklichkeit, ganz und gar besessen sein. Und wenn wir Opfer solcher Mächte werden, dann sprechen wir von „höherer Gewalt“. Aber hinter alledem steckt die Angst: Angst um das eigene Fortkommen, Angst, zu wenig vom Leben abzukriegen, Angst, Nachteile zu erleiden, Angst, unbedeutend zu sein. Die Angst hört niemals auf. Wo sie mächtig wird, ist sie der eigentliche Motor des Bösen, der Teufel, der die Menschlichkeit verdirbt. Daran sehen wir, dass die Rede von den „unreinen Geistern“ durchaus einen Sitz auch in unserem Leben hat. Es ist die Ambivalenz des Lebens überhaupt.

Vielleicht verstehen wir, was es heißt, Macht zu haben über die unreinen Geister. Mit nichts anderem als allein Gottes Wort kann diese Macht über die unreinen Geister den Menschen zu Gehör gebracht werden. „Und er wies sie an, nichts auf den Weg mitzunehmen, nur einen Stab, kein Brot, keine Tasche, kein Kupfergeld in den Gürtel, doch mit Sandalen beschuht! Und zieht nicht zwei Kleider an!“ (V.8/9) Dort wo man das Wort Gottes hört und versteht, es also aufnimmt, da dreht es die „unreinen Geister“ damals und heute um. Es entmachtet selbst in der größten Not die Angst, die uns immer wieder unmenschlich werden lässt. Genauer gesagt: μετανοέω (μετανοῶσιν) (V. 12) es führt zum „Umdenken“. Wer das vollmächtige Wort Gottes nicht hören will, kann auch, ähnlich wie in Nazareth, kein Wunder erleben und nicht geheilt werden. Wo es aber gehört und aufgenommen wird, wirft es die Dämonen raus und „salbt“( ἀλείφω,v  =al-i'-fo) und „heilt“ (θεραπεύω,v =therapeuoo'-o) (V. 13).

Der Glaube ist stärker, ist mächtiger als die Angst. Und genau darum geht es. Jesus sendet seine „Schüler“ aus, diese Angst zu entmachten. Die Menschen sollen sich nicht als Spielball der Mächte und Gewalten erfahren, als Spielball der Finanzmärkte und der Banken, als Spielball der Politik, als Spielball der Naturgewalten, der Katastrophen, als Spielball ihrer Gene, als Opfer ihrer Erziehung. Das alles beraubt den Menschen seiner Würde. Vielmehr sollen die Menschen ihr Leben im Leben und im Sterben in Gottes Hand legen. Nur dann wird man Herr über die Angst. Wir sollen Vertrauen haben, dass Gott Herr ist auch über diese Gewalten. Denn Gott ist selbst nicht eine Macht neben anderen, sondern der Herr über sie. Und nur das führt selbst in der größten Not zu wahrer Mitmenschlichkeit und Hingabe für die Menschen.

Im Glauben hat Gott uns seinen guten Geist geschenkt, der stärker ist als alle Geister dieser Welt. Wie der Epheserbrief uns in der 2. Lesung (Eph 1,3-10) sagt, hat Gott „uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus“. Denn wer im Glauben Gemeinschaft mit Jesus hat, der hat auch Gemeinschaft mit Gott. Diese Gemeinschaft ist der Heilige Geist. Zu dieser Gemeinschaft mit sich hat Gott uns schon „erwählt vor der Erschaffung der Welt.“  Wir sind also schon von Anfang an nicht nur geschaffen und damit Spielball aller möglichen Mächte, sondern sind bereits „in Christus“ geschaffen und sind deshalb Kinder, d. h. „Töchter“ und „Söhne“ Gottes. Wer das zur Gewissheit seines Lebens macht, der ist schon nicht mehr versklavt an die Mächte. Der lässt sich von ihnen nicht mehr imponieren. Wenn ein Dietrich Bonhoeffer oder eine Sophie Scholl vor der imponierenden Macht der Nazis nicht in die Knie gingen, dann war bei ihnen Gottes Herrschaft wirklich angekommen. Das Vertrauen in Gott ist dann stärker als alle „Dämonen“. Nur so bewahren sie – auch im Tod – ihre Freiheit und ihre Identität.

Wir alle sind gerufen und dazu bestimmt, uns im Glauben als Kinder Gottes gewiss zu sein. Wer das tut, weiß sich auch gesandt, andere von der Macht der Dämonen zu befreien, wie die „Schüler“ Jesu und auch wie Amos in der 1. Lesung (Am 7,12-15): „Rede als Prophet zu meinem Volk Israel.“ Und wir sind wie seine „Schüler“ ausgesandt, heute die Menschen vom „Dämon“ der Angst zu befreien. Allein durch unseren Glauben, unser Gottvertrauen und unser gutes Wort. Mehr brauchen wir nicht mitzunehmen.