150 jähriges Jubiläum von St. Petrus Gau-Bischofsheim

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf im Pontifikalamt am 12.08.2018

Predigt Bischof Kohlgraf am 12. August (c) Bistum Mainz
Predigt Bischof Kohlgraf am 12. August
Datum:
So. 12. Aug. 2018
Von:
Bischof Kohlgraf
Der heilige Petrus in Ketten – so lautet bereits das erste Patrozinium der Kirche in Gau-Bischofsheim im ersten Jahrtausend. Damit ist eine enge Verbindung zu Rom ausgedrückt, wo es ebenfalls schon sehr früh dieses Kirchenpatrozinium gibt. Im Rahmen der Ministrantenwallfahrt haben einige Gruppen „San Pietro in vinculi“ besucht. Man sieht dort ein starkes Kettenglied, das mit dem Martyrium des heiligen Petrus in Rom unter Kaiser Nero in Verbindung gebracht wird.

Die Gau- Bischofsheimer haben dieses Bild vor Augen, wenn sie ihre Kirche feiern und sich damit als ein Teil der großen Geschichte der Kirche verstehen. Petrus in Ketten: das Bild hält den Augenblick fest, der im Johannesevangelium nach der Auferstehung Jesu stattfindet. Jesus fragt Petrus dreimal, ob er ihn liebhabe, und Petrus bekennt diese Liebe zu ihm. Jesus beauftragt ihn mit dem Hirtendienst: Weide meine Lämmer, weide meine Schafe (Joh 21,15-17). Daran schließt sich folgender Text an: „Amen, amen, das sage ich dir: Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. Das sagte Jesus, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen würde. Nach diesen Worten sagte er zu ihm: Folge mir nach!“ (VV. 18f.). Am Ende steht dieses Bild, das Petrus in der Nachfolge, ja in der Ähnlichkeit zu seinem geliebten Herrn zeigt. Er wird gebunden, in Ketten gelegt, und andere führen ihn zum Kreuz. Petrus ist in der Nachfolge Jesu einen langen und schweren Weg gegangen. Seine Nachfolge beginnt damit, dass er seine Netze und Boote liegen lässt und Jesus folgt. Aus einigen Szenen in den Evangelien kann man ahnen, welche Vorstellung Petrus wohl vom Messias hatte. Immer wieder spricht er vollmundig von seiner Nachfolge, und wir wissen, dass er manchmal mit der Rede sehr schnell war. Aber auch ein Mann der Tat. Bei der Festnahme Jesu zieht er das Schwert und schlägt dem Knecht das Ohr ab. Eine Realität, von der Jesus in vielen Stunden wohl oft gesprochen hat, kann er nicht akzeptieren: das Kreuz hat in seinem Denken keinen Raum. Und Jesus weist ihn deswegen erschreckend scharf zurecht. „Tritt hinter mich, du Satan“, muss sich der Apostel sagen lassen (Mt 16,23). Dein Platz ist hinter mir, und du wirst diesen Weg mitgehen, oder deine Nachfolge ist beendet. Ein hartes Wort Jesu, das nicht nur Petrus erschreckt haben dürfte. Wenn man das Kreuz ernst nimmt, dann ist es unangenehm. Ein Leben mit einem Glauben ohne Kreuz, ohne Leiden und Tod wäre so wunderbar. Ich möchte es an einem Beispiel konkretisieren. Wir im Wohlstand Europas erliegen der Versuchung des Petrus, und manchmal tun wir so, als gäbe es ein Recht auf ein Leben ohne Kreuz. Immer wieder debattieren wir z.B. über aktive Sterbehilfe durch Ärzte. Soll ein Arzt einem Sterbenskranken auf seinen eigenen Wunsch ein tödliches Medikament reichen dürfen, so dass einem Menschen ein langes, qualvolles Siechtum erspart bleibt. Wenn man den Reaktionen glaubt, dann bejaht eine Mehrheit der Menschen diese Möglichkeit? In einem Leserbrief in einer Zeitung schrieb ein Leser, sobald er bemerken würde, dass sein Verstand nachlässt und die Demenz kommt, würde er diesen Schritt gehen. Die Hilflosigkeit möchte er sich und anderen ersparen. Tatsächlich gibt es eine heftige Debatte darüber, und auch ich wüsste nicht, wie ich im Krankheitsfalle reagieren würde. Daher möchte ich gerne den erhobenen moralischen Zeigefinger vermeiden. Als Christ muss ich aber fragen: Gibt es ein Recht auf ein Leben ohne Kreuz, ohne Leid? Darf ich abspringen, sobald das Kreuz zu schwer für mich wird? Jesus gibt damals dem Petrus im Hinblick auf seine Person (und wohl für uns alle) eine deutliche Antwort. Gibt es ein Recht auf ein Leben ohne Kreuz? Ein Philosoph äußerte sich in den vergangenen Monaten, Eltern hätten eine Pflicht dazu, ein Kind mit Down-Syndrom abzutreiben, um der Gesellschaft und dem Kind selbst dies zu ersparen. Der Gesellschaft ist ein Mensch nicht zuzumuten, der einem bestimmten Begriff von Normalität nicht entspricht: Der Anblick des Leids eines anderen schränkt meine Lebensqualität ein, kostet Geld, muss daher vermieden werden.

Die Kirche als Gemeinschaft der Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu wird immer auch für die unangenehme und doch menschenfreundliche Botschaft eintreten, dass das Kreuz zum Leben gehören wird, dass Nachfolge auch das Kreuz als Zeichen der Hingabe beinhaltet. Petrus ahnt wohl, dass das für die konkrete Lebensgestaltung Folgen haben wird. Dass man sich in der Nachfolge Jesu dem Kreuz aussetzen muss und besonders die Menschen in die Mitte holen muss, die der Gesellschaft unangenehm sind. Und dass man am Ende möglicherweise das Schicksal des Meisters teilen muss, sich hinzugeben für das Heil und das Wohl anderer.

Petrus kommt nach Rom, so erzählt die Legende. In der Vorahnung, was ihm dort blühen wird, macht er sich auf den Weg aus der Stadt heraus. Er flieht. Auf dem Weg in die Sicherheit begegnet ihm der Auferstandene. Petrus fragt ihn: Quo vadis? Wohin gehst du, Herr? Jesus gibt zur Antwort: Ich gehe nach Rom, um mich neu kreuzigen zu lassen. Diese Quo vadis Kirche kann man heute besichtigen. Petrus möchte bis zuletzt weglaufen. Durch diese letzte Begegnung mit Christus begreift er erneut, was Nachfolge bedeuten kann, bis ins letzte dem Meister ähnlich zu werden. Schließlich landet er in Ketten und wird von anderen geführt, wohin er nicht will. Die Jüngerschaft war für Petrus ein langer, steiniger Weg, ein langer Lernprozess, dass Nachfolge nicht billig und ohne Konsequenzen zu haben ist.

Wir feiern 150 Jahre Kirche hier unter dem Patrozinium „Petrus in Ketten“. Es erinnert uns an einen Glauben mit Konsequenzen, mit Verbindlichkeit, einen Glauben als wirkliche Nachfolge: Kommt hinter mich, sagt Jesus. Ich meine, wir dürften als Kirche auch heute auf diese Verbindlichkeit hinweisen und zu einem bewussten Leben aus dem Glauben einladen. Dieser wird bei uns anders aussehen als bei Petrus. Aber nur aus Tradition und Gewohnheit zu glauben, geht heute weniger als zuvor. Petrus fragt unser Jesusbild an, das wir uns oft machen, von einem lieben Jesus, der nichts fordert, der niemandem etwas tut, aber auch niemandem mehr etwas zu sagen hat. Petrus steht für einen Glauben, der immer mehr lernt, so zu werden, wie der Meister gewesen ist. Ein Glaube mit einem unbändigen Vertrauen in den Vater, mit der Bereitschaft, Jesus auch durch das konkrete Tun nachzuahmen und so Zeuginnen und Zeugen seiner Auferstehung und seiner Liebe am Kreuz zu werden. 150 Jahre Kirche sind auch der Dank für 150 Jahre gelebten Glaubens hier am Ort. Lassen wir uns heute neu in dieser lebendige Geschichte hineinrufen.