Freude und Ernst der Heiligen Nacht

Predigt von Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz, zur Christmette 2017 im Mainzer Dom, 24.12.2017

Mainzer Dom im Lichterglanz (c) Bistum Mainz
Mainzer Dom im Lichterglanz
Datum:
So. 24. Dez. 2017
Von:
Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz, Generalvikar
Schwestern und Brüder, – es ist kein Zufall, dass wenige Tage vor dem Weihnachtsfest eine Umfrage des Allensbach-Instituts veröffentlicht und in der FAZ kommentiert wird mit der Überschrift „Der lange Abschied vom Christentum“. Es ist kein Zufall, dass in der WELT die Ergebnisse dieser Studie kommentiert werden mit der Überschrift „Christliche Entfremdung“.

Es ist kein Zufall, dass am Freitag vor Heiligabend im Handelsblatt ein zweiseitiger Report über die Finanzen der Kirche erscheint, ein Report auf Boulevard-Milieu, der noch nicht einmal den Mindeststandards einer Wirtschaftszeitung gerecht wird – dessen zentrale Botschaft aber ist: die Kirche sitzt auf ihrem Geld und geht nicht menschenfreundlich damit um.

Mich überrascht das nicht. Ich finde es auch nicht skandalös. Es gehört zu Weihnachten dazu und zeigt eine gewisse Verunsicherung. Kein anderes Fest im Laufe eines Kalenderjahres bewegt die Gemüter mehr wie unser Weihnachtsfest.

Es ist keine Frage: Dieses christlichste aller Feste ist heute zugleich das säkularisierteste Fest im Jahresverlauf. Andere christliche Feste werden gar nicht mehr oder kaum wahrgenommen von ihrem Festgehalt her (wer z.B. kann schon sagen, warum Fronleichnam Feiertag ist und was da gefeiert wird) – die meisten christlichen Feste werden eher wahrgenommen als Brückentage und als Möglichkeiten, die solche Tage für unsere Freizeitkultur bieten. Mit Weihnachten ist das etwas anderes. Weihnachten ist einerseits völlig säkularisiert und doch ist die Geschichte, dass ein Kind geboren wird und dieses Kind irgendetwas mit Gott „zu tun“ hat, immer noch und durchaus präsent.

Es ist auch keine Frage, dass die religiöse Bindungs- und Gestaltungskraft des Christentums in unserem kulturellen Milieu am Schwinden ist. Und doch schafft es dieses Fest, auch der säkularen Gesellschaft ein Gepräge zu geben und Menschen zu binden: Es müssen bestimmte Lieder sein, es müssen bestimmte, ganz genau festgelegte Abläufe sein – Neues und Veränderungen stören hier. Während von uns beständig erwartet wird, dass wir mit innovativer Kraft vorwärtsgehen und gestalten, kann man den Eindruck gewinnen: An Weihnachten muss alles sein – wie immer, bestenfalls leicht modifiziert, modernisiert: „LED-Leuchten statt die klassische Glühkerze“ – aber eben im Grunde wie immer. Es soll so sein wie immer – ja es darf so sein wie immer.

Und auch das ist keine Frage: Man hat zwölf Monate Zeit, Gutes zu tun, wohltätig zu sein, etwas zu teilen vom eigenen Überfluss, den man genießen darf. Aber kein anderes Fest entwickelt eine solche Dynamik im Blick auf die Spendenbereitschaft der Menschen wie Weihnachten. Jede Organisation weiß das, jede versucht, einen Teil von diesem Kuchen abzubekommen.

All das zeigt: Weihnachten lässt niemand gleichgültig. Das alles zeigt aber auch eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber Weihnachten. Weihnachten provoziert Verunsicherung: Was fangen wir an mit diesem Fest? Ob man will oder nicht, jeder erlebt doch den Spagat zwischen der äußeren Gestalt des Festes und der inhaltlichen Entfremdung.

Aber: Warum ist das so? Hat vielleicht gerade deshalb das Weihnachtsfest eine solche gestaltende Kraft, weil sich trotz aller Skepsis der religiösen Botschaft des Festes gegenüber eine Wahrheit zeigt? Eine Wahrheit dergestalt, dass die tiefsten Sehnsüchte des Menschen angesprochen werden und sich bei jedem von uns Ahnungen einstellen über die Fragen, die den Menschen im Letzten bewegen? Auch dann, wenn dieses Fest nicht mehr von einer „religiösen Grammatik“ (Magnus Striet)  bestimmt ist?

Ich bin dankbar, dass an Weihnachten so viele Menschen in die Kirchen, zu den Gottesdiensten gehen. Ich bin froh, dass Sie heute Abend den Weg hierher in den Dom gefunden haben: Denn was verbindet uns in diesem festlichen Gottesdienst? Bei aller Skepsis bei den einen, bei aller Überzeugung der anderen - gemeinsam lassen wir unsrerer religiösen Sehnsucht freien Lauf. Vielleicht unbestimmt – wie es die Studie von Allensbach nahelegt – vielleicht gar nicht genau wissend „Warum?“ Aber ich bin sicher: in einem guten Sinne „nervös“, weil uns das Herz unruhig ist.

Und diese Botschaft der Heiligen Nacht ist im Grunde ungeheuerlich: Es muss doch einen Grund haben, warum wir über Jesus vieles aus seinem Leben nicht kennen. Warum die Evangelien über die Kindheit und Jugendzeit und viele andere Details nichts zu erzählen wissen: der Predigt, dem öffentlichen Auftreten, dem Leiden und Sterben Jesu wird aber breiten Raum gegeben – und die Geburt des Kindes gehört dazu – diese Erzählung ist nämlich nicht rührseliger Mythos, es ist kunstvolle Theologie. Warum ist es so entscheidend, dass Gott im Gottmenschen ein Kind gewesen ist? Warum ist das genauso entscheidend wie die Bergpredigt und sein Leiden, Sterben und Auferstehen?

Dass Gott Mensch wird, dass Gott sich in einem Kind zeigt, das unterscheidet den christlichen Glauben von allen anderen Religionen. Weihnachten hält uns immer wieder dieses überraschende Gottesbild vor Augen: Gott ist nicht nur die allmächtige, namenlose Gewalt über dem Universum – das auch. Gott ist nicht nur Ursprung und Schöpfer von allem, was ist – das auch. Zu all diesen Gottesvorstellungen kommt für den christlichen Glauben etwas Entscheidendes hinzu: Gott ist in den Menschen so „verliebt“, dass er selbst diese Menschlichkeit mit allen Höhen und Tiefen durchlebt. Der Charme, mit dem Gott den Menschen umwirbt, ist mit der heiligen Nacht von Bethlehem durch nichts zu überbieten. Darum rührt uns Weihnachten so an, weil wir mit dieser Botschaft der Heiligen Nacht spüren, wie sehr wir als Menschen von Gott ernstgenommen sind. Papst Franziskus sagt: „Um im Glauben zu wachsen, sollten wir das Jesuskind öfter betrachten… Sein Lächeln ist ein Zeichen der Liebe, das uns die Gewissheit schenkt, geliebt zu sein.“ Deshalb darf die ganze Kultur rund um diese Heilige Nacht durchaus etwas Unbeschwert-kindliches, auch Emotional-gemüthaftes, ja auch etwas Spielerisches haben. Die Feier der Liturgie will in uns etwas in Bewegung bringen, will rühren an unsere religiöse Sehnsucht. Wir dürfen uns wirklich trauen, dieser Hoffnung und Sehnsucht freien Lauf zu lassen. Ohne diese innere Berührung, ohne dieses religiöse Empfinden, laufen wir schnell Gefahr den Glauben auf Ethik und Moral und auf seine soziale Relevanz in einer Gesellschaft zu reduzieren. Ich möchte Sie ermutigen: Trauen Sie ihrer religiösen Sehnsucht. Lassen Sie sie zu – wo der christliche Glaube nur Moral und Ethik, Ratio und soziale Pflicht ist, aber nicht die mystische Religiosität kennt, sich nicht von der Menschenfreundlichkeit Gottes anstecken lässt, da läuft der christliche Glaube Gefahr den Menschen zu überfordern ja sogar „unmenschlich“ zu werden. Vielleicht ist  das einer der Gründe, warum der Glaube in unsrer Gesellschaft an Relevanz verliert.

Wenn wir uns wirklich von der Menschenfreundlichkeit Gottes, die sich in diesem Kind von Bethlehem zeigt, anstecken und rühren lassen, dann werden wir auch dem „Ernst des Lebens“ nicht ausweichen. Aber eben nicht aus einer abstrakten ethischen Pflicht heraus. Sondern: Weil zu dieser Menschenfreundlichkeit Gottes, an die wir Christen glauben, auch der Respekt und die Achtung vor der Schwäche, den Grenzen, der Hilfsbedürftigkeit menschlichen Lebens gehört, gehen wir Christen hoffentlich mit den Schwächen und Grenzen und der Hilfsbedürftigkeit menschlichen Lebens anders um. Spirituelle Innerlichkeit und gesellschaftliche Verantwortung schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sind die zwei Seiten der einen Medallie.

Zur spirituellen, religiösen Freude über dieses Kind von Bethlehem gehört auch der Ernst und der Anspruch an uns als Christen, die dieses Kind meint: Dieses Kind gehört notwendigerweise in das Gottesbild des christlichen Glaubens hinein – es ist unverzichtbar. Dieses Kind und seine Eltern, ausgegrenzt auf den Feldern von Bethlehem, am Rande, in der Armseligkeit des Stalles, in der Dunkelheit der Nacht – es ist der notwendige Stachel im Fleisch gegen alle religiöse Überheblichkeit, gegen alles Streben nach falscher, verführerischer Macht, gegen alle Abwertung des Schwachen und Menschlichen.

Das Kind wird im Dunkel geboren und der Stern steht am Nachthimmel! Die Freude als Schwungkraft unserer Seele und der anspruchsvolle Ernst der Botschaft – beides gehört in diese Heilige Nacht. So hält Weihnachten die Anschlussfähigkeit des christlichen Glaubens an die Grundfragen auch des modernen und säkularen Menschen offen. Um Weihnachten ist mir nicht bange!