„Wort des Bischofs“ „Glaube und Leben“, 5. August 2018

Datum:
So. 5. Aug. 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

"Wenn es eine gute Zukunft geben soll, dann möchte ich dazu ermutigen, den Glauben, den Gottesdienst und das Gebet als Quelle des Friedens, der Menschenwürde und der Gemeinschaft neu zu entdecken."

In der Tageszeitung vom 25. Juli 2018 war die Meldung zu lesen, dass die Anziehungskraft radikaler Ideologien in unserer Gesellschaft und die Gewaltbereitschaft steigen. Religiös radikale und politisch extrem rechte oder linke Gruppierungen ziehen mehr Menschen an, ebenso steigt die Zahl der sogenannten „Reichsbürger“, die innerlich und äußerlich aus der Gesellschaft aussteigen und eine hohe Gewaltbereitschaft mitbringen. Solche Meldungen stimmen mich äußerst besorgt. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft, gemeinsame Werte, Respekt vor anderen Meinungen, politischen und religiösen Überzeugungen anderer ist für eine zunehmende Zahl von Menschen nicht mehr selbstverständlich. So wie nationale Tendenzen in Europa und weltweit wieder stärker werden, scheint auch das „Ich zuerst“ für nicht wenige Menschen die prägende Lebenshaltung zu werden. Tätliche Angriffe etwa auf jüdische Mitbürger bestimmen die Schlagzeilen der letzten Zeit. In Dresden jubeln Demonstranten über ertrinkende Menschen im Mittelmeer, und als von Flüchtlingen in Lebensgefahr geredet wird, schreien sie: „absaufen, absaufen“. Die Szene kann man sich im Internet anschauen. Es bleibt die Hoffnung, dass eine Mehrheit der Menschen sich von derartigen Verbrechen – so muss man ein solches Verhalten nennen – angewidert abwendet. Menschen verlassen den Boden des Grundgesetzes, für das die Würde eines jeden Menschen unantastbar bleibt. In unserer zunehmend säkularer werdenden Gesellschaft freuen sich manche über die abnehmende Bedeutung der Kirchen und des christlichen Glaubens. Sie halten das Christentum für Aberglauben und eine Quelle der Unfreiheit. Vor kurzem ist die kirchliche Statistik für Deutschland 2017 erschienen. Im Bistum Mainz gehen 8,8% der Katholiken in den Sonntagsgottesdienst, über 6000 Menschen sind aus der Kirche ausgetreten, aber Tausende lassen sich taufen, gehen zur Erstkommunion, zur Firmung und lassen sich trauen. 729.602 Menschen gehören im Bistum der katholischen Kirche an. Es ist nicht legitim, zwischen der schwächer werdenden Kirchen- und Religionsbindung und den Brüchen der Gesellschaft einen automatischen kausalen Zusammenhang zu konstruieren, aber die schwindende Glaubenspraxis hinterlässt eben auch keine Welt des Friedens und der Vernunft, wie manche naiv annehmen. Der christliche Glaube ist nun einmal die Quelle, aus der sich die Menschenwürde speist, die jeden Menschen als Ebenbild Gottes bekennt. Wer die Kirchen als mittelalterlich abtut und den christlichen Glauben auf die Müllhalde der Geschichte wünscht, muss dann schon zeigen, welcher Kitt die Gesellschaft zusammenhalten soll, wenn nicht der Glaube an einen Gott, dem wir Verantwortung schulden und dem anderen Menschen als seinem Geschöpf und Ebenbild. Eine gott-lose Gesellschaft findet derzeit diesen Kitt nicht. Wenden wir es positiv: jeden Sonntag gehen im Bistum Mainz ca. 64.000 Menschen in den Sonntagsgottesdienst. Über Demonstrationen mit 40 Leuten in der Mainzer Altstadt wird berichtet, diese 64.000 Treuen sind offenbar keiner Erwähnung wert. Ich bin überzeugt, dass diese Menschen das Potential haben, mit Gottes Hilfe „Salz der Erde“ zu sein. Statt über die Gesellschaft zu klagen, traut Gott uns zu, sie zu verändern. Wenn es eine gute Zukunft geben soll, dann möchte ich dazu ermutigen, den Glauben, den Gottesdienst und das Gebet als Quelle des Friedens, der Menschenwürde und der Gemeinschaft neu zu entdecken. Ich sehe jedenfalls keine Alternative am Horizont. Ich freue mich über alle, die der Kirche und dem Glauben die Treue halten.