Einfache Lösungen gibt es nicht

Einfache Lösungen gibt es nicht

18. Apr. 2025

Es sind Zahlen, die die Kirchen aufhorchen lassen. Inzwischen sind mehr Menschen in Deutschland ohne Konfession als Mitglied in einer Kirche. Wie reagieren die Kirchen darauf? Sven Herget hat darüber mit dem Mainzer Bischof Peter Kohlgraf gesprochen. Wie sehen Sie auf solche Zahlen?

 

Das Interview als Text lesen:

Das sind Zahlen, die die Kirchen aufhorchen lassen. Inzwischen sind mehr Menschen in Deutschland ohne Konfession als Mitglied in einer Kirche. Das geht aus Daten hervor, die die Forschungsgruppe Weltanschauung Deutschland zusammengetragen hat. Laut den Zahlen sind rund 39 Millionen Menschen ohne Religionszugehörigkeit und etwa 38 Millionen noch Mitglied in einer der beiden großen Kirchen. Wie reagieren die Kirchen darauf? Welche Rezepte haben sie? Wir haben darüber mit dem Mainzer Bischof Peter Kohlgraf gesprochen. 

Wie sehen Sie auf solche Zahlen?

Zunächst schon mit einer gewissen Ernüchterung, aber auch nüchtern, insofern es einfach die Realität wiedergibt. Wir leben in einer Gesellschaft, die zunehmend, wir sagen, säkular ist. Für viele Menschen stellt sich die Frage nach Gott nicht mehr. Wie die Zahlen wirklich sind, auch im Hinblick auf andere Religionen, da gibt es, glaube ich, gibt es keine so verlässlichen Zahlen. Aber viele Menschen sind säkular. Gott ist kein Thema für sie. Das nehme ich erst einmal zur Kenntnis.

Ich merke, was die Bindungskräfte an die Kirchen angeht – auch an andere Institutionen in dieser Gesellschaft –, dass die Fäden dünner werden. Ich darf ein Beispiel erzählen. Vor der Bundestagswahl gab es einen Streit darüber, inwieweit sich Kirche politisch äußern darf. Ich habe Briefe und E-Mails bekommen. Die einen sagen, weil sich die Kirche positioniert hat, treten wir aus. Die anderen sagen, weil sich die Kirche nicht deutlich genug positioniert hat, treten wir aus. Mittlerweile ist es so, dass viele, denen etwas nicht passt an der Kirche, und ich glaube auch an anderen Institutionen, sofort raus sind. Ich weiß nicht, ob das die beste Lösung ist. Verändern kann ich nur etwas, wenn ich dabeibleibe.

Trotzdem ist das unsere Realität und ich halte es nicht für nur schlecht, dass sich kirchliche Positionen heute auch in dieser Gesellschaft begründen müssen, dass ich ins Gespräch gehen muss mit anderen. Ich halte das nicht nur für schädlich.


Sie haben ja gerade gesagt, dass die Menschen doch immer sehr schnell reagieren. Wenn eine Meinung nicht passt, dann sind sie raus. Gibt es denn für die Kirche dann noch eine Möglichkeit anzudocken, ohne anzuecken?

Das macht mich auch ein Stückchen ratlos, weil ich glaube, dass wir eine gute Botschaft haben, nämlich die Botschaft des Lebens: Du bist geliebt. Du bist in diese Welt gestellt mit einer Verantwortung. Du bist Kind Gottes und andere Menschen auch. Da gilt es, Gemeinschaft zu gestalten.

Trotzdem meine ich, dass wir oft nicht die richtige Sprache finden. Aber auf der anderen Seite helfen wir natürlich auch nicht, wenn wir uns nur nach Bedarfen der Menschen richten, nach dem, was sie hören wollen. Das ist, glaube ich, immer eine Abwägung, inwieweit Kirche auch widerspenstig sein muss, gleichzeitig aber eine Sprache spricht, die einladend ist und Menschen zum Nachdenken bringt.


Sie haben die Sprache angesprochen. Was meinen Sie damit konkret, dass die Menschen die Sprache nicht mehr verstehen?

Gut, wenn viele Menschen die Gottesfrage schon nicht mehr stellen, dann reden wir wahrscheinlich oft mit Begriffen, die gar nicht mehr ankommen. Es gibt wahrscheinlich auch eine theologische oder innerkirchliche Fachsprache, will ich mal sagen, mit denen Menschen nichts mehr verbinden. Ich sage mal so Begriffe wie Gnade, wie Erlösung. Das sind Themen, die sind das Zentrum, die gehen ins Herz des Christentums. Aber was bedeutet das konkret für mein Leben? Wie kann ich das in mein Leben übersetzen? Das ist, glaube ich, die Aufgabe, die wir heute als Kirche haben, das gut zu kommunizieren und da Menschen mitzunehmen. Und das geht wahrscheinlich nur über persönliche Zeugnisse, die ich geben kann, die Menschen geben können. Was bedeutet mir das eigentlich?


Es gibt ja auch zahlreiche Initiativen und Projekte in den Bistümern, die genau das versuchen und auch Dinge mal ausprobieren. Müsste die Kirche da noch mutiger sein?

Ich glaube, diesen Mut muss man haben. Und da darf auch mal etwas schiefgehen. Es geht, glaube ich, nicht nur darum, Kirche zu retten. Das wäre die falsche Frage. Ich glaube, dass die wichtigere Frage ist: Wie kriegen wir die gute Botschaft kommuniziert? Wie kriegen wir Menschen mit Gott in Berührung, der uns liebt, der uns Leben gibt? Was das dann statistisch für Kirche bedeutet, das wird die Zeit erweisen. Es wird uns auch in tausend Jahren noch geben. Da bin ich ziemlich gelassen.


Sie haben aber kein Rezept, wo Sie sagen, das sollten wir mal ausprobieren.

Also wenn ich dieses Rezept hätte, wäre ich, glaube ich, nicht mehr ernst zu nehmen. Denn dieses eine Rezept gibt es nicht. Dafür ist die Welt zu kompliziert. Dafür sind die Menschen zu komplex. Dafür sind die Themen zu differenziert. Ich glaube, dann wären wir auf der Seite der Populisten. Das ist ja deren Konzept, dass es für komplizierte Fragen einfache Lösungen gibt und die gibt es in der Kirche auch nicht.


Was würden Sie sich denn in der Diskussion rund um die weniger werden Kirchenmitglieder wünschen? Was wäre da gut?

Ich weiß gar nicht, ob es meine Aufgabe ist, den Menschen Forderungen vorzulegen. Manchmal denke ich, auch bei den vielen, die jetzt aus den Kirchen austreten: Wollt ihr wirklich eine Gesellschaft, in der der Kirchturm aus der Stadt verschwunden ist? Und dann würde ich mir wünschen, dass wir im Gespräch bleiben.

In diesem Kontext taucht wiederholt die Frage und auch die Diskussion rund um die kirchlichen Feiertage auf, weil eben weniger Menschen Mitglied einer Kirche sind, ist die Frage, braucht es die Feiertage? Wie sehen Sie das?

In den ersten Jahrhunderten der Kirchen waren die großen christlichen Feiertage keine staatlichen Feiertage. Christinnen und Christen haben da gearbeitet. Aber natürlich ist es auch ein Gewinn für eine Gesellschaft, dass es Feiertage gibt, an denen der Mensch nicht nach Nutzen und Zweck bewertet wird, sondern wo er einfach seine Zeit genießen kann. Und für mich und ich denke für viele sind es auch Tage, an denen Menschen ihren Glauben feiern, ihren Glauben und Gemeinschaft leben. Das ist fürs Menschsein wahrscheinlich genauso wichtig wie ein gutes Arbeiten. Es wäre eine Geringschätzung dieser Seite des Menschseins, wenn das nicht mehr möglich wäre.