Über die „politische Liebe“

Bischof Peter Kohlgraf (c) Bistum Mainz
Bischof Peter Kohlgraf
Datum:
10. Dez. 2020
Von:
Bischof Peter Kohlgraf in Glaube und Leben

In seiner neuen Enzyklika „Fra­telli tutti – Über die Geschwister­lichkeit und die soziale Freund­schaft“ vom 3. Oktober 2020 ent­wirft Papst Franziskus die Vision einer Welt, die von einer univer­salen Freundschaft geprägt ist. In diesem umfangreichen Text fin­den sich auch wertschätzende und zugleich mahnende Worte an die politisch Verantwortlichen.

Politikerinnen und Politiker sind Beschimpfungen und Respektlosigkeiten ausgesetzt

Ausdrücklich ist im Neuen Testament der Auftrag formuliert, der legitimen staatlichen Obrig­keit den nötigen Respekt entge­gen zu bringen (zum Beispiel 1 Petrus 2, 11-17; Römer 13, 1- 17), ohne aber das eigene Gewis­sen stumm zu schalten.
An den schuldigen Respekt gegenüber denen, die in unserem Land Verantwortung tragen, will ich im Anschluss an Papst Fran­ziskus erinnern. Politikerinnen und Politiker, angefangen auf der kommunalen Ebene bis hin zu Mitgliedern der Bundesregie­rung sind – so zumindest die Wahrnehmung der jüngsten Ver­gangenheit – Beschimpfungen und Respektlosigkeiten ausge­setzt. Ich erinnere dabei an soge­nannte Querdenker-Demonstra­tionen, bei denen Menschen sich nicht schämen, unser Land mit grausamen Diktaturen gleichzu­setzen; ich erinnere an die Sze­nen im Bundestag, die zeigen, wie Politiker beschimpft und ver­bal angegriffen werden. Mancher und manche fürchtet tatsächlich um Leib und Leben.

Wir schulden den Verantwortlichen nicht nur Dank, Unterstützung oder konstruktive Kritik, sondern auch das Gebet

Ich erinnere mit großem Respekt an den Kasseler Regie­rungspräsidenten Walter Lübcke, der nicht zuletzt wegen seines Engagements für geflüchtete Men­schen Opfer eines Mordes wurde. Mich stimmt besorgt, dass auch katholische Gläubige absurden Verschwö­rungstheorien auf den Leim ge­hen und sich einer oft gewaltsamen Sprache gegenüber Politikerinnen und Politikern bedie­nen. Ein angemes­sener Ton ist auch denjenigen entge­gen zu bringen, de­ren politische Posi­tionen man nicht teilt. Die Corona- Pandemie hat den Ton verschärft, so ist meine Wahr­nehmung.
Es mag manchem seltsam an­muten, dass der Papst von der „politischen Liebe“ spricht (Fra­telli tutti 186). Er macht deutlich, was er meint: „Es gibt (…) eine „gebotene“ Liebe: Das sind jene Akte der Liebe, die dazu anspor­nen, bessere Institutionen zu schaffen, gerechtere Ordnungen, solidarischere Strukturen. (…) Es ist Liebe, einer leidenden Per­son nahe zu sein; aber auch all das ist Liebe, was man ohne di­rekten Kontakt mit dieser Person zur Veränderung der gesellschaft­lichen Bedingungen, die ihr Lei­den verursachen, tut. Während jemand einem älteren Menschen hilft, einen Fluss zu überqueren – und das ist wahre Liebe –, so erbaut der Politiker ihm eine Brü­cke, und auch dies ist Liebe. (…).“
Derzeit üben viele der Verant­wortlichen in diesem Sinne ihren Dienst aus, wenn sie das Mög­liche tun, um Leben zu schützen. Für Menschen, die sich zu Christus bekennen, sollte eine konstruktive Haltung selbstverständ­lich sein. Wir schulden den Ver­antwortlichen nicht nur Dank, Unterstützung oder konstruktive Kritik, sondern auch das Gebet. Dies sollten wir ihnen in diesen Tagen schenken.

Ihr Bischof Peter Kohlgraf

Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 13. Dezember 2020. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de