In seiner neuen Enzyklika „Fratelli tutti – Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft“ vom 3. Oktober 2020 entwirft Papst Franziskus die Vision einer Welt, die von einer universalen Freundschaft geprägt ist. In diesem umfangreichen Text finden sich auch wertschätzende und zugleich mahnende Worte an die politisch Verantwortlichen.
Ausdrücklich ist im Neuen Testament der Auftrag formuliert, der legitimen staatlichen Obrigkeit den nötigen Respekt entgegen zu bringen (zum Beispiel 1 Petrus 2, 11-17; Römer 13, 1- 17), ohne aber das eigene Gewissen stumm zu schalten.
An den schuldigen Respekt gegenüber denen, die in unserem Land Verantwortung tragen, will ich im Anschluss an Papst Franziskus erinnern. Politikerinnen und Politiker, angefangen auf der kommunalen Ebene bis hin zu Mitgliedern der Bundesregierung sind – so zumindest die Wahrnehmung der jüngsten Vergangenheit – Beschimpfungen und Respektlosigkeiten ausgesetzt. Ich erinnere dabei an sogenannte Querdenker-Demonstrationen, bei denen Menschen sich nicht schämen, unser Land mit grausamen Diktaturen gleichzusetzen; ich erinnere an die Szenen im Bundestag, die zeigen, wie Politiker beschimpft und verbal angegriffen werden. Mancher und manche fürchtet tatsächlich um Leib und Leben.
Ich erinnere mit großem Respekt an den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der nicht zuletzt wegen seines Engagements für geflüchtete Menschen Opfer eines Mordes wurde. Mich stimmt besorgt, dass auch katholische Gläubige absurden Verschwörungstheorien auf den Leim gehen und sich einer oft gewaltsamen Sprache gegenüber Politikerinnen und Politikern bedienen. Ein angemessener Ton ist auch denjenigen entgegen zu bringen, deren politische Positionen man nicht teilt. Die Corona- Pandemie hat den Ton verschärft, so ist meine Wahrnehmung.
Es mag manchem seltsam anmuten, dass der Papst von der „politischen Liebe“ spricht (Fratelli tutti 186). Er macht deutlich, was er meint: „Es gibt (…) eine „gebotene“ Liebe: Das sind jene Akte der Liebe, die dazu anspornen, bessere Institutionen zu schaffen, gerechtere Ordnungen, solidarischere Strukturen. (…) Es ist Liebe, einer leidenden Person nahe zu sein; aber auch all das ist Liebe, was man ohne direkten Kontakt mit dieser Person zur Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen, die ihr Leiden verursachen, tut. Während jemand einem älteren Menschen hilft, einen Fluss zu überqueren – und das ist wahre Liebe –, so erbaut der Politiker ihm eine Brücke, und auch dies ist Liebe. (…).“
Derzeit üben viele der Verantwortlichen in diesem Sinne ihren Dienst aus, wenn sie das Mögliche tun, um Leben zu schützen. Für Menschen, die sich zu Christus bekennen, sollte eine konstruktive Haltung selbstverständlich sein. Wir schulden den Verantwortlichen nicht nur Dank, Unterstützung oder konstruktive Kritik, sondern auch das Gebet. Dies sollten wir ihnen in diesen Tagen schenken.
Ihr Bischof Peter Kohlgraf
Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 13. Dezember 2020. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de