Juli 2023
Zugegebenermaßen ist der „Pastorale Weg“ im Bistum Mainz auch ein Struktur- und Sparprozess, wie ihn fast alle deutschen Bistümer schon längst durchlaufen haben oder gerade schon zum zweiten oder dritten Mal durchlaufen.
Das heißt: Neue Strukturen müssen der Notwendigkeit Rechnung tragen, mit deutlich weniger Personal, Finanzen und Gebäuden auszukommen. Der Pastorale Weg ist nicht der Grund für diese Entwicklung, sondern ihre FOLGE, denn in allen deutschen Bistümern ist die Zahl der Kirchenmitglieder und der Praktizierenden seit Jahrzehnten stark rückläufig, ebenso wie in den evangelischen Landeskirchen. Dies führt unausweichlich zu einem Rückgang an Personal und Finanzen, was zwangsläufig auch zu einer Verschlankung der Infrastruktur führen muss, die vor Jahrzehnten mal für ein Vielfaches an Gottesdienstbesuchern und kirchlich Aktiven aufgebaut wurde.
Doch haben unser Bischof Peter Kohlgraf und die Bistumsleitung nicht einfach einen „Strukturprozess 2030“ ausgerufen, sondern bewusst einen „Pastoralen Weg“.
„Pastoral“ meint hier die Gesamtheit der Aufgaben und Aktivitäten, die das kirchliche Leben wesentlich ausmachen, ausgehend vom Auftrag Jesu, allen Geschöpfen das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden. Die Theologie spricht hier oft von den „Kirchlichen Grundvollzügen“:
- Liturgie: Gottesdienste feiern in verschiedenen Formen
- Verkündigung: z.B. in Katechese, Erwachsenenbildung etc.
- Diakonie: der soziale Dienst an den Mitmenschen
Diese Grundvollzüge der Kirche prägen ihren Auftrag seit 2000 Jahren, müssen aber für jede Zeit und Gesellschaft aktualisiert und konkretisiert werden.
Das ist auch die eigentliche Herausforderung des Pastoralen Weges. Wir spüren, dass die Pastoral-Konzepte aus der Nachkriegszeit, das, was wir lange Zeit vielleicht als „normales Pfarreileben“ angesehen h a b e n , i m m e r w e n i g e r „funktionieren“, weil die Gesellschaft inzwischen eine völlig andere geworden ist. Die Volkskirche, die wir, je nach Lebensalter, irgendwann zwischen den 1950er und 1990er-Jahren als scheinbare „Normalität“ kennengelernt haben, gibt es nicht mehr. Das haben uns spätestens die „Corona-Jahre“ gezeigt. Die religionssoziologische Situation in Deutschland hat sich radikal verändert. Nahezu kein Kind oder Jugendlicher erlebt heute eine religiöse Erziehung in Familie, Schule oder Gesellschaft.
Auch wenn es uns schwerfällt, müssen wir die Realität anerkennen, dass sowohl Kinder, Jugendliche als auch Erwachsene heute in der Regel „null Vorwissen“ in religiösen Fragen mitbringen. Wobei es beim Glauben nicht zuerst auf das Wissen ankommt, vielleicht aber auf eine Art „religiöse Alphabetisierung“, die sicher nicht nur eine kognitive, sondern mehr noch eine emotionale Dimension hat.
So ist die Kernfrage des Pastoralen Weges, wie wir Menschen unter den Rahmenbedingungen von heute mit dem christlichen Glauben in Kontakt bringen können, überhaupt - und so, dass sie etwas von der Nähe Gottes ahnen, vom Evan- gelium berührt werden und im Glauben Heimat und eine sinnvolle Perspektive finden können.
Hierzu müssen wir sicher neue Ansätze jenseits volkskirchlicher Gewohnheiten suchen, wie wir unseren Glauben heute teilen können. Dabei ist die ganze Kirche, alle Getauften, gesendet, für das Evangelium Zeugnis zu geben.
Pfarrer Erik Wehner
Leiter des Pastoralraums Gießen-Stadt