Die Pfarreien der Innenstadt von Mainz wurden eines Tages vom Leiter der Pfarrer-Landvogt-Hilfe, einer Organisation, die sich um Wohnsitzlose kümmert, gefragt, ob sie einen Mittagstisch für Arme und Wohnsitzlose an einem Freitag im Monat ausrichten würden. Diese Anfrage wurde im Pfarrblatt der Pfarrei veröffentlicht und auch in Gottesdiensten vermeldet. Interessierte wurden zu einem Informationsabend eingeladen.
„Was für die wollt ihr kochen, wisst ihr überhaupt, wie die sich benehmen?“
„Nein, das werden wir erfahren wenn wir für sie kochen und sie kennen lernen.“
Also haben wir es ausprobiert: sechs Frauen und ein Mann. Wir haben uns im Pfarrhaus getroffen, eine regelmäßigen Termin für den Mittagstisch festgelegt, einen Speiseplan erstellt, vereinbart, wann wir einkaufen und um welche Zeit wir uns zum Kochen treffen. Wir haben uns überlegt, was den Menschen schmecken könnte, die sich selbst nicht viel leisten können oder vorwiegend auf der Straße leben. Es war aufregend das erste Treffen: wie viele werden kommen, reicht das Essen für alle? Außer den Wohnsitzlosen und Armen sind auch Gäste aus der Pfarrei eingeladen. Denn es geht nicht nur um die Versorgung mit Essen, sondern auch um die Begegnung zwischen den Menschen. Werden sich unsere Gäste wohl fühlen? Was wird passieren? Werden wir überfordert sein?
Weil der Eingang unseres Pfarrheimes etwas versteckt liegt, haben wir Angst, unsere Gäste könnten uns nicht finden. Wir gehen abwechselnd auf die Straße, um die Ankommenden in Empfang zu nehmen und Niemanden zu verpassen. Wir geleiten alle zu den Tischen, die festlich gedeckt und mit Blumen der Saison geschmückt sind, und setzen uns zu ihnen. Sie sind genauso aufgeregt wie wir. Der Pfarrer spricht ein kurzes Segensgebet, wir servieren das Essen an unseren Tischen und setzen uns zu den Gästen. Wir haben eine Suppe, einen Hauptgang und einen Nachtisch vorbereitet. Schon bald legt sich die Aufregung und wir freuen uns, dass es allen so gut schmeckt. Wir freuen uns auch darüber, wie leicht es ist, miteinander ins Gespräch zu kommen. Nach dem Abräumen kochen wir Kaffee und verbringen noch einige Zeit miteinander. Dieses erste Treffen widerlegt alle unsere Ängste. Wir freuen uns schon auf das nächste Mal.
Durch das Vorbereiten der Treffen, entdecken wir unsere verschiedenen Talente. Einige von uns sind Künstler im Dekorieren, wir anderen lernen von ihnen. Einige können ausgezeichnet kochen, auch das ist anregend. Zwei von uns kaufen regelmäßig ein und sind bestens informiert, wo man die Lebensmittel günstig bekommt. Wir treffen uns immer morgens um 9.30 Uhr an dem Tag, an dem unsere Gäste kommen, zum Vorbereiten, Kochen und Tischdecken. Wir sitzen in der Küche, waschen das Gemüse, schneiden es klein, brutzeln Fleisch, rühren die Suppe, schlagen Sahne für den Nachtisch und kochen Kaffee. Wir unterhalten uns, sind schon gespannt, ob alle wieder kommen, und freuen uns auf unsere Gäste. Meistens kommen 30 Personen. Auch unsere Gäste freuen sich auf uns und das Essen.
„Man merkt, dass das Hausmannskost ist,“ verkündet ein Mann. „Ja, mit Liebe gekocht.“ freuen wir uns über das Kompliment. „Stimmt ebensehe ich die Herzchen in der Suppe schwimmen.“ sagt er.
Nach dem Essen beteiligen sich einige der Gäste beim Abräumen und Aufräumen. Sie freuen sich, wenn sie uns helfen können. Sie suchen den Kontakt zu uns und die Unterhaltung. Sie interessieren sich für uns Helfer und fragen nach, wie es uns geht. Auch wir begreifen, wie wichtig es ist, nicht nur mit den Essenschüsseln zu hantieren, sondern den Gästen zuzuhören. Deshalb schulen wir uns in Methoden der Gesprächsführung.
Gemeinsame Mahlzeiten haben etwas Friedfertiges und Heilsames. Das wirkt sich auch auf die Umgebung aus. So finden auch die Kritiker mittlerweile den Mittagstisch für Arme gut. Wir bekommen regelmäßig Spenden: entweder Geld, das andere Gruppen der Pfarrei gesammelt haben, damit wir großzügig einkaufen können oder Obst, Kuchen und Süßigkeiten.
Wir haben viel Spaß mit dem Mittagstisch und wir haben viel gelernt, seit wir ihn organisieren. Wir geben unseren Gästen etwas und bekommen sehr viel von ihnen zurück. Es erinnert mich an ein altes irisches Segensgebet aus dem 15. Jahrhundert in dem es heißt:
„Ein fremder Gast in meinem Haus,
ich teilte mit ihm Speise und Trank.
Und ihm Namen Gottes
segnete er mich, mein Haus und meine Lieben.
Und auf dem Dach die Lerche sang:
oft, oft, oft
kommt Christ im Gewand eines Fremden.“
Dagny Schüler