Wo ist in St. Stephan der Hl. Geist zu finden?

Betrachtungen zur Pfingstsymbolik

Ein Schattendasein fristet der Heilige Geist in Glaube, Liturgie und Gebet der Kirche. Pfingsten, sein Fest, feiert die Christenheit zwar als eines der drei großen im Jahreskreis, aber an den Rang von Weihnachten (nach Advent) oder Ostern (nach der Fastenzeit) kommt es nicht heran.Die Krippe im Stall und das leere Grab: Das kann man sich gut vorstellen. Aber gibt es etwas Unstofflicheres und weniger Anschauliches als Geist? Zwei bärtige Männer und ein weißer Vogel zwischen ihren Köpfen: so kennt jeder die künstlerischen Darstellungen der Dreifaltigkeit, in der der Hl. Geist immer nur die dritte Geige spielt. Dass er als Taube daherkommt, ist dem Evangelium geschuldet, in dem Johannes die Taufe Jesu beschreibt und Gottes Geist in Gestalt einer Taube auf Jesus herabkommen lässt. Als Maler versuchten, den Geist als Person darzustellen, war die Kirche dagegen, Gott Vater als alter Mann blieb erlaubt.

Warum gerade in Gestalt einer Taube?

Die Ikonographen und Bibelkundler wissen nichts Schlüssiges dazu zu sagen. Im alten Babylon galt sie als Zeichen der Gottessohnschaft, war ein Königssymbol, und somit bei der Taufe Jesu recht passend. Als Logo der Friedensbewegung in der weiß-blauen Version geht sie sicher auf Noah zurück, bei dem sie interpretiert wird als Zeichen der Versöhnung Gottes mit dem Menschengeschlecht nach der Sintflut, wenn sie mit Olivenzweig zur Arche zurückkehrt und das Ende des göttlichen Zorns und der Überschwemmung ankündigt; Gott hatte mit den Erdbewohnern seinen Frieden gemacht.
An Frieden denken heutige Stadtbewohner aber nicht, wenn sie Tauben sehen oder hören. Manche Kommune hat ihnen den Krieg erklärt, denn Beschmutzung und Beschädigung der Hauswände sind unschön, ihre Beseitigung geht ins Geld; die Schrebergärtner hassen die schnellen Flieger, wenn sie sehen, wie sie die Singvögel vertreiben; und auch die Zoologen nennen sie gefräßig und neidisch mit brutaler Hackordnung.

Aus Email und im Glas

In welchen Symbolen taucht der Hl. Geist in der Stephanskirche auf? Da muss man lange suchen, um eine Taube zu finden. In der Pankratiuskapelle des Kreuzgangs wird man fündig: Dort zieren drei kleine Email-Medaillons den Kupferdeckel des neugotischen Taufsteins; eines davon zeigt auf türkisfarbenem Grund die weiße Taube mit goldenem Nimbus, die anderen Kelch und Fische.
Eine weitere Taube ist in der Taufkapelle der Kirche zu finden. Hier lässt der Freund und Schüler Chagalls, Charles Marq, in einem Rundfenster Wasser sprudeln und eine Taube herunterschießen und eintauchen. An beiden Orten verweist die Taube auf ihre neutestamentliche Erwähnung bei der Taufe Jesu, in der der Geist Gottes zu den Menschen kommt.

Das Feuer im Sturm

Ein zweites Symbol des Heiligen Geistes, das ganz eng mit dem Pfingstfest verknüpft ist, sind die Feuerzungen, die in den Fenstern des Westchors zu sehen sind. In der Apostelgeschichte heißt es: "Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie (die Jünger) waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab."

Schon im Alten Bund war das Feuer das göttlichste aller Elemente. Gott offenbarte sich im brennenden Dornbusch dem Mose; die Feuersäule führte die Israeliten durchs Meer.

Am ersten Pfingstfest waren die Apostel Feuer und Flamme für die neue Sache, sie hielten feurige Reden in allen Sprachen und hoben den Fluch der babylonischen Sprachverwirrung auf. In vielen Sprachen ist „Zunge" ein Synonym für Sprache (engl. „mothertongue", franz. „la langue"). Lösten die Feuerzungen den Furchtsamen die Zunge?
Ein drittes Symbol für die dritte Person der Dreifaltigkeit wäre noch der Wind, an Pfingsten der brausende Sturm. Ganz am Anfang, bei der Erschaffung der Welt, hauchte der Schöpfer dem Menschen„in seine Nase den Atem des Lebens". So stürmisch wie an Pfingsten muss es jedoch nicht immer zugehen, denn manchmal war Gott wie bei Elia auch im Säuseln des Windes zu erkennen. Aber wie sollten Künstler den Wind zur Anschuung bringen? Anders als Taube und Feuer ist er nicht darstellbar, deshalb in der Kunst auch nicht weiter überliefert und als Symbol des Hl. Geistes fast unbekannt.

In den Westchor-Fenstern von St. Stephan wird die Geburtsstunde der christlichen Kirche gefeiert. Denn offensichtlich lässt Charles Marq mit seinen roten Formen das Feuer brennen und leuchten, als es die Apostel mit Geist erfüllte oder "begeisterte". So steht dem Ostchor mit der Darstellung der Gestalten und Ereignisse des Alten Bundes der Westchor gegenüber, in dessen Fenstern die Kirche, der Neue Bund, ihren Anfang nimmt, hervorgegangen aus dem Alten. Und der Hl. Geist hatte wohl seinen Anteil daran.

Taube
Taube