Anna Selbdritt

Um den 26. Juli, den Festtag der Hl. Anna, schert sich heute keiner in St. Stephan. Auch die schöne, kleine Statue „Anna Selbdritt" in der Marienkapelle kann daran nichts ändern. Obwohl bis 1500 alles ganz anders war.

Damals war das Stephansstift noch in der glücklichen Lage, eine Reliquie der Mutter Mariens zu besitzen, bis der Papst persönlich die Stiftsherren in Mainz der mangelnden Verehrung des kostbaren Stücks beschuldigte und es - nach fünfjährigem Rechtsstreit - der Stadt Düren überließ. Ein vernichtendes Urteil und eine himmelschreiende Blamage! Und das war so gekommen:

Ein krimineller Handwerker

Am ersten Adventssonntag des Heiligen Jahres 1500 raubte der Handwerker Leonhard, der mit Arbeiten am Hochtabernakel beschäftigt war, aus dem Innern des gotischen Kastenaltars, der ja noch heute steht wo er damals stand, die wertvolle Kopfreliquie der Hl. Anna. Sie war mit Theobald, dem Stiftsherrn und Scholaster, dem Leiter der Stiftsschule, nach Mainz gekommen, als dieser fromme und gelehrte Prediger vom vierten Kreuzzug (1202-1204) zurückkehrte. Wie auch die Kathedrale von Chartres besaß St. Stephan einen Teil der Schädelplatte, kreisrund und 10 cm im Durchmesser.
Bis die Stephaniter die ruchlose Tat entdeckten, war es schon Mitte Dezember geworden und das Objekt der Begierde des Steinmetzen Leonhard machte in Düren bei Aachen Furore (bis heute wird dort mit der Annenkirmes ein riesiges Volksfest gefeiert). Schon lange vorher hatten die Gläubigen der hl. Anna große Verehrung entgegengebracht, sie war die Modeheilige des ausgehenden Mittelalters schlechthin. Das Auftauchen ihrer Reliquie in der Düren ließ ihren Kult derart auflodern, dass Ströme von Pilgern die Straßen verstopften. Selbst Wunder stellten sich ein: Lahme und Blinde wurden gesund, Besessene geheilt, Tote lebendig.

Machtwort des Papstes

Nun begann ein unwürdiges Gezerre und Gefeilsche inklusive Handgreiflichkeiten; Kurfürsten und Bürgermeister und selbst der Kaiser mischten sich ein, Bann und Exkommunikation drohten. 
Bis endlich der Papst Julian II. ein Machtwort sprach und leider anders als vorher sein Vorgänger Alexander VI. In seiner Bulle hieß es - theologisch verbrämt -, „dass ein gewisser Maurer... wahrscheinlich auf göttliche Eingebung hin dieses Haupt ... heimlich weggebracht hat." Auch wohl, weil es „in Mainz weniger ehrenvoll und nicht mit der schuldigen Andacht gehalten" wurde.

Für die Stiftsherren in St. Stephan, denen ewiges Stillschweigen über diese Sache auferlegt wurde, war es nach dieser Abfuhr nicht ratsam, die Rückgewinnung weiter zu betreiben. Als vor Jahren Pfarrer Retsch mit Gemeindemitgliedern die Annenkirche besuchte, wurde ein dementsprechendes Ansinnen auch nicht gestellt.

Wer zuletzt lacht....

Es mag mancher Mainzer als späte Genugtuung empfinden, was Forscher vor 15 Jahren herausgefunden haben (Christof Feußner in einem Sammelband über „Pilger und Wallfahrtsstätten in Mittelalter und Neuzeit" [1999]) und was die Dürener nicht zu wissen scheinen, nämlich: 
dass die ach so verehrte und begehrte Schädelplatte der Hl. Anna zu einem Männerkopf gehört. Viel Lärm also um nichts!