Beitrag von Hermann Kurzke
Dieser Willigis ist gut gelaunt. Sein Lachen sitzt locker, ein Körnchen Ironie ist dabei. Er steht lässig da wie ein überlegener Weltmann und gibt nicht vor, er sei der bescheidene Wagenmachersohn, an den das Mainzer Wappenrad erinnert. Seine Erscheinung ist souverän und trotzdem schlicht. Er ist kein Windmacher, kein Salondiplomat und kein Theaterprinz. Sein Birett ist verdrückt und abgenützt, mehr ein wettergegerbtes Pfaffenhütchen als ein hohes Würdenzeichen. Ein sackleinenes Büßergewand kratzt auf Haut und Knochen. Das ist kein Mann, der seidene Unterwäsche trägt. Das ist ein Arbeiter. Sein Gewand ist staubig, in den Falten sitzt Gips, er kommt von einer riesigen Baustelle, er baut an Gottes und des Kaisers Reich - außerdem noch an ein paar kleineren Sachen. Er trägt eine Kladde mit Zeichnungen; wer ihm über die Schulter schaut, erkennt Sankt Stephan und den Mainzer Dom. Er wirkt pragmatisch, nahbar und angenehm, wie einer, mit dem man Wein trinkt.
Aber das täuscht. Willigis war einer der mächtigsten Männer seiner Zeit und ein Heiliger. Das Mächtige und das Heilige in Bronze zu gießen war die Aufgabe. Die Macht ist erdenschwer, sie zieht nach unten, die Heiligkeit ist heiter und zieht nach oben. Es kommt zu einer paradoxen Aufhebung der Schwerkraft. Der schmale und elegant geschwungene Körper, den man unter den Gewandfalten ahnen kann, strebt zur Höhe, das Material aber ballt sich unten. Oswalds Willigis könnte schweben, als hinge er in einem Magnetfeld. Er könnte auf Wolken stehen wie die Sixtinische Madonna.
HERMANN KURZKE