Schmuckband Kreuzgang

Offener Brief an die Menschen in den Pfarreien des Pastoralraumes Wetterau-Mitte

Pfarrer-Kai-Husemann.jpg_909216676 (c) Pfarrer-Kai-Husemann

Liebe Schwestern und Brüder hier im Pastoralraum Wetterau-Mitte,
es ist jetzt ein gutes Jahr her, dass ich als neuer Pfarrer in Friedberg auch Mitverantwortung für das Zusammenwachsen der vielen Gemeinden zwischen Reichelsheim und Büdesheim - zwischen Rosbach und Florstadt übernommen habe. In dieser Zeit habe ich viele Menschen kennen gelernt. Großartige Gemeinden, die es einem leicht machen, in ihnen Heimat zu finden. Vielleicht hatten wir ja auch schon eine erste
Begegnung miteinander. Der pastorale Weg bringt uns zusammen. Immerhin sollen wir zum 1. Januar 2027 eine neue große Pfarrei in der Wetterau gründen - mit gemeinsamen hauptamtlichen Seelsorgern, gemeinsamen Kirchorten und Veranstaltungen, die so miteinander vernetzt sind, dass wir den Reichtum unserer Gemeinden füreinander neu erschließen.

Es ist die große Chance, das verhängnisvolle Gefühl, immer weniger zu werden, endlich einmal zu
durchbrechen - und im Miteinander wieder einmal echte Fülle zu erleben. Ich hoffe so sehr, dass uns das gelingt!

Mir ist bewusst, dass ein solcher Veränderungsprozess viele von Ihnen auch mit großer Sorge erfüllt. Veränderung ist ja immer ein Wagnis. Und es wäre Augenwischerei, so zu tun, als wären wir in unseren Gestaltungsmöglichkeiten völlig frei. Unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten werden geringer. Gleiches gilt für die Zahl der Hauptamtlichen - und zwar nicht nur, weil wir sie uns nicht mehr leisten könnten, sondern weil auch immer weniger Menschen einen pastoralen Beruf ergreifen möchten. Auch wir haben einen Fachkräftemangel, der uns schneller einholt, als wir gedacht hatten. Weil nach dem Weggang von Pfarrer Wornath kein neuer Priester kommen wird, zieht diesen Sommer Kaplan Agbo in das Pfarrhaus nach Dorn-Assenheim, um dort eine priesterliche Präsenz insbesondere mit Blick auf die dortigen Schwestern zu gewährleisten. Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir nicht mehr in jedem Pfarrhaus einen Priester oder anderen Hauptamtlichen wohnen haben können. Wenn sich Birgit Göttlicher Mitte nächsten Jahres aus Heldenbergen und Karben in den Ruhestand verabschiedet hat, werden wir unter der Zahl von 7 Hauptamtlichen sein, die uns das Bistum eigentlich zumindest bis zum Jahr 2030 zur Verfügung stellen wollte. Und das hat selbstverständlich Auswirkungen auf unsere Arbeit im Pastoralraum.

Die Hauptamtlichen werden die ersten sein, die nicht mehr zuerst in regionalen Zuständigkeiten, sondern vielmehr in thematischen Verantwortlichkeiten denken müssen. In größer werdenden Räumen werden andere Formen gefunden werden, unseren Ehrenamtlichen eine gute hauptamtliche Begleitung zu ermöglichen. Es wird nicht mehr so sein, dass ein*e Seelsorger*in vor Ort Ansprechpartner*in für alle möglichen Anliegen und Bedürfnisse sein wird. Für viele kleinere Kirchorte funktioniert das ja heute schon nicht mehr. Gleichwohl muss es aber selbstverständlich für all diese Anliegen und Bedürfnisse eine*n Ansprechpartner*in geben. Wir Hauptamtlichen sind bereit dazu. Und ich bin sehr glücklich, dass wir in einer ersten Teambildungsmaßname Ende Mai Lust darauf bekommen haben, miteinander den Pastoralraum zu gestalten. Wir „können“ miteinander - und das ist eine erste wichtige Voraussetzung. So wachsen wir als Team zusammen. Ein Team bietet Vorteile für
jeden einzelnen von uns - weil wir uns gegenseitig in unseren Schwächen tragen und in unseren Stärken beflügeln. Und auch wenn es eine Umstellung und vielleicht auch eine Verunsicherung bedeutet, eine*n eigene*n Seelsorger*in nicht mehr im
Pfarrhaus neben der Kirche wohnen zu haben, ist es wichtig, diese Chancen auch zu sehen. Und trotz allem bleibt eine Grundsorge, die ich einmal unter dem Stichwort der gemeinschaftlichen Nähe benennen möchte. Nähe - und die Vertrautheit, die sich daraus ergibt - sind Grundvoraussetzungen von Gemeinschaft. Und deswegen mempfinden wir Vieles in den aktuellen Umbrüchen so unglaublich beunruhigend. Gemeinden, die bisher nur wenig Berührungspunkte miteinander hatten, werden nun
zusammengelegt. Mit den größer werdenden Räumen werden auch die Entfernungen größer. Und wie nah kann ein*e Seelsorger*in sein, die/der nicht mehr an meiner Kirche wohnt und für nunmehr viel mehr Gläubige zuständig sein wird? Vielleicht ist es wichtig, sich noch einmal bewusst zu machen, dass „Nähe“ nicht nur eine Frage der kurzen Entfernungen ist. Auch in unserem Pastoralraum lebten jahrzehntelang Gemeinden trotz ihrer räumlichen Nähe von einer gepflegten Abgrenzung und waren sich in ihren Lebensvollzügen und ihrem Gemeindeverständnis eher fern. Wenn es unser Ziel ist, dass wir uns in einer neuen Pfarrei als eine Gemeinde mit verschiedenen Kirchorten verstehen, dann geht es nicht nur um Entfernungen. Nähe hängt auch mit Erreichbarkeit zusammen. Ein größeres Team hat hier ganz andere Möglichkeiten. Und wenn Nähe etwas mit Vertrautheit zu tun hat, dann ist es in einem Team mit mehreren Seelsorger*innen sicherlich leichter, den Vertrauten zu finden, der dem eigenen Bedürfnis oder auch der eigenen Persönlichkeit am ehesten entspricht.

Aber ich will nicht nur von den Hauptamtlichen sprechen. Zur Ehrlichkeit eines realistischen Blicks auf die pastoralen Entwicklungslinien auch im Rahmen des Pastoralen Wegs gehört sicherlich, dass die Zukunft unserer Gemeinden stärker vom
ehrenamtlichen Engagement abhängen wird. Und das ist gleichzeitig Herausforderung und Chance für unser Gemeindeleben. Denn die zunehmende Verantwortung von allen Gemeindemitgliedern führt auch zu neuen Formen des Miteinanders aller in der
Gemeinde. Neue Formen der Zusammenarbeit werden entstehen - und damit auch neue Formen der Identifikation. Ein wenig haben wir das in den Zeiten der Pandemie bereits erlebt: Bei der Umsetzung eines Hygienekonzeptes haben sich zahlreiche Ehrenamtliche - teilweise auch ganz neu - gefunden, die sich z.B. als Ordner*innen - oder in der gesanglosen Zeit als Kantor*innen - eingebracht haben. In Pandemiezeiten, die mit ihren Abstandsforderungen eher unsere Formen von Gemeinschaft bedroht haben, sind so Menschen durch die Übernahme von Verantwortung noch einmal ganz neu miteinander in Kontakt gekommen. Und viele können wir nun mit Namen nennen, von denen wir vorher allenfalls das Gesicht kannten. Ich schreibe Ihnen diesen Brief ganz bewusst jetzt in der Anfangsphase unseres Zusammenwachsens. Bis zur Gründung unserer neuen Pfarrei am 1. Januar 2027 ist ja noch ein wenig Zeit. Und doch möchte ich Sie ermutigen, sich in diesen Prozess oder in das Gemeindeleben bei Ihnen vor Ort auch einzubringen. Nicht nur, weil wir Sie brauchen. Das tun wir - dringender denn je. Aber noch viel wichtiger ist es, dass es selten eine Zeit gab, in der wir in der Kirche und in unseren Gemeinden so viel gestalten konnten. Jetzt haben wir die Möglichkeit, hier vor Ort Einfluss auf die Zukunftsgestalt von Kirche in der Mitte der Wetterau zu nehmen. Es wird eine Zukunft sein in Verbundenheit mit unseren Nachbarn. Es wird eine Zukunft sein mit einer reicheren Vielfalt und neuen Möglichkeiten. Und es wird eine Zukunft sein, in der jeder einzelne von Ihnen seinen Platz haben wird, wenn er es nur will. So freue ich mich auf den gemeinsamen Weg, der vor uns liegt. Bleiben Sie achtsam für jeden, der Mitgehen möchte. Ich danke allen, die jetzt schon bereit sind, über die Grenzen ihres eigenen Tellerrandes hinaus zu schauen. Erzählen Sie weiter, was Sie Schönes entdeckt haben. Jesus hat uns Leben in Fülle verheißen. Entdecken wir sie gemeinsam!

Und bis dahin grüße ich Sie alle im Pastoralraum Wetterau-Mitte herzlich.
Ihr
Pfarrer Kai Hüsemann
(Leiter Pastoralraum Wetterau-Mitte)


Pastoralraum Wetterau-Mitte
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