Wie der geneigte Leser, die geneigte Leserin, vielleicht schon weiß, ist die Sprachenverwirrung mit der Erzählung von dem sog. Turmbau zu Babel verbunden (Gen 11,1-9). Wären Sie gefragt, könnten Sie wahrscheinlich grob einige Eckpunkte der Geschehnisse aufsagen: Die Menschen wollen sich einen Turm bis zum Himmel bauen, aber Gott will das nicht, also verwirrt er ihre Sprache und sie stellen das Bauvorhaben ein. So weit, so gut, allerdings ist diese Erzählung, und das göttliche Verhalten, ohne die Vorgeschichte nur schwer zu verstehen. Die unmittelbar verbundenen Ereignisse beginnen nach der Sintflut. Gott segnet Noach und seine Söhne und sagt zu ihnen: „Seid fruchtbar, mehrt euch und füllt die Erde!“ (Gen 9,1). Gott möchte die Vielheit und Vielfalt der Menschheit und das klappt dann auch wunderbar, wie die Liste der Völker in Kapitel 10 zeigt, welche alle aus den drei Söhnen Sem, Ham und Jafet hervorgehen.
Gen 11,1 bezeugt uns sodann, dass die Ausbreitung der Menschen problemlos mit einer gemeinsamen Sprache harmoniert hat, wenn es heißt: „Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte.“
Diese positive Entwicklung kommt mit dem Turmbau zu Babel, welcher eigentlich auch den Bau einer Stadt beinhaltet, jäh zu einem Wendepunkt. Die Bauwerke dienen nämlich ausdrücklich dafür, sich „einen Namen [zu] machen, damit wir uns NICHT über die ganze Erde zerstreuen.“ Mit ihrem Plan stellen sich die Menschen gewollt gegen den göttlichen Heilsplan. Statt lebendiger Vielfalt streben sie nach monotonem Einheitsbrei. Natürlich dient der bis zum Himmel reichende Turm dabei als Versicherung der eigenen Stärke und gleichsam als ausgestreckter Mittelfinger gegenüber Gott.
Hierbei geht es nicht um Zusammenschlüsse von Gruppierungen, die dem Wohl aller dienen sollen. Der Text spiegelt die Erfahrung von Großreichen wider, bei denen es keine Freiheit und keine Eigenheiten einzelner geben kann, weil eine Minderheit darüber bestimmt, wie alle zu leben und zu denken haben.
Aber das ist nicht der göttliche Wille und so setzt Gott ihrem Treiben ein Ende. Er schaut herab, weil er natürlich immer noch viel erhabener ist, als das höchste Bauwerk, das Menschen je bauen könnten. Dann gibt er ihnen verschiedene Sprachen, weil die eine Sprache zum Hindernis für die Ausbreitung und Ausfaltung des Menschen geworden ist. Tatsächlich ermöglichen die verschiedenen Sprachen wieder die zentrifugalen Kräfte des göttlichen Segens, welcher die Verteilung der Menschen über die gesamte Erde zur Folge hat.
In der Bibel bleibt die Sprachenverwirrung bis zum Pfingsttag in Apg 2,1-13 bestehen. Wie lässt sich aber Sprachenverwirrung und Spracheneinigung unter einen Hut bringen, wenn Gott augenscheinlich einmal so handelt und dann wieder ganz anders?
Es liegt daran, dass Pfingsten und Babel völlig andere Vorbedingungen haben.
Die Einigung an Pfingsten geschieht nicht durch egoistische menschliche Motive, sondern steht im Zusammenhang mit der Vergemeinschaftung von Gläubigen, die Gott selber schafft. Dabei soll nicht der eigene Name groß gemacht werden, sondern der Name Gottes im gemeinsamen Lobpreis. Das Individuum ist dabei nicht in Gefahr.
Bei genauem Lesen wird deutlich, dass das Pfingstwunder nicht die Rückkehr zu einer gemeinsamen Sprache bewirkt, sondern, dass alle Geisterfüllten in anderen Sprachen sprechen und ihre Worte von allen verstanden werden können. Der Heilige Geist ist kein Pürierstab, der aus dem Eintopf einen einheitlichen Brei macht, vielmehr bleiben Eigenständigkeiten bewahrt. Pfingsten gewährt also Einheit in der Vielfalt und das Prinzip der Einigung ist Gott.
An Pfingsten feiert die Kirche Geburtstag und in der Kirche bleibt die Sprachenverwirrung dauerhaft aufgehoben. Ich würde sogar behaupten, dass selten ein biblisches Wunder so hautnah immer noch zu erleben ist. Wenn es ihnen möglich ist, besuchen Sie einmal einen nichtdeutschsprachigen katholischen Gottesdienst. Auch wenn Sie die einzelnen Worte nicht verstehen, so können Sie den heiligen Handlungen doch immer folgen und sie innerlich mitvollziehen. In der Liturgie, im gemeinsamen Lobpreis Gottes, ist die Alltagserfahrung der trennenden Sprachen aufgehoben. Die gleichbleibenden zentralen Texte sind Ausdruck unserer Einheit mit der weltumfassenden Kirche, weshalb ein Abrücken von diesen Texten freilich mehr Richtung Verwirrung und Babel, als Richtung Einigung und Pfingsten zielt. Das Geschenk des Heiligen Geistes ist die Einheit in der Vielheit. Bitten wir ihn weiterhin um dieses Geschenk, wenn wir an Pfingsten rufen: Komm, Heiliger Geist!