Erschienen in: Communitas. Périodique bimestriel: Foyer Catholique Européen, Novembre 2004, 16–17.
Zusammenfassung:
Die Theodizeefrage lässt sich deshalb nicht beantworten, weil sie von logisch widersprüchlichen Voraussetzungen ausgeht und dadurch unsinnig ist. Sie ist durch die Frage zu ersetzen, was der Glaube für den Umgang mit dem Leid ausmacht.
In der sogenannten Theodizeefrage geht es um die "Rechtfertigung Gottes": Wie kann ein angeblich "allmächtiger" und zugleich "guter" Gott soviel Leid und Böses zulassen? Und für viele stellt diese Theodizeefrage den schwierigsten Einwand gegen den Glauben dar. Sogar die meisten Theologen halten das Theodizeeproblem für unlösbar und erhoffen sich eine Antwort erst im Jenseits.
Es ist eigentlich erstaunlich, dass die Christenheit sich nach zweitausend Jahren immer noch mit dieser Frage herumquält. Denn die christliche Botschaft hat doch geradezu ihr ganzes Ziel darin, diese Frage von vornherein aus ihren Angeln zu heben und gegenstandslos zu machen. Sie wird von der christlichen Botschaft durch die andere Frage ersetzt, was der Glaube für unseren Umgang mit dem Leid ausmacht. Er bewirkt, dass man im Leid nicht mehr verzweifeln muss und eine Gewissheit gewinnt, die stärker als alle Angst um sich selbst ist.
Bereits Paulus schreibt im Römerbrief: "Wer kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? ... Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn." (Röm 8,35.38-39) Wie kann dann noch Bedrängnis oder Not oder Verfolgung ein Einwand gegen diesen Glauben sein?
Ähnlich vertraut der Beter des Psalms 23, "Mein Hirt ist Gott der Herr", auf die Geborgenheit in der Liebe Gottes nicht nur, wo man auf grünenden Auen und an sprudelnden Wasserquellen lagert. Das Vertrauen gilt auch und erst recht, wenn das Dunkel so finster ist, dass es keine andere Orientierung mehr gibt, als das gehörte Aufklopfen des Hirtenstabs auf den felsigen Boden.
Die übliche Theodizeefrage geht von zwei falschen Voraussetzungen aus. Erstens bestehe die Allmacht Gottes darin, dass er alles Mögliche können müsste. Man weiß nur leider nie, ob er es auch tatsächlich tun wird. Die Allmacht Gottes wäre also ein unberechenbarer Faktor, mit dem man dennoch rechnen müsste. In diesem Verständnis läuft das Vertrauen auf Gottes Allmacht im Grunde auf ein Blindekuhspiel hinaus.
Zweitens müsse die Güte Gottes darin bestehen, dafür zu sorgen, dass es einem gut geht. Wenn man gesund und erfolgreich ist, dann erfährt man Gottes Liebe. Ist man dagegen krank und elend, dann ist Gott offenbar in weiter Ferne. Was kann unheilvoller sein als diese Auffassung? Wenn man von irgendetwas erlöst werden muss, dann doch von dieser Meinung, die angesichts unserer Todesverfallenheit tatsächlich nur zur Verzweiflung führen kann.
Zutreffend ist die Beobachtung, dass es grundsätzlich keine Antwort auf die Theodizeefrage geben kann. Das liegt aber nicht an der Beschränktheit unseres Denkens. Die Theodizeefrage geht vielmehr selbst von logisch widersprüchlichen und damit unsinnigen Voraussetzungen aus: Gott wird als ein Systembestandteil der Welt gedacht, von dem man herleiten kann, was in der Welt der Fall zu sein hat.
Die christliche Botschaft bringt ein ganz anderes Gottesverständnis mit sich. Nach dem biblischen Gottesverständnis ist von vornherein alle weltliche Wirklichkeit solcherart, dass sie ohne Gott nicht sein kann. Das gilt auch für das Leid, das Böse und den Tod. Von Gott ist nur dann wirklich die Rede, wenn überhaupt alles mit ihm zu tun hat. Die Welt ist aus dem Nichts geschaffen, das heißt: Könnte man ihr Geschaffensein beseitigen, bliebe nichts von ihr übrig. Wenn die wirkliche Welt der Grund unserer Rede von Gott ist, dann kann man nicht hinterher den so erkannten Gott gegen die Welt ausspielen.
Gott selbst fällt nicht unter Begriffe. Wir können von ihm immer nur das von ihm Verschiedene begreifen, das auf ihn verweist. Die Welt wird also nicht durch Gott, sondern durch ihr Bezogensein auf Gott erklärt. Gott ist, "ohne wen nichts ist". Von ihm kann nur "analog", hinweisend, überhaupt gesprochen werden.
Geschöpflichkeit bedeutet also, dass alles in der Welt restlos in einem einseitigen Bezogensein auf Gott aufgeht. Dem Versuch, in der umgekehrten Richtung von Gott her irgendetwas über die Welt herzuleiten, geht damit jede reale Grundlage ab. Man kann nur von dem ausgehen, was wirklich geschieht, und sagen, dass es ohne Gott nicht sein kann. Gott ist nicht im bloß potentiellen Sinn "allmächtig", dass er nur beliebiges Mögliche könnte, sondern er ist "in allem mächtig".
Natürlich ist es sinnvoll, nach den Ursachen eines Flugzeugabsturzes zu fragen, um ihnen in Zukunft vorzubeugen. Aber die Frage, warum Gott einen Flugzeugabsturz nicht verhindert, bedeutet wegen ihrer logisch widersprüchlichen Voraussetzung, dass es möglich sei, etwas von Gott herzuleiten, sinnlos vertane Zeit.
Aus der bloßen Bedeutung des Wortes "Gott" für sich allein weiß man allerdings noch nicht, wie Gott zum Menschen steht. Denn hier wohnt er "im unzugänglichen Licht" (1 Tim 6,16). Auf diese Frage antwortet erst das "Wort Gottes". In ihm wird uns von Jesus her zugesagt und geschieht, dass Gott uns mit einer Liebe zugewandt ist, die an nichts Geschöpflichem ihr Maß hat und deshalb auch nicht an der Welt ablesbar ist. Sie ist vielmehr die Liebe Gottes zu Gott, des Vaters zum Sohn, in die wir aufgenommen werden. Dies ist eine Gemeinschaft mit Gott, die im Leben und Sterben Bestand hat. Sie kann die Angst um uns selbst gerade deshalb entmachten, weil Gott der ist, der in allem mächtig ist. Denn dann kommt keine Macht der Welt dagegen an, dass wir im Leben und Sterben in der Gemeinschaft mit ihm geborgen bleiben.
Das bedeutet natürlich nicht, dass einem das Sterben erspart wird, sondern dass auch der Tod uns nicht aus der Geborgenheit in der Gemeinschaft mit Gott herausreißen kann.
Alles, was geschieht, ist von vornherein in Gottes Hand: Deshalb kennt die christliche Botschaft kein anderes "besonderes Eingreifen" Gottes in die Welt als seine Selbstmitteilung in mitmenschlichem Wort zur Ermöglichung gemeinschaftlichen Glaubens und selbstloser Liebe.
Außerhalb der Gemeinschaft mit Gott betrachtet, ist die ganze Welt letztlich ein Gleichnis der Hölle: Der Tod hat das letzte Wort, und kein Glück der Welt kommt dagegen an (vgl. Lk 12,16–21).
Im Glauben dagegen gilt von der gleichen Welt umgekehrt: Sie ist Gleichnis der ewigen Gemeinschaft mit Gott, in der wir jetzt schon leben. Jede noch so geringe und vergängliche gute Erfahrung wird uns zum Gleichnis des Himmels. Sie wird zum Gleichnis der Gemeinschaft mit Gott, gegen die kein Leid und kein Tod ankommt. Der Tod hat jeden Gleichnischarakter für ewiges Unheil verloren. Er verhindert nur, dass man die Welt, anstatt sie als Gleichnis des Himmels zu sehen, mit ihm selbst verwechselt. Auch in der Klage im Leid vertrauen wir auf einen Gott, in dessen Liebe wir im Leben und Sterben geborgen sind.