Für viele Christen ist das „… geboren von der Jungfrau Maria“ heute nicht mehr nachvollziehbar. Wie soll das möglich sein, dass Jesus durch eine Jungfrau, ohne Beteiligung eines Mannes an seiner Zeugung, geboren wird? Handelt es sich hierbei um einen in der Geschichte einmaligen biologischen Sonderfall? Wenn Gott doch allmächtig ist, warum sollte er nicht die biologischen Gesetzmäßigkeiten durchbrechen können und so etwas wie die „Jungfrauengeburt“ möglich machen? Wie kommt man überhaupt darauf, dass Jesus von einer Jungfrau geboren sein soll?
„Junge Frau“ oder „Jungfrau“?
Sowohl im Matthäus-Evangelium, wie im Lukas-Evangelium ist davon die Rede, dass eine „Jungfrau“ ein Kind empfangen und gebären wird (vgl. Mt 1,18-25; Lk 1,26-38). Bei Matthäus erscheint Josef ein Engel im Traum, bei Lukas wird der Engel direkt zu Maria gesandt. Könnte man die ganzen Verstehensschwierigkeiten nicht dadurch umgehen, dass man das griechische Wort für Jungfrau (parthenos) einfach durch „junge Frau“ übersetzt? Ganz so einfach kann man diese Schwierigkeiten mit der jungfräulichen Geburt Jesu nicht aus der Welt schaffen, denn im Apostolischen Glaubensbekenntnis, das etwa im 2. Jahrhundert nach Christus entstanden ist, steht nun auch der Satz: „[…] empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria […]“. Offensichtlich scheint die Jungfrauengeburt und die Jungfräulichkeit Mariens ein Thema für die ersten Christen. Aber ist wirklich die Jungfräulichkeit Mariens das Thema oder nicht vielmehr die Frage: Wer ist dieser Jesus? Woher stammt er?
Wenn dieses Thema sogar im Glaubensbekenntnis auftaucht, dann ist zu fragen, wie denn die Jungfrauengeburt als Glaubensaussage zu verstehen ist? Was ist an der Aussage „geboren aus der Jungfrau Maria“ im Sinne des christlichen Glaubens zu verstehen? Wie lässt sich dieses „geboren von der Jungfrau Maria“ auch gegenüber kritischem und naturwissenschaftlichem Denken verantworten?
Biologie als Glaubensgegenstand?
Wollte man diesen Satz im Sinne einer biologisch-naturwissenschaftlichen Aussage verstehen, wie dies viele traditionalistische Christen, aber auch die Muslime oder die Zeugen Jehovas tun, dann handelte es sich dabei um gar keinen Glaubensgegenstand. Denn ein biologisch-naturwissenschaftlicher Sachverhalt ist nicht mit dem Glauben, sondern mit Vernunftgründen zu erklären und zu verstehen. Biblische Texte sind außerdem keine Berichte darüber, wie die Vernunft und die Naturgesetze von Gott ausnahmsweise einmal außer Kraft gesetzt wurden, sondern sie sind das Wort Gottes an uns Menschen. Und so sind biblische Texte nur im Glauben als das Wort Gottes zu verstehen.
„Aus Gott geboren“?
Was aber ist an der Jungfrauengeburt und der immerwährenden Jungfräulichkeit Mariens nur dem Glauben zugänglich? Was kann hier nur geglaubt werden? Im Johannes-Evangelium gibt es einen Hinweis auf ein glaubensgemäßes Verstehen der Jungfrauengeburt. Es heißt dort über alle Menschen, die das Wort Gottes aufnehmen, empfangen und in der Welt danach leben und es weitersagen, dass diese „Kinder Gottes“, „nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“ (Joh 1,13) Dass alle Glaubenden „Töchter“ und „Söhne“ Gottes sind, lässt sich nicht aus der Biologie oder sonstigen irdischen, physikalischen, biologischen, chemischen, evolutionären … Vorgegebenheit ableiten. Jesus, als der Sohn Gottes, ist dies nicht aus dem „Willen eines Mannes“ oder einer sonstigen irdischen Macht. Er ist „aus Gott geboren“, meint die zu dem historischen Jesus dazugesagte göttliche Wahrheit. „Jungfrauengeburt“ meint also nicht bloß eine symbolische Umschreibung, sondern einen im Wort Gottes durch Jesus sich wirklich und wahr ereignenden historischen Sachverhalt. Er beginnt für alle Glaubenden mit Maria. Für sie und alle Glaubenden gilt immer und unüberbietbar:
Wir sind durch das Vertrauen auf das uns zugesagte Wort Gottes, ein für alle Mal „Töchter“ und „Söhne“ Gottes.
„Mir geschehe nach deinem Wort“
„Jungfräulichkeit“ ist die zutreffende Bezeichnung für alle Glaubenden, insofern sie die „Gemeinschaft mit Gott“ nicht aus eigener Kraft und eigenem Willen herstellen können, sondern ganz und gar auf die Botschaft, auf das „empfangen durch den Heiligen Geist“ angewiesen sind.
Leo der Große (um 400-461) hat diesen Glauben in einer Predigt zum Ausdruck gebracht:
„Denn wer immer nur von den Gläubigen in irgendeinem Teil der Welt in Christus wiedergeboren wird, verwandelt sich durch die Wiedergeburt in einen neuen Menschen, da ihm der Weg der alten Abstammung abgeschnitten wird. Auch gilt er nicht länger nur als Nachkomme des leiblichen Vaters, sondern vielmehr als Spross des Erlösers selbst, der deshalb des Menschen Sohn geworden ist, damit wir Kinder Gottes werden können.“
Besser kann man das, worum es im Glauben eigentlich und im Glauben an „… empfangen durch den Heiligen Geist, geboren aus der Jungfrau Maria …“ geht, nicht ausdrücken. Eine solche Glaubensaussage biologisch zu verstehen, ist ein grobes Missverständnis. Glauben und Vernunft dürfen nicht miteinander vermischt oder gar verwechselt werden.