Das Feierabendbierchen

Richard Kunkel, katholischer Betriebsseelsorger für die Region Oberhessen

Datum:
Fr. 29. Apr. 2016
Von:
Jutta Rettinghaus
Früher gab es einmal einen Feierabend.

Gerne erinnere ich mich daran, wie ausgiebig mein Vater noch seinen Feierabend begehen konnte. Man hat den Abend gewissermaßen gefeiert. Manchmal ein Bierchen getrunken. Das Abendessen zelebriert, Rituale gepflegt, den Tag gemeinsam ausklingen lassen. Das wird heute immer seltener. Verantwortlich dafür ist im Wesentlichen die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Etwa 60% der Beschäftigten arbeiten atypisch in verschiedenen Arbeitszeitmodellen. Schichtarbeit, Nachtarbeit, Wochenendarbeit, Projektarbeit. Letztere mit jeder Menge unbezahlter Überstunden, weil das Zeitkontingent vom Auftraggeber meist zu knapp bemessen ist. Da bleibt der gemeinsame Feierabend auf der Stecke.

Normalzeit ist heute die schon die Ausnahme. Wir arbeiten quasi rund um die Uhr und kaum einer kann sich diesem Takt entziehen. Was uns fehlt ist gemeinsame freie Zeit, also Zeit, in der möglichst viele gemeinsam frei haben. Frei-zeit, die man gemeinsam gestalten kann. Ohne diese Synchronzeit fällt eine Gesellschaft auseinander.

In diesem Sinne ist der freie Sonntag ein unverzichtbarer Taktgeber. Wir brauchen diese Unterbrechung im Arbeitsleben. Um die Balance zu halten, braucht die Arbeit ein mächtiges Gegengewicht, nämlich die Ruhe. Doch auch der Sonntag ist in Gefahr. Der Trend ist eindeutig. Durch immer neue Ausnahmeregelungen müssen immer mehr Menschen sonntags arbeiten. Für viele ist der Sonntag mittlerweile Konsumtag geworden. Auch in Hessen gibt es zu dieser Jahreszeit kaum noch einen Sonntag, der nicht irgendwo verkaufsoffen ist.

So ist die Zeit unter das Diktat der Ökonomie geraten: Zeit ist Geld! Das Kostbarste, was wir haben, nämlich unsere Lebenszeit, wird in Rendite umgesetzt. Die Folge ist Arbeit ohne jedes Maß, entfesselt von jeder Zeitgrenze. Es bedarf gemeinsamer, organisierter Gegenwehr. Arbeit darf nicht das Leben kosten!

In der biblischen Schöpfungserzählung lese ich, dass sogar Gott am Ende seiner ersten Arbeitswoche fix und alle ist. Er „ruhte am siebten Tag von all seinen Werken". Nun - er konnte sich das leisten! Sein Unternehmen war noch nicht börsennotiert und er selbst auch nicht online!

Um wie viel mehr sind dann wir heutigen Menschen im Hamsterrad der modernen Arbeitswelt auf Feierabend und Sonntag angewiesen. Gönnen wir uns beides.

Richard Kunkel, katholischer Betriebsseelsorger für die Region Oberhessen

 

Zur Quelle des Inhalts: Katholisches Dekanat Wetterau-West