Kein Boden unter den Füßen

Warum Künstler über die Nazizeit hinaus aus der Bahn gerieten – Ein Kunstprojekt in Mainz

Kurs-Leiterin Andrea Interschick (rechts) im Gespräch mit Teilnehmerin Diana Nowak. Ihr Bild enthält viel Symbolik, wie den braunen Hintergrund oder den markanten Mund, der bewusst weiß gelassen wird – da viele Menschen zum Schweigen gebracht wurden. Foto: Nicole Weisheit-Zenz (c) Kirchenzeitung Glaube und Leben
Kurs-Leiterin Andrea Interschick (rechts) im Gespräch mit Teilnehmerin Diana Nowak. Ihr Bild enthält viel Symbolik, wie den braunen Hintergrund oder den markanten Mund, der bewusst weiß gelassen wird – da viele Menschen zum Schweigen gebracht wurden. Foto: Nicole Weisheit-Zenz
Datum:
Mi. 18. Jan. 2017
Von:
Kirchenzeitung "Glaube und Leben"
„Entartete Kunst“: ein Stempel, den die Nationalsozialisten Künstlern und ihren Werken aufdrückten und der massive Konsequenzen nach sich zog. In St. Bonifaz in Mainz haben jetzt Menschen Bilder nachgemalt, die einst als „entartet“ abgewertet wurden.

Die Kriterien für die Einordnung und Abwertung waren willkürlich, erklärt Andrea Interschick, die das ungewöhnliche Projekt leitet. Bilder mit politischem Inhalt waren bei den Nazis nicht gern gesehen – wie überhaupt alle Kunst, die nicht im Sinne ihrer Propaganda war. So passten auch Porträts von Menschen mit dunklen Haaren und Augen, die exotisch wirkten, Landschaften mit melancholischer Stimmung oder mit südländischer Heiterkeit nicht ins nationalsozialistische Weltbild und galten als „schädlich“. War ein Künstler „nicht arisch“ oder unbequem in seiner Denkweise, wurde ihm ebenfalls das Leben schwergemacht, erfahren die Kursteilnehmer.

Deutlich schildert Andrea Interschick, welche Folgen dies oft hatte: Die als entartet geltenden Werke wurden beschlagnahmt und aus den Museen entfernt. Wer nicht nachweisen konnte, dass seine Arbeit „der Förderung deutscher Kultur in Verantwortung gegenüber Volk und Reich“ entsprach, wurde aus der „Reichskammer der bildenden Künste“ ausgeschlossen, konnte offiziell keine Malmaterialien mehr erwerben und sich nicht an Ausstellungen beteiligen. Und wer, fragte die Künstlerin, kauft Arbeiten, die als „unkünstlerisch“ bezeichnet werden?

„Wir wollen keine perfekten Bilder herstellen“, ermutigt die Künstlerin die Runde, „sondern Fährten legen, die auf die Originale hinweisen“. Nicht die Künstlerin allein sollte die Werke erschaffen, sondern im Miteinander entstanden sie, begleitet von Gesprächen über Gott und die Welt. Auch die Teilnehmer ergänzen einander und sprechen Lob aus. „Das hat mir richtig Mut gemacht“, meint Angelika Hill, Kohlestift und Wachsmalkreide in den Händen. Auf die Idee zum Kurs wurde sie von Ulrike Ludy gebracht, die häufig in Bonifaz anzutreffen ist. „Das fühlt sich an wie ein Wellness-Tag“, sind sich die beiden Freundinnen einig, die sich ähnliche Angebote, ob mit oder ohne ernsten Hintergrund, auch in Zukunft gut im Programm der Gemeinde vorstellen könnten. Sich selbst beim Malen etwas Gutes tun und vor allem die gute Sache unterstützen, das sind auch für andere in der Runde Beweggründe zum Mitmachen.

Hinweis: Ausstellung „In den Spuren … erinnern, würdigen“ vom 27. Januar bis 12. Februar in der Kirche St. Bonifaz in Mainz, Bonifaziusplatz. Geöffnet täglich von 7 bis 19 Uhr.

Von Nicole Weisheit-Zenz

Den ganzen Beitrag mit weiteren Hintergründen lesen Sie in der Print-Ausgabe von "Glaube und Leben" vom 22. Januar 2017

Gibt's was Neues bei Ihnen? - Lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de