„Wir müssen an der Gestalt einer Kirche arbeiten, die sich der Wirklichkeit stellt“, sagt Bischof Peter Kohlgraf im „Wort des Bischofs“ in der aktuellen Ausgabe der Kirchenzeitung zu den Ergebnissen einer „Mitgliedschaftsuntersuchung“. Zu Worten aus Rom äußert er sich kritisch.
Mitte November hat eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern für die evangelische und katholische Kirche die „Mitgliedschaftsuntersuchung“ vorgestellt. In die Studie haben zahlreiche Interviews mit Menschen unterschiedlicher religiöser und gesellschaftlicher Hintergründe Eingang gefunden. Sie gibt damit einen seriösen Einblick, wie Menschen in Deutschland zu Glauben, Religion und Kirche stehen.
Die Ergebnisse der Untersuchung sind für beide großen Kirchen ernüchternd. Nicht nur die Kirchen als Institutionen, sondern auch Religion und der Glaube an Gott spielen kaum noch eine Rolle. Unsere Gesellschaft ist säkular ausgerichtet, was bedeutet, dass sie ihre Werte weitgehend unabhängig von religiösen Definitionen gestaltet. Ich halte es für wichtig, dass wir uns ehrlich machen. Ich durfte die Studie vor einer großen Gruppe von Journalistinnen und Journalisten kommentieren. Zu oft begegne ich noch einem Bild von einer Volkskirche, die irgendwie gerettet werden soll. Das wird nicht gehen. Der Schub der Säkularisierung ist nicht aufzuhalten. Daher stellt sich die Frage, wie eine Kirche der Zukunft aussehen könnte. Fatal wäre der Rückzug in eine kleine und exklusive Gruppe, einem „heiligen Rest“. Wir müssen an der Gestalt einer Kirche arbeiten, die sich der Wirklichkeit stellt und die mit ihrer Botschaft in die Welt hineingeht. Die Kirche wird nicht nur kleiner werden, sondern auch internationaler. Unsere Gemeinden anderer Muttersprachen bringen wichtige Impulse auch in unser Bistum ein.
Dennoch finden sich in der Studie nicht nur negative Perspektiven. Kirche bleibt wichtig. Die Feier der Firmung und der Erstkommunion, die Sakramente und die Seelsorge sind für viele Menschen weiterhin bedeutungsvolle Begegnungsorte mit dem Glauben. Auch der Religionsunterricht wird hochgeschätzt. Die Angebote der Caritas spielen für Menschen eine wichtige Rolle, auch wenn die Caritas nicht von allen als kirchliches Angebot identifiziert wird. Aber es gilt: Caritas gehört zum Wesenskern der Kirche. Es wird zunehmend wichtig werden, Angebote mit Qualität zu machen, nicht in eingefahrenen Spuren zu bleiben. Innovative Ideen müssen hinzukommen, wozu wir auf dem Pastoralen Weg im Bistum Mainz ausdrücklich ermutigen. Personen, die aus der katholischen Kirche austreten, berichten von einer zunehmenden Frustration über die mangelnde Reformbereitschaft ihrer Kirche. Der Missbrauchsskandal trägt zweifellos dazu bei, dass sich Menschen von der Kirche distanzieren. Die Studie zeigt, dass die Themen des Synodalen Weges Machtstrukturen, die Rolle der Frau, das priesterliche Leben und die Be- wertung menschlicher Sexualität besonders relevante Aspekte sind.
Der wiederholte Tadel aus Rom gegenüber der Kirche in Deutschland schadet daher mehr als dass er nützt. Als Bischof bin ich in hohem Maße daran interessiert, das Evangelium in die Gesellschaft zu tragen, aber eben in die reale Gesellschaft, in der wir als Kirche leben. Wir bewegen uns nicht in internen Zirkeln, wie Briefe aus Rom unterstellen.
Meine und unsere Aufgabe ist es, Christus in Tat und Wort zu verkünden. Das wird nur gelingen, wenn wir die Realitäten unserer Zeit nicht ausklammern. Papst Paul VI. hatte 1975 bereits das Auseinanderklaffen zwischen Evangelium und Welt beklagt. Mit der Klage allein kommen wir nicht weiter. Verkündigung wird nicht gelingen, wenn wir nicht damit beginnen, die Themen und Ansätze dieser Welt ernst zu neh- men.
Ihr + Peter Kohlgraf
Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 3. Dezember 2023. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de