Caritaszentrum in Kharkiv (c) Caritas Kharkiv

Aus der „Sackgasse“ kommen

Caritaszentrum in Kharkiv
Datum:
Mi. 20. Mai 2020
Von:
Kirchenzeitung / Alois Bauer

Kirchenzeitung "Glaube und Leben"

In Europa herrscht Krieg. In der Ostukraine. Die Ukraine steht im Mittelpunkt der Pfingstaktion von Renovabis 2020. Eine Delegation aus den Bistümern Fulda, Hildesheim, Limburg, Mainz, Trier und Speyer war in der Konfliktregion.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diözesanstellen Weltkirche aus sechs Bistümern reisten im November mit Renovabis in die Ukraine. Die Gruppe besuchte auch den Osten des Landes, wo seit 2014 ein militärischer Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ausgetragen wird. Alois Bauer, Leiter der Geschäftsstelle Weltkirche des Bistums Mainz, beschreibt seine Eindrücke:
Kharkiw im Osten der Ukraine ist mit 1,5 Millionen Bewohnern die zweitgrößte Stadt des Landes. Wir besuchen das Caritaszentrum der griechisch-katholischen Eparchie – neben dem Parkplatz eines Supermarkts steht ein schlichtes Gebäude. Die erste Etage hat die Caritas für ihre Projektteams sowie für eine Kindergartengruppe und die „Garderobe der Solidarität“ gemietet: eine Kleiderkammer, in der bedürftige Menschen und Familien Kleider erhalten können, die Menschen aus der Stadt beständig spenden. Bedürftig sind hier sehr viele: 200 000 „Displaced Persons“ (DPs), Vertriebene und Geflüchtete aus der Ostukraine, wo seit 2014 Krieg herrscht.
In vielen Familien gibt es Traumatisierte und Verwundete, viele Männer sind gestorben in der Armee oder in den Freiwilligen-Einheiten an der Front. Nahrungsmittel sind sehr teuer, die Mieten für Wohnungen sind stark gestiegen. Die Caritas macht keinen Unterschied  zwischen geflüchteten Familien oder jenen Einheimischen, für die das Leben in der Stadt schwieriger geworden ist. Jede Hilfe wird benötigt – und die „Garderobe der Solidarität“ zeigt, dass viele Menschen in der Stadt bereit sind zu helfen.
Eine Gruppe Frauen arbeitet mit Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom. Sie ziehen Sprossen verschiedener Gemüsesorten – die Kinder gießen regelmäßig die Pflänzchen und sehen das Ergebnis.

 

Gesunde Lebensmittel selbst herstellen

Aus den Pflanzen fertigen sie Smoothies, Reibekuchen und Dips mit Sprossen und anderes. Die Kinder erlernen Fertigkeiten und können mit ihren Familien gesunde Lebensmittel selbst herstellen. Die Gruppe ist inzwischen selbstständig, hat ein Kochbuch veröffentlicht und hegt die Hoffnung, Smoothies und Snacks frei verkaufen zu können. Das Caritas-Zentrum stellt dafür die Infrastruktur bereit. „Samenkörner der Hoffung“ … Die Caritas versucht, mit sozialen Projekten auch Geld zu erwirtschaften, um ihre eigene Arbeit auf solide Basis zu stellen, da sie vom Staat finanziell nicht gefördert wird. 40 Kilometer entfernt von der Frontlinie liegt die Stadt Kramatorsk mit 160 000 Einwohnern.
2014 war sie von Separatistengruppen besetzt und wurde von Freiwilligen-Verbänden wieder zurückerobert. An manchen Fassaden sind noch Einschusslöcher zu sehen. Wir werden begleitet von Pfarrer Vasyl Ivasjuk, Priester der griechisch-katholischen Kirche.
Er hat mehrere Aufgaben: Caritas-Direktor in Kramastorsk, Pfarrer in sechs Pfarreien und Seelsorger beim Militär in der Pufferzone, die beiderseits der Frontlinie jeweils 15 Kilometer breit ist. Das Zentrum in Kramatorsk arbeitet mit etwa 70 Haupt- und mehr als 130 Ehrenamtlichen sehr vielfältig: Es bietet Kinderbetreuung, Kleiderkammer, psychologische Betreuung für die DPs, aber auch eine Holzwerkstatt, in der Kinder wie Erwachsene kreativ sein können. Alle Programme sind jedoch auf maximal drei Jahre begrenzt, da sie über Auslandshilfen finanziert werden müssen. So entsteht der Druck, selbst Einkommen schaffende Maßnahmen zu entwickeln. Der Caritas-Direktor hat einige Ideen, die er vorantreibt: Weinbergschnecken- Zucht, Kerzen-Produktion oder Öko-Tourismus.
Wir fahren weiter in die Pufferzone. Auf den ersten Blick wirkt alles recht „normal“, allerdings sehen wir immer wieder zerschossene Fenster, passieren Checkpoints und sehen einige Militärkonvois auf den Straßen. Zahlreiche Fördertürme von Kohlengruben sind zu sehen – die Räder stehen. Es ist eine recht verlassene Gegend. 

Kinder sind vielfach traumatisiert

In der Mittelschule von Verkhnokamianske mit 1000 Einwohner in der Pufferzone werden wir feierlich empfangen mit Lied und Gedicht, die Kinder sind festlich gekleidet, wir erhalten einen selbstgemachten „Orden“. Wir dürfen teilnehmen an einer Unterrichtseinheit mit einer Psychologin der Caritas Kramatorsk. Sie arbeitet in etlichen Schulen in der Pufferzone, da die Kinder hier vielfach traumatisiert sind durch die Ereignisse der letzten Jahre. So vermittelt sie spielerisch Techniken zum Stressabbau – oft gab es nächtliche Schüsse, Explosionen durch Minen. Das soll helfen, mit den Erfahrungen bewusst umzugehen und sie nicht in Gewalttätigkeit oder Depression umschlagen zu lassen. Wir fragen die Jugendlichen und das Lehrpersonal nach ihren Wünschen – immer wieder sprechen sie von der Hoffnung, dass der Konflikt wirklich endet, dass sie aus der „Sackgasse“ herauskommen, die hier in der Pufferzone konkret wird.


Renovabis fördert die Arbeit der Caritas in der Ukraine mit seiner Expertise und finanziellen Hilfe. www.renovabis.de

bistummainz.de/weltkirche/

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