Was hält eine Gesellschaft zusammen? Eine Antwort: Selbstverständliches zu teilen, zum Beispiel Urlaub zu machen. Doch den kann sich nicht jeder leisten. Das Projekt „Urlaub ohne Koffer“ in Groß-Gerau setzt auf Hilfe zur Selbsthilfe.
Selten wurde so oft über Urlaub geredet wie in diesem Jahr. Corona wirbelt alles durcheinander. Auch Selbstverständlichkeiten. Mindestens einmal im Jahr Urlaub zu machen und dafür wegzufahren, gilt hierzulande als normal. Inzwischen sind mehrere Reisen im Jahr üblich. Für Menschen mit wenig Geld ist das keineswegs so. Auch vor Corona nicht.Seit 2012 bietet die Pfarrgemeinde St. Walburg in Groß-Gerau zusammen mit der Caritas das Projekt „Urlaub ohne Koffer: Ausflüge für einkommensschwache Familien“ an. In diesem Jahr erhielt das Projekt den mit 3000 Euro dotierten ersten Preis des Ketteler-Wettbewerbs .
Bei einem Besuch von „Glaube und Leben“ im Caritaszentrum Rüsselsheim berichten Christine Müller und Eric Niekisch von dem Sozialprojekt, das für die Teilnehmer kostenlos ist. „Ein Kletterpark, die Märchenspiele in Hanau, der Speyrer Dom – das sind Beispiele für Ausflugsziele in der Region, die wir mit den Familien ansteuern. Ein Mix aus Natur und Kultur, erläutert Christine Müller, Caritasmitarbeiterin im „Netzwerk Leben“. Sie gehört mit zum Organisationsteam von „Urlaub ohne Koffer“. Sechs Tagesausflüge in den ersten zwei Wochen der hessischen Sommerferien stellt das Team, das aus zwei Haupt- und drei Ehrenamtlichen besteht, auf die Beine. Zwei Kleinbusse à acht Sitzplätze für die Teilnehmer stehen dem Projekt zur Verfügung. „Aber wir fahren auch mal mit der Bahn oder mit Privatautos.“ Das Orga-Team erarbeitet im Vorfeld einen Plan mit den Tagesausflügen. Die Interessierten können aus dem Angebot ihre Ziele wählen und sich dafür anmelden. Zwar liegt der Schwerpunkt auf Familien, aber auch Einzelpersonen können mitfahren. „Eine Bescheinigung über Bedürftigkeit braucht keiner vorlegen.“
Auf eine gerechte Verteilung der Plätze achtet das Team, wie Christine Müller sagt. Denn inzwischen übersteigt die Nachfrage das Angebot. Auch weil Armut zunimmt und viele sich keinen Urlaub leisten können. „In Groß-Gerau gab es viele Firmen, die irgendwann geschlossen wurden oder abwanderten“, erklärt Eric Niekisch, Leiter des Caritaszentrums Rüsselsheim, die gesellschaftliche Situation in der Region. Familien seien verstärkt von Arbeitslosigkeit betroffen. „Hinzu kam der Zuzug von Geflüchteten ab 2015.“
Das Projekt „Urlaub ohne Koffer“ stärke in mehrfacher Hinsicht den Zusammenhalt, erklärt Eric Niekisch: „Innerhalb der Familie, in der Gesellschaft durch mehr Teilhabe am sozialen Leben sowie unter den Familien.“ Die Menschen kämen heraus aus ihrer Isolation. „Sie lernen andere Familien kennen, und daraus entstehen hilfreiche Kontakte untereinander.“ Auch Bildungsprozesse stoße man damit bei Kindern wie bei Erwachsenen an.
Die Gesamtkosten des Projekts betragen pro Jahr circa 1500 Euro, wovon die Ketteler-Stiftung regelmäßig einen Großteil übernimmt. Eric Niekisch weist auf die Effektivität des Projekts hin. „Hier wird mit relativ wenigen Mitteln viel Gutes erreicht.“
Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 27. September 2020. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de