Wie geht es – mit und nach Corona – weiter mit dem „Pastoralen Weg“ im
Bistum Mainz? Der Arzt Peter A. Schult befürchtet einen Bedeutungsverlust der Kirchen. Deshalb müssten die „neuen pastoralen Wege“ jetzt überdacht werden: Kirche müsse die Sehnsüchte der Menschen wachhalten.
Tatsächlich, die Corona-Pandemie markiert eine epochale Änderung menschlichen Denkens und Handels. Bitterlich werden auch die Kirchen erfahren müssen, dass ein gewaltiges Klientel fernbleibt: jetzt nicht nur die Jungen, sondern auch die Älteren, die aus gesundheitlicher Vorsicht künftig fernbleiben werden, weil sie dauerhaft verängstigt sind und ohnehin zu den stigmatisierten „Risiko-Menschen“ gehören. Für Antworten braucht man keine Kirchen mehr. Man muss kein Zukunftsforscher sein, um zu verstehen, dass „nach Corona“ in der Bevölkerung eine merkliche und angenehme Zunahme nach Fragen über den Sinn des Lebens, die Wertigkeit von Gesundheit, über sinnhafte Inhalte des Alltäglichen und über „Gott und die Welt“ spürbar wird. Aber: Dazu braucht man keine Kirchen mehr. Auch wenn der Mensch ein tiefes religiöses Verlangen hat, so wird er sich künftig eher selbst tastend wechselnde Heimaten des Göttlichen schaffen und diese in der Gesellschaft ebenfalls gespiegelt vorfinden. Während die katholische Kirche ungebrochen an ihren ungelösten Dauer-Themen herumdoktert, sind diese für die Menschen unserer Zeit schon lange nicht mehr relevant. Kein Interesse! Aber wo waren nun in diesen schweren Tagen die wirklich essentiellen, mindestens substanziellen Beiträge und Einlassungen zur Jahrhundert-Katastrophe zu hören? Wo konnte der Blickwinkel für die Glaubensweite der philosophisch-theologischen Gottesfrage vertieft werden, ihr auf neuen Pfaden nachgegangen werden? Kirche ist wohl kein Haupt-Akteur mehr und spielt eher ein bescheidene Nebenrolle. Verschläft sie etwa die Zeichen der Zeit? Bleibt Kirche mit einem Bedeutungsverlust zurück? Wo sind die existentiellen Formen an Lebensdeutungen und Lebensentwürfen – auch und im Besonderen – in Corona-Zeiten? Welche Modelle und welche Räume haben die Bischöfe für die Zukunft als Relevanz der Gottesgläubigkeit und deren spirituelle Möglichkeiten entworfen, jenseits von einer erwartbaren Bere-chenbarkeit? Wo bleiben die Zukunftsvisionen von Kirche und wo die Träume und Antworten, dass Frauen und Männer gleichermaßen berufen sind, die Früchte des Heiligen Geistes in sich zu tragen? Das Wissen um Corona ist nicht billig auf die Seite zu schieben.
Gewiss, sieben Wochen nach dem gottesdienstlichen Entzug hat die offizielle Kirche hygieni-sche und organisatorische Regelungen für eine begrenzte Anzahl von Gottesdienstbesuchern (nach vorheriger Anmeldung) geschaffen und glaubt jetzt „wie in alten Zeiten“ aufrüsten zu können. In Wahrheit ist nicht einmal die Frage nach der Weitergabe des eucharistischen Brotes –trotz Plexiglas und „Brötchen-Stange“ – überzeugend gelöst worden. Was für Fremdheitsgefühle! Die Liturgie hat ihre Grenzen erfahren, ihre spirituelle Tiefe ist eben kaum kompatibel.
Nur, wo bleibt die mentale Reaktion darauf? Es bleibt, dass der sich verschenkende Chris-tus in eine Beziehung mit Menschen treten möchte, trotz hygienisch-medizinischer Vorgaben. Wie gestalten und verstehen wir jetzt, dass das spirituelle Leben von innen nach außen, aber nie von außen nach innen durch Regularien fließen kann? Welche Wege werden sich neu finden lassen? Was sagen die Kommissionen? Und wann?
Neue Wege? – Wer glaubt, der „Pastorale Weg“ oder gar der Synodale Weg könnten hier nach der Corona-Krise ohne offene Debatte über das jetzt gerade gesellschaftlich und kirchlich Erlebte und Zugetragene weiter geführt werden, quasi so wie nach einer Kaffee-Pause, wird abermals irren. Der Bedeutungsverlust an Kirche ist in beklemmender Weise offenkundig und kann nicht durch Regionalreformen kompensiert werden.
Und: Die heute mancherorts gut angedachten Wege sind morgen schon wieder die Wege von gestern. Kirche läuft den Strukturen nach. Neue Pfarreigrenzen können äußerlich zwar zwingend sein, werden aber kaum zur Glaubenstiefe hinführen können. „Das Kirchensystem, das sich seit langem mit sich selbst beschäftigt, braucht den Blickwechsel“, schreibt Johannes Röser in „Christ in der Gegenwart“.
Ärzte und Psychotherapeuten erinnern oft daran, dass Krisenzeiten durchaus Heilszeiten sein können. Da klingt Sinnhaftigkeit an. Wichtig wird wohl bleiben: Das Bild Christi darf in den Kirchen nicht verblassen und im Leben der Menschen schon gar nicht. Christus ist die Software – auch auf Golgata und in den Intensiv-Stationen dieser Zeit – und in der Tiefen-Dimension unseres Lebens sowieso. Das insistierende Wachhalten der Sehnsucht nach Gott, in Lebendigkeit und konzentrierter Freude, bleibt die Herausforderung von Kirche. Sie droht daran zu scheitern.
Diesen Bericht und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 14.Juni 2020. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de