Der Tag, an dem Mainz brannte

Der Mainzer Dom überstand den Krieg recht gut, der Kreuzgang aber wurde schwer beschädigt. (c) Bischöfliches Dom-und Diözesanmuseum
Der Mainzer Dom überstand den Krieg recht gut, der Kreuzgang aber wurde schwer beschädigt.
Datum:
18. Feb. 2025
Von:
Anja Weiffen/ Glaube und Leben

„Mein Schutzengel gab mir ein, um 11 Uhr schon nach Gonsenheim zu fahren, was ich sonst nie tue“, schreibt August Schuchert am 27. Februar 1945 an seine Mutter. Der damalige Mainzer Diözesankonservator und Direktor des Dommuseums verbringt den Schicksalstag in einem Vorort von Mainz. Fliegeralarm um halb fünf Uhr, notiert er. „Wir waren im Keller und beteten laut. Es ist jetzt nachts gegen zehn Uhr und der Himmel über Mainz ist rot vom Flammenmeer.“

Im Schutt fand sich das Fragment mit dem Affen (c) Bischöfliches Dom-und Diözesanmuseum
Im Schutt fand sich das Fragment mit dem Affen

Rund 80 Prozent von Mainz wurden an diesem 27. Februar vor 80 Jahren zerstört. Es war für die Stadt die schwerste Bombardierung während des Zweiten Weltkriegs. Circa 1200 Menschen verloren ihr Leben, so die einschlägigen Zahlen der Historiker.

Zerstörung in 25 Minuten

August Schuchert sorgte sich in jenen Tagen nicht nur um sich selbst, um Verwandte, Nachbarn und Bekannte. Schon von Berufs wegen gingen ihm auch die Schäden an den Mainzer Gebäuden nah: „Wie Menschen in 25 Minuten eine Kultur von Jahrhunderten so zerstören können“, schreibt er. In seinen Briefen, die das Diözesanarchiv aufbewahrt, zählte er unter anderem die Kirchen und Klöster auf, die „total zerstört“, „vernichtet“, „abgebrannt“ waren.

In der Ausstellung „Vom Bombenkrieg gezeichnet. Vergessene Fragmente erzählen Geschichte“ im Mainzer Dommuseum wird auch ein Gemälde von August Schuchert zu sehen sein. Winfried Wilhelmy, der heutige Direktor des Dommuseums und Kurator der Schau, ist seinem Vorgänger dankbar. Denn Schuchert sammelte zusammen mit seinem städtischen Kollegen Fritz Arens die Kunstwerke sozusagen von der Straße auf. Mit dem Leiterwagen zog man durch die Stadt. Abgebrochene Verzierungen von Hausfassaden, Statuen ohne Kopf, angekokelte Hausmadonnen. „Zeugnisse früherer Schönheit und Frömmigkeit“, so Wilhelmy. Vieles landete nach Kriegsende im Depot des Dommuseums und geriet mitunter in Vergessenheit. Anlässlich des 80. Jahrestags der Zerstörung von Mainz haben Winfried Wilhelmy und sein Team mit diesen Fundstücken die Ausstellung gestaltet. „Vieles galt in den einschlägigen Publikationen der Kunstgeschichte als verbrannt“, erläutert der Museumsdirektor die Wiederentdeckungen. „Diese Ausstellung drückt aus, was die vornehmste Aufgabe eines Dom- und Diözesanmuseums ist: Kunstwerke retten, bewahren und nachfolgenden Generationen vermitteln“, betont Wilhelmy. „Gerade in unserem Jubiläumsjahr des 100-jährigen Bestehens ist uns das wichtig, zu zeigen.“

Nicht alle Ausstellungsstücke stammen aus dem Depot. Manche tragen das Etikett „gestern gefunden“, berichtet Winfried Wilhelmy. So tauchte kürzlich ein Kreuz aus der Mainzer St.-Emmeranskirche im Keller des Bischöflichen Ordinariats auf. Auch von Privatleuten bekam die Ausstellung manche Gabe. Zum Beispiel ein handliches Säulenfragment, an das sich ein Affe schmiegt. „Das fand eine 19-jährige Medizinstudentin 1948 im Schutt des Domkreuzgangs“, erzählt Wilhelmy. „Sie war sozusagen Trümmerfrau, half mit aufzuräumen und rettete das Stück.“ Ihre Erben entdeckten es im Nachlass und übergaben es dem Dommuseum. Im Nachhinein stellte sich das Objekt als eine wahre Kostbarkeit der Romanik heraus. Wilhelmy geht davon aus, dass es sich um ein Säulenfragment aus dem 12. Jahrhundert vom Grab des heiligen Bardo handelt: das einzige Grab eines Heiligen, das der Mainzer Dom im Lauf seiner Geschichte aufzuweisen hatte. Unzählige Hände müssen den Stein bei der Verehrung der Grabstätte glatt geschliffen haben. Das Schmuckstück lagerte wohl schon länger im Magazin des Dommuseums, bei der Bombardierung könnte es in den Kreuzgang geschleudert worden sein.

Hässlich wie der Krieg selbst

Museumsdirektor Wilhelmy möchte die Exponate so zeigen, wie sie im Schutt gefunden wurden:  Vom Krieg gezeichnet und dadurch hässlich. „Hässlich wie der Krieg selbst“, betont er. Ihre ursprüngliche Schönheit ist auf Bildern zu sehen, jeweils zu den einzelnen Ausstellungstücken gestellt. Führungen durch die Schau soll es bewusst nicht geben. „Es ist eine stille Ausstellung. Die Menschen können sich die Objekte in Ruhe ansehen und nachdenken.“ Zu sehen sind rund 120 Skulpturen, Gemälde, Schatzkunst sowie etwa 80 Fototafeln mit Ansichten der Stadt Mainz vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.

„Haben wir nichts gelernt?“

Die Botschaft der ausgestellten Fragmente: So sah Mainz 1945 aus. „Auch heute werden wieder im Krieg Kulturstätten zerstört, zum Beispiel in der Ukraine“, sagt Wilhelmy. Die Ausstellung schlägt den Bogen zu den nachfolgenden Kriegsgeschehen der Gegenwart, angefangen von Nagasaki und Hiroshima bis zu Butscha und Mariupol. „Haben wir nichts gelernt?“, fragt sich der Museumsdirektor. Die aktuelle Schau zeigt die Folgen von Krieg, betont er. „Die Schlüsse daraus müssen die Besucherinnen und Besucher selber ziehen.“ Die Ausstellung „Vom Bombenkrieg gezeichnet. Vergessene Fragmente erzählen Geschichte“ ist vom 26. Februar bis zum 27. Juli 2025 im Mainzer Dom- und Diözesanmuseum zu sehen.
Alle Infos auf: www.dommuseum-mainz.de

 

 

 

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