Die Oberrheinische Kirchenprovinz – zu ihr gehört das Bistum Mainz seit 200 Jahren. Kirchengeschichtler Claus Arnold schildert eine Zeit des Umbruchs und erläutert, warum Mainzer Priester einst in Gießen ausgebildet wurden.
Kirchliche Grenzen sind, wenn sie einmal gezogen sind, meist dauerhaft. Vor 200 Jahren verfügte Papst Pius VII., dass die kirchlichen Grenzen den staatlichen Grenzen angeglichen werden sollten. Daraus ging die Oberrheinische Kirchenprovinz hervor, zu der seitdem das Bistum Mainz gehört.
Es mag als geschichtliche Ironie erscheinen, dass das protestantisch dominierte Großherzogtum Hessen heute nur noch in Gestalt des Bistums Mainz als Gebietskörperschaft weiterlebt, nachdem sich die evangelischen Landeskirchen von Nassau und Hessen-Darmstadt bereits 1933 beziehungsweise 1947 vereinigt haben. Die Darmstädter Großherzöge sind heute ferne Gestalten, doch auf dem Brustkreuz der Mainzer Domkapitulare prangt noch das L der Ludwige.
Auch die hessische Exklave Wimpfen, vom Land Hessen verwaltungsrechtlich an Baden-Württemberg abgegeben und evangelisch-kirchlich nunmehr der württembergischen Landeskirche zugehörig, wird vom Bistum Mainz weiterhin gehalten. Gerade im wirtschaftlich eng verbundenen Rhein-Main-Gebiet sind die kirchlichen Grenzen des 19. Jahrhunderts für Neuankömmlinge etwas verwirrend. Wer würde vermuten, dass man bei einer Radtour von der Frankfurter Innenstadt über Offenbach nach Bergen-Enkheim nicht weniger als drei Diözesen (Limburg, Mainz und Fulda) streift?
Dennoch: Der große Vorteil der Neuordnung von 1821 war eben der, dass sie auf Dauer angelegt war. Die jahrzehntelange Unsicherheit endete, das kirchliche Leben konnte nachhaltig neu organisiert werden. Die Regierung in Darmstadt gängelte das neue Landesbistum zwar in vielerlei Weise, aber sie stellte es auch finanziell wieder auf feste Beine. Der Bischof hatte Sitz und Stimme in der ersten Kammer der Landstände des Großherzogtums Hessen. Für die theologische Ausbildung der katholischen Priesteramtskandidaten wurde eine neue Fakultät an der Landesuniversität in Gießen gegründet, die in Mainz auf wenig Gegenliebe stieß und von Bischof Ketteler später zugunsten des Mainzer Seminars erfolgreich wieder ausgetrocknet wurde. Auch in Darmstadt handelte man nach der Maxime, die der preußische Kultusminister Karl Freiherr von Altenstein im Rahmen der kirchlichen Neuorganisation ausgegeben hatte: „Der preußische Staat ist ein evangelischer Staat und hat über ein Drittel katholischer Untertanen. Es stellt sich richtig dar, wenn die Regierung für die evangelische Kirche sorgt mit Liebe, für die katholische Kirche sorgt nach Pflicht. Die evangelische Kirche muss begünstigt werden. Die katholische Kirche soll nicht zurückgesetzt werden – es wird für ihr Bestes pflichtgemäß gesorgt.“
Im Gegensatz zum neuen Bistum Mainz ist die Oberrheinische Kirchenprovinz über weite Strecken ein eher abstraktes Gebilde geblieben. Eine starke innere Bindung an den Metropolitansitz in Freiburg konnte Mainz mit seiner großen Eigengeschichte nie wirklich entwickeln.
Im Gegensatz zu Mainz hat es auch noch kein Freiburger Erzbischof zum Kardinal gebracht. Doch gab es immer wieder einen interessanten Transfer von Persönlichkeiten: Bischof Joseph Vitus Burg brachte im Jahr 1830 Mitarbeiter aus Freiburg mit nach Mainz, die teilweise die strengkirchlichen Elsässer ablösten, welche der napoleonische Bischof Joseph Ludwig Colmar zuvor herangezogen hatte. Mit den Bischöfen Paul Leopold Haffner und Karl Lehmann konnten später weitere „Schwaben“ in Mainz reüssieren. Vor der Wiedergründung der Mainzer Universität im Jahr 1946 spielte Freiburg eine gewisse Rolle als Promotionsort für Mainzer Priester. Auch der spätere Bischof Albert Stohr hat dort 1921 seine Doktorarbeit abgeschlossen. Heute absolvieren die Mainzer Priesteramtskandidaten ihren halbjährigen Vorkurs im Collegium Borromaeum in Freiburg. Und nicht zuletzt gelten die Regelungen des Badischen Konkordats von 1932 immer noch für die Besetzung des Mainzer Bischofsstuhls. Gemeinsam forderten oberrheinische Bischöfe mehr Freiheit vom Staat, Zusammenkünfte der Oberrheinischen Bischöfe waren erst nach der Revolution von 1848 möglich. In gemeinsamen Denkschriften forderten sie 1851 und 1853 mehr Freiheit vom Staat für die kirchliche Selbstverwaltung. Später vollzog sich die Zusammenarbeit eher im Kontext der Fuldaer beziehungsweise der Deutschen Bischofskonferenz. Die pastoralen Herausforderungen in den Bistümern ähnelten sich weiterhin stark. Ein später Ausdruck dieser Tatsache war das gemeinsame Hirtenschreiben der Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz zur Pastoral mit Geschiedenen und wiederverheirateten Geschiedenen von 1993, das römische Kritik nach sich zog.
Heute gehören zur Oberrheinischen Kirchenprovinz das Erzbistum Freiburg als Metropolitanbistum sowie die Suffraganbistümer Rottenburg-Stuttgart und Mainz.
Der Autor des Textes, Claus Arnold, ist Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie Leiter des diözesanen Instituts für Mainzer Kirchengeschichte.
Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 8. August 2021. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de