Mainz. Wer die Wiener Sprachmelodie liebt und einen feinen ironischen Unterton zu
schätzen weiß, ist bei der aktuellen Mainzer Stadtschreiberin Eva Menasse an der richtigen
Adresse. Das fanden wohl auch mehr als 300 Zuhörer, die am Mittwoch, 28. August,
zu einer abendlichen Lesung in der Reihe „Literatur im Dom“ in die Bischofskathedrale
gekommen waren.
Johannes Kohl, ehemaliger Direktor des Katholischen Bildungswerks Mainz, moderierte.
Die Musiker Chris Jones und Harald Koegler von Panta Rhei sorgten für die angemessene
musikalische Umrahmung. Eingeladen zu diesem besonderen literarischen Ereignis hatte die Katholische öffentliche Bücherei am Dom. „Dom und Orgel kommen mir ein bisschen groß vor als Kulisse für meine kleinen Geschichten über kleine Leute“, bekannte Eva Menasse einleitend. Aber der Eindruck verflüchtigte sich schnell, als die 49-jährige gebürtige Wienerin mit der Lesung aus der Erzählung „Neid“ aus dem Band „Lässliche Todsünden“ begann. Das Buch ist in sieben Kapitel unterteilt, die jeweils die Namen der im Katechismus der römisch-katholischen Kirche aufgeführten „lässlichen Todsünden“ tragen: Trägheit, Gefräßigkeit, Wollust, Zorn, Hochmut, Neid und Habgier. Menasse hat die im Intellektuellenmilieu der Gegenwart spielenden Handlungen miteinander verwoben und auch die vermeintlich nicht so schweren Sünden gleiten ineinander über.
Die erste Szene, aus der die Schriftstellerin las, spielt am Rande einer Beerdigung eines „fröhlichen, begabten Fünfundzwanzigjährigen“, dem Sohn eines Hochschulprofessors, bei dem der Ich-Erzähler einst studiert hat. Hier trifft er Ilka wieder, „meine große verflossene Liebe, das heißt, ihre Liebe war vor langer Zeit verflossen, meine nie so ganz“. Es entspinnt sich ein Rückblick, in dem die Erlebnisse der Vergangenheit mit gegenwärtigen Beobachtungen verknüpft werden: „So schaute ich nur auf Ilkas Laufmasche, die in der rechten Kniekehle begann und verlockend nach oben verlief. Ich weiß noch, dass ich in der Vorstellung schwelgte, sie habe sich vorhin in der Kirche unbewusst gekratzt und dabei mit dem Fingernagel das Loch gerissen. Sie würde es hassen, wenn ich sie darauf aufmerksam machte. Sie strebte immer nach damenhafter Perfektion, dabei liegt ihr Charme seit jeher in ihrer Unfertigkeit, ganz allgemein gesprochen.“ Bischof Peter Kohlgraf zeigte sich angetan von Eva Menasses kleinen Alltagsgeschichten, die um Schuld und Sünde kreisen. „Warum bedienen Sie sich der religiösen Sprache“, fragte er. „Ich habe zuvor ein jüdisches Buch geschrieben, darum war nun ein katholisches an der Reihe, weil ich jüdische und katholische Wurzeln habe, könnte ich sagen.“ Aber in Wahrheit sei sie über die Literatur - über Bert Brecht und Kurt Weill - zum Begriff der Todsünden gekommen und zu der Überlegung, wie man diesen Begriff in der Gegenwart denken könne. „Und da kommt Religion ins Spiel, aber auch Psychoanalyse.“
Es gehe um Fehler, die Menschen sich im Verhalten gegenüber anderen Menschen zu Schulde kommen lassen. Laut Kohlgraf beschreibt Menasse das Leben in gestörten Beziehungen. „Sie berichten von Verletzungen und Bösartigkeiten und da sind Sie nah dran an den lässlichen Todsünden, von denen in unserem Katechismus die Rede ist.“ In Menasses Geschichten stecke viel Lebenserfahrung, sagte der Bischof. „Und Sie haben gut beobachtet.“ Die Grundverachtung anderer Menschen sei der Nährboden dafür, dass Böses erwächst. Die Autorin ergänzte: „Die wenigsten Menschen tun Böses, weil sie Böses tun wollen. Der Mensch macht andere Menschen unglücklich, aber das erwächst aus seiner Existenz. Wir können nicht anders. Wir sind auf der Welt und verletzen andere Menschen.“ Ob in ihren Geschichten eine Chance zur Versöhnung bestehe, fragte Kohlgraf. „Es gibt einen Punkt, an dem sich der Mensch entscheiden muss“, antwortete Menasse. „Man kann Geschehenes nicht rückgängig machen, aber man kann versuchen, es zu durchdringen- und dabei können Religion und Psychoanalyse mit einfließen.“ Nach dem Gespräch mit Bischof Kohlgraf las Eva Menasse Auszüge aus „Schmetterling Biene Krokodil“, eine Erzählung aus ihrem Buch „Tiere für Fortgeschrittene“. Die Zuhörer erfuhren von Schmetterlingen, die sich auf den Kopf von Krokodilen setzen, um ihnen die salzigen Tränen wegzusaugen. Auch hier geht es in Wahrheit um Menschen. Sie sind die Schmetterlinge, die sich über die Tränen der anderen freuen und sie auskosten.