Ein Engel im Kreisverkehr

Die Künstler Gregor Merten und Carmen Dietrich bei der Arbeit (c) Kreisstadt Dietzenbach, 2024
Die Künstler Gregor Merten und Carmen Dietrich bei der Arbeit
Datum:
2. Jan. 2025
Von:
von Anja Weiffen/ Glaube und Leben

In Dietzenbach leben Menschen aus 120 Nationen. Für ein friedliches Miteinander setzen sich auch Gläubige verschiedener Religionen ein. Seit Herbst steht als Zeichen ihres Engagements ein Kunstwerk an prominenter Stelle.

 

Die Beteiligten am Dietzenbacher Projekt freuen sich, dass ihr Engel der Kulturen im Kreisel gelandet ist. (c) Kreisstadt Dietzenbach, 2024
Die Beteiligten am Dietzenbacher Projekt freuen sich, dass ihr Engel der Kulturen im Kreisel gelandet ist.

Um ein geflügeltes Wesen dreht sich in Dietzenbach viel – vor allem Autos. Auf einer Verkehrsinsel inmitten der hessischen Stadt, eingerahmt von zwei Palmen, steht seit Ende Oktober ein „Engel der Kulturen“. In der Skulptur sind die Symbole von drei Weltreligionen zu entdecken: der Halbmond für den Islam, der Davidstern für das Judentum und das Kreuz für das Christentum. Die Religionen werden auch als abrahamitisch bezeichnet, angelehnt an den Stammvater Abraham.

 

Durch die besondere Anordnung der Symbole entsteht die Figur eines Engels. Würde eines der Zeichen fehlen, wäre der Engel beschädigt. Die ausgeklügelte Form und das Kunstwerk stammen von den bildenden Künstlern Gregor Merten und Carmen Dietrich aus Burscheid. Ihr Anliegen ist es, mit ihrem Werk ein Friedensprojekt zu schaffen, um den Zusammenhalt in einer multikulturell geprägten Gesellschaft zu fördern.

Kreisel sollte neu gestaltet werden

Dietzenbach hat mit der Skulptur im Kreisverkehr nun den dritten Engel dieser Art. Angeregt hat die Kunstaktion in der Stadt die evangelische Pfarrerin Sandra Scholz. „Der Engel im Kreisel ist mir der liebste“, sagt sie, „ihn sehe ich jeden Tag auf meinem Weg durch unsere vielfältige Stadt“. Angefangen hat alles vor neun Jahren, als die Pfarrerin im evangelischen Dekanat Dreieich-Rodgau nach einem Projekt suchte, das möglichst viele Menschen miteinander verbindet. Sie stieß auf die Kunst von Merten und Dietrich. Den Engel als Motiv findet die Pfarrerin sehr geeignet. „Engel sind eine verbreitete Vorstellung in vielen Religionen. Sie gelten als schützende Begleiter, als Zeichen des Trostes. Sie sind auch Menschen ein Begriff, die sich keiner Religion zugehörig fühlen.“

Wenn Sandra Scholz an die Einweihung des ersten Engels 2016 denkt, geht ihr das immer noch unter die Haut. Das Kunstwerk sollte als Bodenintarsie auf dem Dietzenbacher Europaplatz verlegt werden, wo es auch heute zu sehen ist. „Der Engel wurde in der Figur eines großen Rades quer durch die Stadt gerollt, das war ein tolles Erlebnis. Im Spessartviertel waren die Kinder so begeistert, dass sie vor dem rollenden Engel her tanzten, während ein jüdischer Musiker Klezmer spielte – eine Sternstunde“, erinnert sich Scholz. 

Aus der großen Resonanz des ersten Projekts ging vier Jahre später ein zweiter Engel der Kulturen für den Dietzenbacher Garten der Religionen hervor. Warum nun ein dritter Engel? Die Arbeitsgemeinschaft der Religionen in Dietzenbach nahm vor zwei Jahren den Verkehrskreisel, der neu gestaltet werden sollte, als prominenten Standort für einen weiteren Engel in den Blick. Mit einem konkreten Gestaltungsvorschlag an die Stadt ergriff sie die Initiative in einer öffentlichen Debatte um die Gestaltung des Kreisels. Nach dem Wunsch der Religionsgemeinschaften sollte der Engel auch an diesem Standort ein klares Statement gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Rassismus setzen. Der Engel wurde rein aus Spenden finanziert, die benötigten 16 500 Euro kamen innerhalb von drei Wochen zusammen. Die Projektverantwortung lag bei der Kreisstadt Dietzenbach.

Der Engel im Garten der Religionen spreche eher Menschen an, die sich für Religion interessieren, argumentiert Horst Schäfer, Sprecher und Mitinitiator der Arbeitsgemeinschaft der Religionen in Dietzenbach. „Der Standort an einer zentralen Verkehrsachse wird täglich von tausenden Menschen passiert – als Fußgänger, Rad- oder Autofahrer“, sagt er. „Der Engel, der die drei großen Religionen verbindet, erreicht dort als Kunstform oder Schutzengel viele Bürger unserer multikulturellen Kreisstadt. Er liegt auch nur wenige Meter von der katholischen Kirche St. Martin entfernt.“ Der Engel mache alle Passanten auf den gleichen theologischen Ursprung der drei großen Buchreligionen aufmerksam, zugleich symbolisiere er die Verletzlichkeit des dünnen Bands zwischen den Religionen, betont Schäfer. Der Engel erinnere auch Atheisten und religionsferne Menschen daran, „dass kein Frieden unter den Völkern bestehen kann ohne Frieden zwischen den Religionen“.

Von katholischer Seite setzt sich Wolfram Doetsch besonders für den Engel der Kulturen ein. Als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft hilft er mit, Schulen, Kirchen und Vereine einzubinden. Der Flugkapitän im Ruhestand erzählt, warum ihn das Projekt so sehr interessiert: „Als Pilot war ich gerne im Nahen Osten unterwegs. Ich habe gelernt, keine Berührungsängste zu anderen Kulturen zu haben.“ Vor zehn Jahren initiierte er die Dietzenbacher Flüchtlingshilfe mit, „durch sie habe ich viele Kontakte zu Menschen anderer Religion bekommen“, sagt Doetsch. „Etwa 50 Prozent der Dietzenbacher Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund“, schätzt er. „Durch den Nahost-Konflikt gibt es auch in unserer Stadt Spannungen“, beobachtet er und ist überzeugt: „Die Arbeitsgemeinschaft der Religionen trägt sehr dazu bei, dass sich die verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht so weit voneinander entfernen. Wir reden freundlich miteinander, das finde ich gut.“

Durch ihr interkulturelles Engagement sind die Dietzenbacher nicht nur innerhalb ihrer Stadt, sondern auch über ihre Region hinaus vernetzt. Wolfram Doetsch freut sich zum Beispiel, „dass der Bundeskongress der Räte der Religionen im nächsten Herbst in Dietzenbach tagt“. Und der Engel der Kulturen, den Gregor Merten und Carmen Dietrich in immer neuen Varianten erschaffen, verbindet Dietzenbach mit vielen Städten deutschlandweit und darüber hinaus. 

 

 

» Schützende Begleiter und Zeichen des Trostes. «

Engel der Kulturen

Das Projekt „Engel der Kulturen“ haben Gregor Merten und Carmen Dietrich 2008 initiiert. Seitdem gibt es immer mehr Städte mit ihren Werken, in Hessen etwa Kassel und Dietzenbach. Infos: www.engel-der-kulturen.deZum Projekt in Dietzenbach: www.dietzenbach.de/engel-der-kulturen

Die Beteiligten am Dietzenbacher Projekt freuen sich, dass ihr Engel der Kulturen im Kreisel gelandet ist.

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