Ein guter Ort fürs Alter

Gespräche, Gärtnern oder den Ausblick genießen – auch die Dachterrasse gehört  im Haus Marillac zum Wohnen dazu: (v. l.) Heimleiterin Ulrike Schaider, Erika Kühn,  Helga Janowitz, Johanna Freitag, Irmgard Benthin, Hausleiterin Ute Schneider (c) Anja Weiffen
Gespräche, Gärtnern oder den Ausblick genießen – auch die Dachterrasse gehört im Haus Marillac zum Wohnen dazu: (v. l.) Heimleiterin Ulrike Schaider, Erika Kühn, Helga Janowitz, Johanna Freitag, Irmgard Benthin, Hausleiterin Ute Schneider
Datum:
24. Nov. 2025
Von:
von Anja Weiffen

Es muss nicht gleich das Altenheim sein. Ob Senioren-Wohnanlage, Betreutes Wohnen oder die Wohngemeinschaft: Es gibt verschiedene Wohnformen für das höhere Alter. Auch die Caritas in der Region bietet Optionen. Was ist für wen geeignet? Wie lebt es sich dort? Bericht und Interview aus dem Magazin "Glaube und Leben".

Für Erika Kühn kam die Entscheidung plötzlich. Von heute auf morgen trennte sie sich von ihrem Eigenheim. „Vor zwei Jahren stürzte ich auf der Kellertreppe“, erzählt die heute 88-Jährige. Sie musste für zwei
Wochen ins Krankenhaus. Da sie selbst keine Nachkommen hat, kümmerten sich die Kinder ihrer Schwester um sie. Und darum, wie es weitergehen sollte. „Zurück nach Hause wollte ich nicht mehr. Die Angst war zu groß, wieder zu stürzen“, sagt Kühn. Die Darmstädterin fand einen Platz im Haus Marillac in Bensheim. Die Stadt liegt rund 20 Kilometer von ihrer Heimat entfernt. Vor zwei Jahren eröffnete der Caritasverband Darmstadt dort die Wohneinrichtung für Menschen im Alter. Das Gebäude liegt gegenüber dem Heilig-Geist Hospital, das Stadtzentrum ist nur wenige Gehminuten entfernt. Das Haus Marillac, benannt nach der Ordensfrau Louise von Marillac, bietet sieben Senioren-Wohnungen und drei Wohngemeinschaften für zehn bis 13 Personen.

„Ich bin froh über diese Entscheidung“

Erika Kühn verkleinerte ihre Wohnfläche von früheren 140 Quadratmetern auf ein WG-Zimmer plus großzügiger Wohnküche, die sie sich mit anderen Mieterinnen und Mietern teilt. Zusammen mit ihrem Ehemann hatte sie 1970 ihr Elternhaus umgebaut, nach dem Tod ihres Mannes lebte sie dort allein. „Das hat mir nichts ausgemacht, ich kann gut allein sein.“ Sie hätte auch eine kleine Wohnung im Haus Marillac genommen, aber zu dem Zeitpunkt war nur ein Platz in einer der drei Wohngemeinschaften frei. 

Statt in der WG leben sie im Haus Marillac in Wohnungen: Helga Janowitz und Johanna Freitag, beide 83. Auf jeweils 50 Quadratmetern haben sie ihr eigenes Reich. Johanna Freitag, mit Pflegestufe 1, hat eine Putzhilfe und bekommt Unterstützung beim Anziehen der Kompressionsstrümpfe. Helga Janowitz hat keine Pflegestufe und sogar noch ihr eigenes Auto vor dem Haus stehen. Begeistert zeigt sie ihre zwei Zimmer plus kleiner Dachterrasse mit Ausblick über Bensheim und die Bergstraße. „Mit 75 fing ich an zu überlegen, dass ich in meiner damaligen Wohnung nicht bis ins hohe Alter bleiben wollte“, sagt sie. Sie lebte in Lorsch und arbeitete in Heppenheim. Ihre Wurzeln hat sie in Nordrhein-Westfalen. „Dorthin wollte ich nicht zurück. Ich wusste: Mein Lebensmittelpunkt ist hier.“ Ihre Wohnung in Lorsch war groß, aber ohne Aufzug. Sie machte sich über die Jahre Gedanken: „Kaufe ich nochmal neu? Oder soll ich etwas mieten? Wie kann ich so wohnen, dass ich sicher bin, wenn etwas passiert?“ Helga Janowitz wusste vom Caritas-Bauprojekt in Bensheim und meldete sich dort früh an: „Als ich meine damalige Wohnung verkaufte, hatte ich im Haus Marillac noch keine Zusage. Schließlich hat doch alles geklappt. Ich bin sehr froh, dass ich diese Entscheidung getroffen habe.“ An ihrer Wohnung gefällt ihr besonders, dass sie Nähe und Distanz gut leben kann. Gemeinschaft mit den anderen Bewohnern sei möglich. „Aber ich kann hier auch meine Freiheit haben.“

Caritas im Bistum Mainz ist Vorreiter bei dieser alternativen Wohnform 

Ortswechsel: ein Besuch in Mörstadt bei Worms im Haus St. Martha. Mit dabei ist Beate Schywalski, Referentin für Altenhilfe und Betriebswirtschaft beim Diözesancaritasverband Mainz. In St. Martha leben Menschen mit Demenz in besonderen Wohngemeinschaften (WG) mit karitativem Träger. „Die Caritas im Bistum Mainz ist ein Vorreiter bei dieser alternativen Wohnform für Menschen im Alter“, sagt Schywalski. „Wir sehen trägerorganisierte Wohngemeinschaften als eine große Chance für die Zukunft, um der Versorgungssicherheit zu genügen.“ Es brauche bei der großen Zahl an Menschen, die künftig betreut werden, die großen Einrichtungen, aber auch die kleineren Wohnformen, betont sie. Von der Politik wünscht sie sich mehr Engagement bei der Förderung solcher WGs.

Im Haus St. Martha wird deutlich, warum es solche WGs braucht, vor allem für Menschen mit Demenz. Das gesicherte großzügige Gelände dient dem Schutz der Mieterinnen und Mieter. Tanja Zahn, Leiterin der Wohngemeinschaft, nennt den Begriff der „Hinlauftendenz“ bei Menschen mit Demenz. „Wenn diese spontan entscheiden, irgendwo hingehen zu wollen, dann tun sie das.“ Für Menschen mit Orientierungsverlust kann das problematisch werden. Zahn berichtet von verzweifelten Angehörigen, die keinen Heimplatz für ihre Verwandten mit Demenz finden. „Seniorenheime sind meist nicht auf Menschen mit Hinlauftendenz eingestellt“, sagt die Hausleiterin. In Mörstadt haben die Mieter dagegen Schutz, zugleich viel Freiheit und Unterstützung, einen Garten mit Hühnern und Alpakas sowie einen Blick auf die Felder hinterm Haus. Ihre Zimmer können sie selbst mit ihren Möbeln gestalten und im WG-Leben viel mitbestimmen.

„Seniorenheime künftig sehr teuer“

Während kleine Wohnformen entstehen, gibt es große Pflegeheime, die nicht mehr neuen Standards entsprechen, wo großer Sanierungsbedarf besteht. Kürzlich vermeldete das Seniorenzentrum Stift St. Martin in Bingen die Schließung zum Juni 2026. Manchmal ergänzen sich aber auch Heime und Senioren-Wohnungen wie etwa im Bistum Fulda. Dort gibt es unter anderem in Bad Orb und Kassel Caritas-Wohnanlagen. Ansgar Erb, Vorstandsmitglied des Diözesancaritasverbands Fulda, spricht bewusst von Senioren-Wohnanlagen und nicht von -Residenzen. Letztere hätten in der Regel höhere Mieten als auf dem Markt üblich und seien meist in privater Hand. Die kleinsten Wohnungen der Caritas-Anlagen im Bistum Fulda haben 45 Quadratmeter mit Einstiegsmieten bei rund 450 Euro. Ein Vorteil der Caritas-Wohnanlagen, zumindest im Bistum Fulda, sei die Nähe zu Caritas-Pflegeheimen, sagt Erb. „Mieter können am dortigen Mittagessen teilnehmen, aber auch an Festen und religiösen Feiern.“

Auch im Bistum Limburg geht der Blick über das klassische Heim hinaus. Der Caritasverband Taunus etwa plant in Weilrod eine Wohnanlage für Menschen mit Unterstützungsbedarf. Das Projekt soll in den kommenden zwei Jahren entstehen. 37 Mietwohnungen, eine Tagespflege und zwei Wohngemeinschaften sind vorgesehen. Ziel sei es, ein selbstbestimmtes Leben im vertrauten Sozialraum zu ermöglichen. „Die Caritas möchte mithelfen, den ländlichen Raum attraktiv zu halten“, sagt Benedict Pretnar vom Caritasverband. Das Besondere am Projekt sei „die intelligente Verbindung von digitaler Infrastruktur und persönlicher Betreuung“. Damit reagiere man auf gesellschaftliche Entwicklungen, erklärt er. Seniorenheime in bisheriger Größe würden künftig sehr teuer und es fehle an Personal. „Heime sind für viele unverzichtbar. Sie sind aber nicht in jedem Fall notwendig. Es gibt neue Möglichkeiten, damit Menschen länger selbstbestimmt leben können.“

Im Bensheimer Haus Marillac gehört jedenfalls das Mithelfen im Alltag zum selbstbestimmten Leben. Erika Kühn gefällt das besonders. Da gestaltet jemand den Flur. Oder Mieterinnen probieren ihre Kuchenrezepte aus. Bald wird der Duft selbstgebackener Plätzchen durchs Haus ziehen.