Die derzeitige Kirchenfinanzierung steht vor großen Veränderungen. Die Mainzer Kirchenrechtlerin Anna Ott hat sich in ihrer Doktorarbeit die Frage gestellt: „Kultursteuer statt Kirchensteuer?“
Die Kirchensteuer ist der Grundstein der derzeitigen Kirchenfinanzierung in Deutschland. Dabei wird sie für vielfältige Bereiche innerhalb der Kirche eingesetzt – etwa für die Seelsorge vor Ort, Schulen oder etwa die Caritas. Allerdings stellt nicht nur die andauernd hohe Zahl an Kirchenaustritten die Kirche vor Herausforderungen bei der Finanzierung ihres Auftrags, auch die demografische Entwicklung der katholischen Gläubigen in Deutschland wird zunehmend problematisch.
Deutschlandweit sind laut aktueller Kirchenstatistik 402 694 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten, in den Bistümern Fulda 6016, Mainz 13 550 und Limburg 13 032. Bereits 2017 hat die Deutsche Bischofskonferenz gemeinsam mit der evangelischen Kirche eine Langzeitstudie in Auftrag gegeben. Diese hat neben dem Kirchensteueraufkommen und der Mitgliederentwicklung bis 2060 aufgezeigt, dass insbesondere junge Männer zwischen 25 und 35 Jahren austrittsgefährdet sind. Also die Gruppe mit festen und wachsendem Einkommen.
Mit Blick auf die demografische Entwicklung wird gerade der Ausblick auf die Kirchensteuereinnahmen eine ernstzunehmende Gefahr für den Auftrag der Kirche. Denn in den kommenden Jahren geht die Generation der sogenannten Babyboomer in Rente – und zahlen damit keine Kirchensteuer mehr. Bereits jetzt zahlt nur etwa die Hälfte der Katholikinnen und Katholiken Kirchensteuer. Denn diese ist an eine Erwerbsfähigkeit gekoppelt: Kinder, Erwerbslose, Geringverdienende und nicht Einkommensteuerpflichtige im Ruhestand müssen also keine Kirchensteuer zahlen. (Projektion 2060 |dbk.de)
Höchste Zeit also, dass sich die Kirche in Deutschland überlegt, wie sie Gelder generieren kann.
Vielleicht hilft da ein Blick über die Grenzen, wollte Anna Ott wissen. Sie hat sich im Rahmen ihrer Dissertation mit Alternativen zur Kirchensteuer beschäftigt. Anfang des Jahres veröffentlichte sie ihre Arbeit mit dem Titel „Kultursteuer statt Kirchensteuer? Die deutsche Kirchenfinanzierung auf dem Prüfstand“. Im Folgenden werden einige Aspekte daraus vorgestellt.
Dabei ist zu beachten, dass die Kirchensteuer in Deutschland zusätzlich zur Einkommenssteuer gezahlt wird, im Gegensatz zum Modell der Kultursteuer – hier wird ein Teil der Einkommenssteuer verwendet.
In Italien gibt es seit 1987 den „Otto per Mille“: 0,8 Prozent der Einkommenssteuer aller italienischen Steuerzahlenden können derzeit an 13 mögliche Empfänger aus den Bereichen Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften verteilt werden. Direkt in der Steuererklärung kann man seine Stimme vergeben; wird dies nicht aktiv gemacht, verteilt der Staat die Mittel der nicht gewidmeten Kultursteuer.
Anna Ott führt aus: „Die Verwendung der Gelder unterliegt zuvor mit dem Staat vereinbarten Zwecken, worüber gegenüber diesem Rechenschaft abzulegen ist. Die Zahl derer, die sich für eine Zweckbestimmung zugunsten der katholischen Kirche entscheiden, ist in Italien hoch. Von den gut 40 Prozent der Steuerzahlenden, die im Jahr 2017 eine Widmung vornahmen, wählten fast 80 Prozent die katholische Kirche als Empfängerin aus.“
Auch in Spanien wurde in den 1980er Jahren eine Kultursteuer eingeführt. Die Steuerzahlenden haben hier die Wahl, ihre Kultursteuer in Höhe von 0,7 Prozent der Einkommenssteuer der katholischen Kirche und einem staatlichen Fonds für soziale Zwecke zukommen zu lassen. Weitere Kirchen und Glaubensgemeinschaften erhalten unabhängig von der Kultursteuer staatliche Unterstützung. Seit 2000 können auch beide Empfänger gewählt werden, wohin dann 1,4 Prozent der persönlichen Einkommenssteuer fließen. Ohne Zweckangabe in der Steuererklärung verbleiben die 0,7 Prozent im Staatshaushalt.
In Ungarn beträgt die Kultursteuer rund ein Prozent. Seit 1996 können in der Steuererklärung die katholische Kirche, ein staatlicher Fonds oder eine der 140 gelisteten Kirchen und Religionsgemeinschaften bedacht werden. Zusätzlich kann ein weiteres Prozent der persönlichen Einkommenssteuer wohltätigen und kulturellen Organisationen gewidmet werden.
Doch reichen die Einnahmen aus der Kultursteuer? Nein, konnte Anna Ott feststellen. In Italien, Spanien und Ungarn ist die Kirche zusätzlich auf Spenden und staatliche Zuschüsse für soziale Aufgaben angewiesen.
Auch in Portugal, Polen, der Slowakei und Slowenien gibt es eine Kultursteuer; hier kann der Steuerzahlende jedoch aus einer Vielfalt von karitativen und kulturellen Einrichtungen wählen. Anna Ott fügt hinzu: „In Portugal kommt deshalb den Einnahmen aus kirchlichem Vermögen, in Polen der hohen Spendenbereitschaft der Gläubigen eine wichtige Rolle in der Kirchenfinanzierung zu. Besonders in Slowenien wird die Bedeutung von Stolgebühren (Anmerkung der Redaktion: Gebühren für bestimmte geistliche Amtshandlungen, beispielsweise Taufen oder Hochzeiten) und Messstipendien zur Finanzierung des kirchlichen Personals deutlich.“
Die Kirche in Belgien wird von staatlicher Seite finanziert, die Kirche in Frankreich finanziert sich dagegen nur aus Spenden. In Österreich gibt es einen Kirchenbeitrag ähnlich der hiesigen Kirchensteuer mit dem Unterschied, dass der Beitrag direkt von den Bistümern eingezogen wird.
Kurz zusammengefasst, wäre folgendes Szenario möglich: Aktuell macht die Kirchensteuer acht beziehungsweise neun Prozent der Einkommenssteuer aus. Würde man in Deutschland die Kirchensteuer mit einer Kultursteuer ersetzen, würden die Einnahmen der Kirche radikal schrumpfen. Würden alle katholischen Steuerzahlenden bei einem Kultursteuersatz von 0,7 bis einem Prozent ihren Beitrag an die Kirche geben, käme etwa ein Zehntel der heutigen Kirchensteuereinnahmen zusammen, wie Anna Ott in ihrer Arbeit zusammengestellt hat.
Somit ist eine Kultursteuer für die Kirche keine gute Alternative. Zu viele haben bereits mit der Kirche abgeschlossen, ziehen für sich einen Schlussstrich und treten aus. Und viele würden daher ihre Kultursteuer wohl auch nicht der katholischen Kirche widmen.
Zu sehr sind die negativen Schlagzeilen derzeit im Vordergrund. Zu wenig dringt der eigentliche Auftrag durch. Anna Ott dazu: „Für die Entscheidung, die eigenen Kinder taufen zu lassen oder nicht, spielt nämlich letztlich nicht die formale Mitgliedschaft die hauptsächliche Rolle, sondern eben die gelebte Zugehörigkeit zur Kirche.“
Das derzeitige Finanzierungssystem der Kirche könnte durch Kirchenaustritte, durch den demografischen Wandel und damit verbundenes rückläufiges Kirchensteueraufkommen ins Wanken geraten. Anna Ott kommt zu dem Schluss: „Der Kirche werden (...) zukünftig die finanziellen Ressourcen fehlen, um wie bisher handeln zu können. Kirche wird sich verändern, weil sie sich verändern muss.“ Des Weiteren ist sie überzeugt: „Sparen tut weh, kann aber, wenn Entscheidungen gut überlegt, geplant und umgesetzt werden, verhindern, dass der Kernbereich dessen, was kirchliche Sendung ausmacht, aus finanzieller Sicht in Gefahr gerät.“
Die Kirchensteuereinnahmen werden aus verschiedenen Gründen zurückgehen. Eine Kultursteuer ist zwar eine schöne Idee, hilft aber nicht weiter. Sparen und Immobilien reduzieren, werden allerdings nicht ausreichen, die finanziellen Mittel so vorzuhalten, wie es aktuell noch der Fall ist. Doch wie wird die Kirche ihrem Auftrag gerecht? Wie kann sie wirken?
Mit neuen, kreativen Ideen, die auch in den Gemeinden ausprobiert werden können, sollten weitere Einnahmequellen zu finden sein. Gerade wenn es ums Spendensammeln geht: Gerne wird für Projekte vor Ort gespendet, Fördervereine können hier ein nützlicher Weg sein. Zusätzlich gibt es mit Stiftungen die Möglichkeit, das Geld vor Ort zu halten.
Anna Ott ist sich im Gespräch mit der Redaktion sicher: „Mehr Mitbestimmung der Gläubigen, was mit den Einnahmen passiert, würde dem System guttun.“
Anna Ott ist Leiterin der Stabsstelle Kirchenrecht im Ordinariat des Bistums Mainz sowie Lehrbeauftragte am Fachbereich Praktische Theologie der Katholischen Hochschule Mainz.
Anna Ott: Kultursteuer statt Kirchensteuer? Die deutsche Kirchenfinanzierung auf dem Prüfstand
Ausführliche Darstellung des deutschen Kirchensteuersystems und seiner Genese
Verlag Herder, 1. Auflage 2024, 456 Seiten, 35 Euro; ISBN: 978-3-451-39754-7
Im Kirchenrecht ist festgelegt, dass kirchliches Vermögen in erster Linie für den Auftrag der Kirche zum Einsatz kommt: Verkündigung, Gottesdienst, Nächstenliebe. Damit verbunden sind auch Ausgaben, die die Voraussetzung für diesen Auftrag schaffen, zum Beispiel für Gebäude oder liturgische Gegenstände, ebenso wie für die Gehälter der Hauptamtlichen. Ein Blick auf die Verteilung der Einnahmen in den Bistümern Fulda, Mainz und Limburg.
https://bistummainz.de/finanzen/
https://www.bistum-fulda.de/bistum_fulda/bistum/kirchliche_finanzen/bistumshaushalt/