Bei der Organspende könnte sich demnächst etwas ändern: Weil die Spenderzahlen niedrig sind, wird in der Politik über eine Neuregelung nachgedacht. Die ist umstritten. Ein Gespräch dazu aus dem Magazin "Glaube und Leben" mit Kristina Kieslinger, Professorin für Ethik an der Katholischen Hochschule Mainz.
Im August berichteten Medien über die World Transplant Games in Dresden. Das sind Olympische Spiele für Menschen mit einem gespendeten Organ. Die Bilder zeigten: Organspenden retten Leben. Hier und in anderen Beiträgen werden oft die positiven Seiten des Themas gezeigt. Vielen Menschen aber ist es unangenehm, sich mit Tod und Sterben zu beschäftigen. Sie fragen sich: Wie verändert sich der Sterbeprozess durch die Organspende? Welche Rolle spielen hier Glaube und Spiritualität? Kristina Kieslinger, Professorin für Ethik an der Katholischen Hochschule (KH) Mainz, gibt Einblicke in eine christliche Perspektive auf das Thema.
Aktuell gilt in Deutschland ein Mensch als tot, wenn der Hirntod eingetreten ist. Er ist das derzeitige Kriterium, das eine sogenannte postmortale Organentnahme erlaubt. Aber nur, wenn der Patient dem zu Lebzeiten zugestimmt hat, oder die Angehörigen in seinem Sinn entscheiden. Für eine Organentnahme müssen jedoch die Körperfunktionen weiter aufrechterhalten werden. Der Körper fühlt sich also noch warm an, atmet, wird maschinell am Leben gehalten.
Wann ist ein Mensch tot? Zwar sei diese Frage auf den ersten Blick eine medizinische, sagt Kristina Kieslinger. „Aber sie ist eigentlich eine ethische und anthropologische“, betont die Professorin. „Was macht einen Menschen als Menschen aus? Besteht er nur aus seinen neuronalen Strömen? Ist der Mensch sein Gehirn? Oder – aus christlicher Sicht mit ihrem jüdischen Erbe – ist der Mensch eine leiblich-seelische Einheit?“ Fragen nach Tod und Sterben seien letztlich nie objektiv, sondern beziehen sich auf Menschenbilder, die kulturell definiert sind. Kieslinger verweist dabei auf die Haltung von Alexandra Manzei-Gorsky, einer Professorin am Lehrstuhl für Soziologie der Universität Augsburg, die eine kritische Haltung gegenüber der Organspende hat. Sie war 15 Jahre lang Krankenschwester und ist überzeugt: Hirntote sind Sterbende.
Kieslinger: „Wenn wir den Menschen mit seinem Gehirn gleichsetzen, ist das Hirntod-Kriterium sinnvoll. Wenn wir allerdings den Menschen als eine leiblich-seelische Einheit definieren und einen hirntoten Menschen nicht als tot wahrnehmen, dann sehe ich das differenzierter“, erläutert sie. Einerseits gelte es, rational zu handeln und Angehörigen die Unumkehrbarkeit des Sterbeprozesses zu vermitteln. Andererseits: „Was machen wir mit der Wahrnehmung, dass ein Hirntoter noch lebendig erscheint?“, fragt sie. „Das nicht außer Acht zu lassen, finde ich wichtig, auch aus einer ethischen Perspektive, weil wir sonst das Menschliche übergehen.“
Bisher sind die Hürden zu einer Organentnahme nach dem Hirntod hoch. Das könnte sich ändern. Denn seit einiger Zeit wird auf politischer Ebene über eine Widerspruchslösung nachgedacht. Das hieße: Jeder, der zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widerspricht, wäre ein potenzieller Organspender. Die großen christlichen Kirchen lehnen das ab, auch wenn sie der Organspende positiv gegenüberstehen. In ihrer Stellungnahme betonen die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz (DBK): „Die Organspende ist für Christen eine Form praktizierter Nächstenliebe, auch über den Tod hinaus. Der Organspende gebührt deshalb aus Sicht des Christentums höchste moralische Anerkennung.“ Aber: Eine Organspende muss freiwillig sein, betonen EKD und DBK.
Auch Kristina Kieslinger sieht die Widerspruchslösung kritisch. Die Regelung stehe im Kontrast dazu, dass gesellschaftlich sonst viel Wert auf Autonomie gelegt wird. Sie fragt sich, ob es ethisch gerechtfertigt sei, durch eine Widerspruchslösung „in Kauf zu nehmen, dass Menschen zu Organspendern werden, die gar nicht Spender sein wollen“. Nicht alle könnten sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. Dies betreffe vor allem vulnerable Gruppen, etwa Menschen mit Beeinträchtigung oder Asylsuchende. Zudem ist sie skeptisch, ob sich durch eine Widerspruchslösung die Spenderzahlen wirklich erhöhen. „Selbst wenn alle rund 83 Millionen Deutschen potenzielle Organspender wären, würde dies nicht reichen, um diejenigen mit einem Organ zu versorgen, die eines brauchen.“
Die Professorin verweist auch auf Gesundheitsprävention. So sind Nieren die am meisten transplantierten Organe. Nierenversagen wird vor allem durch Diabetes und Bluthochdruck verursacht. Hier könnte bei der Prävention angesetzt werden. Zugleich wäre dafür zu sorgen, dass Menschen durch bessere Informationen dazu bewegt werden, zu Lebzeiten selbst eine Entscheidung für oder gegen Organspende zu treffen. So bliebe diese schwierige Entscheidung nicht Angehörigen überlassen: Die menschlichen Beziehungen zu berücksichtigen – auch das ein zutiefst christliches Anliegen.
Zu bedenken sei auch, dass bestimmte Inhalte einer Patientenverfügung mit einer Organspende in Konflikt stehen können. Kieslinger: „Wer verfügt, dass er keine lebenserhaltenden Maßnahmen am Ende seines Lebens will, kann keine Organe spenden. Denn für die Entnahme von Organen braucht es diese Maßnahmen.“
Wie sich entscheiden? Kieslinger stellt die Frage nach der Haltung zum eigenen Körper. „Was an mir macht mich als Menschen aus? Wie stehe ich zu dem, was im Tod passiert? Kann ich mir zum Beispiel vorstellen, bei meiner Beerdigung ohne Augen zu sein? Wie wäre diese Vorstellung für meine Angehörigen?“ Bei der Bereitschaft zur Spende gehe es darum, gedanklich vorwegzunehmen, „dass sich mein Körper im Tod sowieso verändert“.
Egal wie, Hauptsache, man entscheidet sich und informiert alle, die darum wissen müssen: Angehörige, Ärzte, am besten durch einen Organspendeausweis und einen Eintrag im Organspende-Register. Bei der Entscheidung ist man frei, betont Kieslinger. Es gebe gute Gründe dafür und dagegen. Als Theologin sagt sie: „Egal, wie ich meinem Schöpfer begegne, mit bestimmten Teilen meines Körpers oder ohne sie, ich werde verwandelt. Für mich ist das auch eine sehr spirituelle Frage.“
Bericht aus dem Magazin "Glaube und Leben" vom 12. Oktober 2025