„Heime regelrechte Todesfallen geworden“

Wigbert Straßburger (c) privat
Wigbert Straßburger
Datum:
17. Juni 2020
Von:
Fragen von Anja Weiffen

„Unsere Zukunft – nicht ohne die alten Menschen“ – So der Titel eines internationalen Appells der Gemeinschaft Sant’ Egidio zur Coronakrise. Wigbert Straßburger, Pfarrer im Ruhestand aus Wald-Michelbach, unterstützt den Aufruf, den Umgang mit alten Menschen zu überdenken.

Maßstab muss immer der Mensch bleiben.

Was ist Ihre Motivation, sich dafür einzusetzen?

Seit vielen Jahren gehöre ich zu Sant’ Egidio, auch im Bistum Mainz sind wir eine kleine Gruppe mit dem Abendgebet in Wald-Michelbach. Die Gemeinschaft hat mit den Worten von Papst Franziskus drei Grundpfeiler: Gebet, Arme, Frieden. Evangelium und Arme sind nicht voneinander zu trennen im Leben von Sant’ Egidio. In Deutschland ist die Einsamkeit der alten Menschen eine besonders verbreitete Armut. Seit vielen Jahrzehnten besuchen wir alte Menschen, vor allem in Heimen. In dieser Pandemie sind alte Menschen am meisten betroffen, daher stammt die Sorge, die im Appell zum Ausdruck kommt. Das möchte ich unterstützen.

Welcher Gedanke ist Ihnen besonders wichtig?

Wir haben bemerkt, dass die großen Institutionen, die eigentlich die alten Menschen schützen sollten, regelrechte Todesfallen geworden sind. Auch in manchen Regionen Deutschlands sind mehr als 50 Prozent der Covid-19 Todesfälle Heimbewohner. Hier ist ein Umdenken erforderlich, auch weil Senioren sich – wie ich mit über 80 Jahren übrigens auch – eine andere Lebensform wünschen: in der Familie, im eigenen Zuhause oder in kleinen Wohngemeinschaften. Außerdem hat es Tendenzen gegeben, die das allgemein anerkannte Recht auf Gleichbehandlung in der Gesundheitsversorgung infrage stellten. Das ist ein Alarmsignal, auf das der Appell aufmerksam macht.

Wie sehen Sie die Lage hierzulande? Wo ist Verbesserungsbedarf?

Zum Glück ist es in Deutschland gelungen, die Gesundheitsversorgung weitgehend aufrecht zu erhalten. Doch vor nicht allzu langer Zeit hat es laute Forderungen gegeben, die Bettenzahlen zu reduzieren, Krankenhäuser zu schließen und damit das Gesundheitssystem noch mehr auf wirtschaftliche Faktoren zu gründen. Das halte ich für gefährlich. Sozial- und Gesundheitssystem dürfen nicht das Geld zum Maßstab machen, Maßstab muss immer der Mensch bleiben.

Fragen: Anja Weiffen

Diesen Bericht und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 21. Juni 2020. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de