Um das Beten als Ausdruck der Beziehung zu Gott geht es im „Wort des Bischofs“ in der aktuellen Ausgabe der Kirchenzeitung „Glaube und Leben". Kurz vor Veröffentlichung der Missbrauchsstudie am 3. März weist Bischof Peter Kohlgraf auch auf das Angebot von Gebetsformaten im Bistum hin.
Vor wenigen Tagen haben wir mit dem Aschermittwoch die Österliche Bußzeit, die sogenannte Fastenzeit begonnen. An diesem Tag wird ein Abschnitt aus dem Matthäusevangelium verkündet, das drei Elemente eines vom Glauben bestimmten Lebens beschreibt: Almosen geben, Beten und Fasten (Matthäus 6. 1-6.16- 18). Der Evangelist sieht einen Zusammenhang zwischen der Nächstenliebe, der Gottesbeziehung und dem kritischen Blick auf das eigene Verhalten. Dieses „Beziehungsdreieck“ soll in der Österlichen Bußzeit in ein Gleichgewicht gebracht werden. Gottesliebe ohne Nächstenliebe geht nicht, genauso wie das Fasten nur dann einen Sinn hat, wenn es das Herz weitet für die Not anderer Menschen und die Dankbarkeit stärkt für die Gaben Gottes, von denen wir jeden Tag leben dürfen. Hier will ich das Beten als Ausdruck der Beziehung zu Gott in den Blick nehmen. Wenn Erfahrungen und Umfragen ergeben, dass die Kirche – wenn überhaupt – als Wertevermittlerin und diakonische Einrichtung (Nächstenliebe) geschätzt wird, aber Menschen in der Regel spirituell von ihr nichts erwarten, also keinen Gewinn für ihr persönliches Glaubensleben (Gottesbeziehung) ziehen, dann läuft etwas grundlegend schief. Für meine eigene Glaubensgeschichte würde ich das so auch nicht sagen. Im Gottesdienst, in der Begegnung mit glaubwürdigen Menschen habe ich das Beten gelernt und den Reichtum der Liturgie und Formen einer echten Frömmigkeit erfahren. Es braucht feste Gebete und liturgische Formen. Ich habe selbst erlebt, wie gut es ist, sich an formulierte Gebete halten zu können, wenn die eigenen Worte versagen. Aber diese dürfen nicht alles sein. Jeden Tag beten Menschen in der Kirche die biblischen Psalmen. Sie zeigen, dass alle Gefühle und Bedürfnisse ihren Platz im Gebet haben. Im Gebet braucht es auch die Stille, das Hören, die Ehrlichkeit der Gefühle, die jemanden im Augenblick des Gebets bewegen. Da haben Lob und Dank ihren Platz, aber auch meiner Trauer, meiner Sorgen, meiner Verzweiflung und Ratlosigkeit muss ich mich nicht schämen. Die heilige Theresia von Avila, eine der großen Meisterinnen des Betens, hat einmal ihre Verwunderung darüber formuliert, warum Menschen sich mit dem Beten so schwertun. Wenn man mit einem Freund zusammen sei, wisse man doch auch, was man sagen wolle und schäme sich nicht. Vor Gott aber sage man Formeln auf oder sei ratlos, was man sagen solle. Sogar das Fluchen, Schimpfen und der Schrei haben in den Psalmen ihren Ort. Am 3. März 2023 wird die Missbrauchsstudie von Rechtsanwalt Ulrich Weber zum Bistum Mainz veröffentlicht. Viele Menschen werden die Ergebnisse nicht nur verunsichern, sondern im Glauben anfechten. Im Dom und an anderen Orten werden wir Gebetsformate anbieten, um die eigene Enttäuschung, Wut und Trauer an Gott abzugeben. Da nehme ich mich keineswegs aus, denn natürlich lassen mich die Erfahrungen der Betroffenen und das systemische Versagen der Kirche nicht kalt. Ich werde beten, vielleicht muss ich es in manchen Themen neu lernen, auch Ratlosigkeit und Dunkel auszuhalten. Mich stärkt dabei, so will ich es ehrlich sagen, dass viele Menschen mit mir beten, für andere beten, und Gottes Unbegreiflichkeit auszuhalten bereit sind, auch in der Trauer, der Wut und den vielen Fragen, die bleiben.
Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 5. März 2023. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de