Kollekte kommt in die Häuser

Adveniat (c) Adveniat
Adveniat
Datum:
14. Dez. 2020
Von:
Der Sonntag, die Kirchenzeitung für das Bistum Limburg

„ÜberLeben auf dem Land“: So ist die diesjährige Adveniat-Weihnachtsaktion betitelt. Denn wer in Lateinamerika auf dem Land geboren ist, der ist dreimal häufiger von Armut bedroht als ein Städter. Ein Gespräch mit zwei Zeitzeugen.

Der eine, Padre Luis Carlos Hinojosa Moreno, ist Direktor der Sozialpastoral im Bistum Quibdó in Kolumbien. Der andere, Thomas Jung, stammt aus Limburg, hat jahrzehntelang in Kolumbien mit der indigenen Bevölkerung gelebt und ist nun beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat verantwortlich für die bundesweite Weihnachtsaktion der Katholischen Kirche in Deutschland.

Die Menschen in Lateinamerika sind dringend auf Unterstützung angewiesen: Die Zahl der Corona-Infizierten hat fast zehn Millionen erreicht, mehr als 350 000 Menschen sind an oder mit dem Virus gestorben. Gleichzeitig sind hierzulande die Kollekteneinnahmen in der Pandemie gesunken. Wie kann es trotzdem gelingen, weiterhin Hilfsprojekte zu finanzieren?

Padre Luis Carlos: Es ist traurig zu sehen, wie viele Menschen wegen COVID-19 sterben müssen. Viele Menschen kämpfen auch, um auf ihrem eigenen Land zu überleben. Denn inmitten der Pandemie erleben sie Gewalt. Das heißt, sie überleben mit dem, was sie derzeit haben. Es ist klar, dass die Kollekteneinnahmen in Deutschland sinken. Viele Projektanträge können künftig vielleicht nicht mehr finanziert werden.

Thomas Jung: Bei Adveniat sind wir sehr besorgt. Natürlich hinterlässt die Pandemie schreckliche Spuren in Deutschland, aber die Zahlen der Infizierten und Toten sind in Lateinamerika sehr viel höher. Die soziale Not war schon vorher enorm und wird durch Corona weiter verstärkt.

In dieser Situation stoßen wir mit der Adveniat-Weihnachtsaktion auf die Herausforderung von weniger Gottesdienstteilnehmern und geringeren Kollekteneinnahmen in den Gottesdiensten. Aus diesem Grund bringt Adveniat in diesem Jahr die Kollekte zu den Menschen: Die Spendentüten werden den Weihnachts-Pfarrbriefen beigelegt und so in die Häuser gebracht. Adveniat ist dieses Jahr auch digital präsent mit der Initiative „Teile dein Weihnachten“, dem digitalen Adventskalender und verschiedenen Angeboten dafür, den Advent und Weihnachten in der Familie zu feiern und gleichzeitig mit Lateinamerika solidarisch zu sein. In diesem Jahr ist die Weihnachtskollekte wichtiger denn je!

Padre Luis, Sie leben in einem Bistum an der Pazifikküste, das als das Armenhaus des Landes gilt. Ihr Bistum Quibdó litt in den vergangenen Jahrzehnten unter der Präsenz bewaffneter Gruppen. – Sie, Herr Jung, haben in Nariño Ähnliches erlebt. Und überall herrscht Korruption. Wie gelingt da das „ÜberLeben auf dem Land?“

Padre Luis Carlos: Für mich sind das vor allem drei Formen. Erstens: „El Trueque“ – eine alte lateinamerikanische Tradition der Solidarität: Ist beispielsweise ein Gemeinschaftsmitglied Fischer und ein anderes Kleinbauer, wird geteilt, was jeder beitragen kann: „Ich gebe dir Fisch, du gibst mir Obst“. Zweitens: Oft fordern die Menschen durch Demonstrationen, Gebetstage mit Kerzen und Friedensaktivitäten bei der Regierung ihre sozialen, kulturellen und ökologischen Rechte ein. Und drittens: Häufig veröffentlicht die Kirche Briefe, in denen sie beschreibt und anklagt, was im Land passiert. Dadurch wird auf die Situation der Menschen und ihre Nöte aufmerksam gemacht und ihr Leben geschützt.

Thomas Jung: Ich habe selbst erlebt, dass die Bevölkerungen in den Dörfern – die indigenen, die afrokolumbianischen und die mestizischen – intensive Beziehungen zu ihrem Land haben. Dabei ist Land mehr als das Stückchen Erde: Es begreift auch den gesamten Lebensraum und ihre kulturelle Identität. Diese sind ihnen Quelle des alltäglichen Lebens. Die innige Verbindung zum Land und die traditionellen Kenntnisse seiner Kräfte lassen die Menschen zusammenstehen und als Gemeinschaften zusammenwachsen. Das unterstützt Adveniat.

Welche Wege gehen Sie, um den Menschen hierzulande die Situation in Lateinamerika vor Augen zu führen – das ist doch unter Corona-Bedingungen besonders schwierig, oder?

Padre Luis Carlos: Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Videokonferenzen, um mehrere Gruppen zu erreichen, auch und besonders mit Studierenden an den Universitäten, Gottesdienste, spirituelle Impulse zum Thema Solidarität, Telefonkonferenzen, Nachrichten auf der Website und eventuell Treffen mit kleinen Gruppen.

Thomas Jung: Viele Veranstaltungen und Begegnungen sind in diesem Jahr ausgefallen. Viele Aktivitäten können nicht stattfinden. Es bleibt uns nur, Interviews, Zeitungen und Zeitschriften, Pfarrbriefe, das Internet und die Sozialen Medien gut zu nutzen. Und das versucht Adveniat. Deutschland und Lateinamerika rücken durch Begegnung zusammen: Das geht in diesem Jahr nur sehr vermittelt. Aber wir hoffen auf die Solidarität unserer Gemeinden.

Adveniat hat im Zusammenhang mit der Pandemie in Lateinamerika 400 Projekte mit knapp sieben Millionen Euro unterstützt. Was brauchen die Menschen dort am dringendsten?

Padre Luis Carlos: Am dringendsten brauchen sie Unterstützung, damit die wirtschaftlichen Aktivitäten wieder anlaufen, denn auf dem Land sind die meisten Kleinbauern, und die brauchen Ernährungssicherheit. Und dann braucht es das Engagement für Gerechtigkeit und Frieden, den Schutz der Umwelt und der Menschenrechte.

Thomas Jung: Inmitten der wirtschaftlichen und sozialen Krise Lateinamerikas haben nur relativ wenige Menschen eine feste Arbeit. Vieles funktioniert in der informellen Arbeit, der sogenannten Schattenwirtschaft. Wer allerdings aufgrund eines Lockdowns nicht das Haus verlassen und arbeiten darf, hat nichts zu essen. Viele haben auch wegen des Hungers der Familie den Lockdown gebrochen. Die Zahl der Infizierten und Toten steigt weiter. Adveniat hat mit seinen Partnern vor Ort Lebensmittel- und Hygiene-Kits an die Ärmsten verteilt und Gemeinschaftsküchen finanziell unterstützt, um das Überleben auch auf dem Land Lateinamerikas zu sichern.

Interview: Heike Kaiser

Dieser Artikel ist erschienen in "Der Sonntag - Kirchenzeitung für das Bistum Limburg" in der Ausgabe vom 29. November 2020. 

 

„ÜberLeben auf dem Land“

Adveniat rückt mit seiner Weihnachtsaktion unter dem Motto „ÜberLeben auf dem Land“ die Sorgen und Nöte der armen Landbevölkerung Lateinamerikas in den Blickpunkt. Die Weihnachtskollekte findet am 24. und 25. Dezember statt.

Spendenkonto bei der Bank im Bistum Essen, IBAN: DE03 3606 0295 0000 0173 45 oder unter www.adveniat.de