Beim Besuch in der Villa Malta: (von links) Dr. Peter Beer, Dozent am IADC, Weihbischof Udo Markus Bentz, Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars, und Pater Zollner, Direktor des IADC. (c) IADC

Konzept muss gelebt werden

Beim Besuch in der Villa Malta: (von links) Dr. Peter Beer, Dozent am IADC, Weihbischof Udo Markus Bentz, Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars, und Pater Zollner, Direktor des IADC.
Datum:
Fr. 10. Nov. 2023
Von:
Anja Weiffen

Wie gut ist das Bistum Mainz beim Umgang mit sexueller Gewalt aufgestellt?  Bei einem Besuch in Rom bei Kinderschutzexperte Pater Hans Zollner gab es für das Bistumskonzept Lob und zugleich den kritischen Blick von außen. Ein Bericht aus der aktuellen Ausgabe von Glaube und Leben.

Die erschütternden Inhalte der Missbrauchsstudie EVV bewegen viele Menschen im Bistum Mainz. Im März wurde der Abschlussbericht von „Erfahren. Verstehen. Vorsorgen“ vorgestellt. Auch der in Rom ansässige Kinderschutzexperte Pater Hans Zollner SJ  (Ordenskürzel der Jesuiten, Societas Jesu) verfolgt die Maßnahmen des Bistums gegen Missbrauch, weiß Ordinariatsdirektorin Stephanie Rieth. „Er findet unsere Herangehensweise an das Thema gut“, betont sie. „Er gibt aber auch zu bedenken, dass unser Konzept gegen sexualisierte Gewalt gelebt werden muss.“ Im Gespräch mit „Glaube und Leben“ erzählt die Bevollmächtigte des Generalvikars vom Besuch bei Pater Zollner. Zusammen mit Weihbischof Udo Markus Bentz nahm sie während einer Romreise mit einer Jugendgruppe im Vorfeld der Weltsynode Anfang Oktober eine Einladung des Jesuitenpaters an.

Täternamen sollen nicht veröffentlicht werden

Hans Zollner war bis März dieses Jahres Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission (siehe auch „Zur Person“). Aktuell leitet er das „Institut für Anthropologie – Interdisziplinäre Studien zu Menschenwürde und Sorge für schutzbedürftige Personen“ (IADC) an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Er gilt als ausgewiesener Experte in Sachen Prävention gegen sexualisierte Gewalt in der Kirche. In Kontakt kamen Bentz und Rieth mit ihm, weil er sich unter anderem zur EVV-Studie geäußert hatte. „Als Fortsetzung des Gesprächs lud er uns an seinen Arbeitssitz in die Villa Malta nach Rom ein“, erzählt Stephanie Rieth.

„Wichtig ist so ein Austausch wie mit Pater Zollner vor allem deshalb, weil ich es fatal finde, wenn wir nur intern über unser Konzept sprechen würden“, betont Rieth, die in der Bistumsleitung für Prävention, Intervention und Aufarbeitung verantwortlich zeichnet. „Es braucht regelmäßig die Resonanz von außen. Und immer wieder neu.“ Denn auch externe Beratung könne auf Dauer wieder in eingefahrene Spuren geraten, merkt die Ordinariatsdirektorin an.

Mehr externe Resonanz, das ist einer der Punkte, den Zollner den beiden Vertretern des Bistums Mainz mit auf den Weg gegeben hat, berichtet Rieth. Ein Schritt in diese Richtung ist der neue Betroffenenbeirat, der im Bistum Mainz gegründet werden soll („Glaube und Leben“ berichtete in Nummer 44). Ein gemeinsamer Beirat mit den Bistümern

Fulda und Limburg war im Herbst 2022 gescheitert. Auch Zollners Rückmeldung, dass das Konzept zum Umgang mit sexualisierter Gewalt Gefahr laufen könne, im Abstrakten stecken zu bleiben, beschäftigt die Bevollmächtigte des Generalvikars. „Wie gelingt es uns, die Menschen im Bistum auf allen Ebenen bei diesem Thema mitzunehmen? Wie gelingt es, eine Bewegung anzustoßen?“

Was das Bistum Mainz auf keinen Fall tun will: Eine Liste mit Namen von Tätern oder mutmaßlichen Tätern herausgeben wie kürzlich das Bistum Aachen. „Dagegen gibt es eindeutige Argumente. Das wäre ein kirchlicher Sonderweg, der einfach keine Rechtssicherheit bietet. Die Folgen könnten wir nicht angemessen bewältigen, vor allem nicht im Sinne der Betroffenen“, sagt Stephanie Rieth. „Außerdem hat die sehr umfassende EVV-Studie in den Gemeinden bereits vieles angestoßen und das Thema sexualisierte Gewalt ins Bewusstsein gerufen, sodass wir damit bereits eine sehr große Transparenz erreicht haben.“

Mit von Missbrauchsfällen betroffenen Gemeinden steht die Bevollmächtigte des Generalvikars in Kontakt. Aber wie sieht es in der Fläche des Bistums aus? Reichen Schulungen und das Einfordern polizeilicher Führungszeugnisse? Eine Gelegenheit, um sich als Gemeinde oder Einrichtung mit Prävention intensiver zu beschäftigen, ist das Erstellen der zurzeit vom Bistum eingeforderten „Institutionellen Schutzkonzepte“ (ISK). Diese sollen vor Ort erarbeitet werden. Auf die Frage, ob das Verfassen von Schutzkonzepten nicht zu textlastig sei und angesichts von vielen bereits bestehenden Informationen zum Thema überfordernd sein könne, antwortet Rieth: „Vor Ort gibt es ganz unterschiedliche Bedingungen, zum Beispiel auch räumlich. Ein Gemeindezentrum mit dunklen Ecken ist etwas anderes als ein Gemeinschaftsraum, der gut ausgeleuchtet ist. Auch macht es einen Unterschied, ob in einer Kirchengemeinde ein Jugendverband aktiv ist oder die Pfarrjugend von nur einer Person wie etwa dem Pfarrer oder dem Gemeindereferenten betreut wird.“ Daher sei das Erarbeiten eines Schutzkonzepts vor Ort sinnvoll und helfe, Schutzmaßnahmen zu strukturieren und dabei auch blinde Flecken zu finden, erläutert Rieth. Auch ein jeweiliger Verhaltenskodex soll in diesem Zuge entwickelt werden. „Zugleich müssen wir aufpassen, dass wir uns und das System nicht überfordern. Wir müssen auch zu eigenen Grenzen stehen“, nennt Rieth einen weiteren Punkt aus Zollners Analyse.

Texte allein  helfen nicht

Die Bevollmächtigte des Generalvikars hat Zahlen zum Institutionellen Schutzkonzept parat: „Dreiviertel aller Pfarreien  im Bistum, teilweise auch auf der Ebene der Pastoralräume haben sich auf den Weg gemacht, ein ISK zu erstellen. Das ist ein gutes Signal. Beim übrigen Viertel werden wir nachhaken.“ Die ISK seien aber nicht dazu da, um im Schrank zu stehen. Rieth: „Es muss uns gelingen, dass Gemeinden über sexualisierte Gewalt und deren Vorbeugung sprechen, ohne dass es dazu einen Anlass geben muss. Texte allein helfen nicht. Die Hauptsache ist, wirklich miteinander darüber ins Sprechen zu kommen, sprachfähig zu werden und so die entsprechenden Haltungen zu entwickeln .“ Ziel müsse sein, „unsere gesamte Diözese auf allen Ebenen zu einem sicheren Ort für vulnerable Personen zu gestalten. Das heißt, dass Kinder und alle Personen, die des Schutzes bedürfen und verletzbar sind, etwa auch Menschen in Lebenskrisen, sich bei uns in ihren eigenen Grenzen geachtet erleben“.

https://bistummainz.de/organisation/gegen-sexualisierte-gewalt/

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ZUR PERSON

Hans Zollner
Der Jesuitenpater Hans Zollner stammt aus Regensburg, ist Theologe, Psychologieprofessor und Psychotherapeut. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der von Papst Franziskus 2014 eingerichteten päpstlichen Kinderschutzkommission. Im März gab Zollner seinen Rückzug aus der Kommission bekannt und nannte in diesem Zuge strukturelle Probleme der Kinderschutzkommission. Hans Zollner leitet zudem das Institut für Anthropologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Unter anderem bietet das Institut ein zweijähriges Master-Studium Safeguarding (internationaler Begriff für Prävention)