Recht gegen Rechts

Dr. Christoph Krauß (c) privat
Dr. Christoph Krauß
Datum:
14. Jan. 2024
Von:
Anja Weiffen

Am 27. Januar wird der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Das Bistum Mainz beteiligt sich an den Veranstaltungen zum Gedenktag. Ein Schwerpunkt ist die Frage: Wie schützt der Rechtsstaat vor Rechtsradikalismus? Antworten aus christlicher Perspektive.

2018 endete einer der größten Gerichtsprozesse in Deutschland: Fünf Jahre lang standen dabei die Taten des NSU im Mittelpunkt. Zehn Menschen wurden vom Nationalsozialistischen Untergrund ermordet, darunter neun aus rassistischen und fremdenfeindlichen Motiven. Weitere Mordversuche und Anschläge gingen auf das Konto der rechtsextremen Terrorzelle. Beate Zschäpe, die einzige noch Lebende unten den Haupttätern des Terror-Trios, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. „Hier hat sich der Rechtsstaat als wehrhaft gezeigt“, sagt Christoph Krauß, Referent für Gerechtigkeit und Frieden im Bischöflichen Ordinariat in Mainz.

Kann sich ein demokratischer Staat mit Rechtsmitteln vor der Gefahr rechtsextremer Gewalt und Ideologie schützen? Diese Frage wirft eine Veranstaltung zum Gedenktag 27. Januar auf, an der sich das Bistum Mainz mit der Geschäftsstelle Weltkirche/Gerechtigkeit und Frieden beteiligt. Bundesweit erinnert dieses Datum an die Verbrechen der Nazis. Mit Veranstaltungen wird der Opfer gedacht und die NS-Zeit in den Blick genommen. Das Bistum Mainz beteiligt sich seit vielen Jahren am Veranstaltungsprogramm des Landes Rheinland-Pfalz. Am Samstag, 27. Januar wird der Journalist und Jurist Ronen Steinke im Tagungshaus Erbacher Hof in Mainz zum Thema Recht und Rechtsextremismus sprechen. Veranstalter des Vortrags mit Diskussion ist der Verein Rheinhessen gegen Rechts, einer der Kooperationspartner die Geschäftsstelle Weltkirche/ Gerechtigkeit und Frieden. „Wir wurden von Rheinhessen gegen Rechts angefragt, ob wir uns an der Veranstaltung beteiligen, und Ronen Steinke ist ein absoluter Experte, hat jahrelang zu dem Thema geforscht“, erläutert Christoph Krauß die Mitarbeit. „Das Thema ist wichtig. Wir sehen gerade, dass der Rechtsstaat bis zur Belastungsgrenze ausgenutzt wird und Gefahr läuft, ausgehöhlt zu werden.“ Die gesellschaftlichen Fliehkräfte würden stärker, zunehmend stünden Partikular-Interessen im Vordergrund. Krauß nennt als Beispiel die Meinungsfreiheit, eines der Merkmale eines demokratischen Rechtsstaats. „Wo hört Meinungsfreiheit auf, wenn es etwa um menschenverachtende Kommentare geht? Was ist vom Gesetz gedeckt?“ Ein aktueller Streitfall in der Region ist das AfD-nahe „Zentrum Rheinhessen“ im Mainzer Ortsteil Hechtsheim, dem die Stadt Mainz die Nutzung eines ehemaligen Autohauses als Versammlungsorts untersagt hat. Helfen rechtliche Mittel gegen rechtsextreme Umtriebe? „Ja. Es werden klare Grenzen gesetzt“, antwortet Krauß. Eine Schwierigkeit sei aber, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, um rechtsextremistischen Gruppen den Boden zu entziehen und ihnen nicht erst durch Bestrafung, wie beim NSU-Terror geschehen, juristisch beizukommen.

„Christen stehen an der Seite der Schwachen“

Der Blick in die Vergangenheit mahnt, so Krauß, was passieren kann, wenn der Rechtsstaat abgeschafft, wenn er pervertiert wird. Auch die Nazis hatten „Gesetze“. Die basierten aber nicht auf den Menschenrechten, sondern auf Stigmatisierung, Ausgrenzung, Verachtung, Hass. Bei ihnen war nicht jeder Mensch vor dem Gesetz gleich. „Ein demokratischer Rechtsstaat muss sich daher auch gegen seine Feinde verteidigen“, betont Krauß. Anlässlich des Jubiläums „75 Jahre Grundgesetz“ in diesem Jahr sagt der Referent: „Es ist gut zu wissen, wo unser Grundgesetz herkommt, dass es nach dem Krieg eine Antwort auf das Ende des Rechtsstaats während des Nationalsozialismus war“ und eine Lehre aus den Fehlern der Weimarer Republik. Mit Verfahren wie den Auschwitz-Prozessen, die vor 60 Jahren stattfanden, versuchte Deutschland die NS-Verbrechen wie die Massenmorde an den Juden juristisch aufzuarbeiten. Auf die Frage, warum sich die Kirche an einem politischen Thema beteiligt und die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus für Christen wichtig ist, sagt Christoph Krauß: „Christen stehen an der Seite der Schwachen. Das Leid der Opfer soll nicht vergessen werden. In der Kirche gibt es das Prinzip ,Option für die Armen und Marginalisierten‘. Die Erinnerungskultur soll eine Mahnung sein, solches Leid zu verhindern.“ Generell gehört das Totengedenken zur christlichen Kultur. Zudem stelle sich die Frage, warum in einer Zeit, in der das Christentum gesellschaftlich präsenter war als heute, der Holocaust geschehen konnte. „Es gab Menschen, die in der Kirche aktiv und zugleich in den Anfangsjahren vom Nationalsozialismus begeistert waren“, gibt der Bistumsmitarbeiter zu bedenken. Er betont ein theologisches Argument: „Die Gleichheit vor dem Gesetz, die Gleichberechtigung aller Menschen, ziehen Christen aus der Ebenbildlichkeit Gottes. Sie schützt vor Willkür und damit vor allem auch die Schwächeren. Die Freiheit des einzelnen endet an der Freiheit des anderen.“

Erinnerungsarbeit mit aktuellen Fragen verknüpfen

Christoph Krauß ist seit Sommer Referent für Gerechtigkeit und Frieden im Bistum Mainz. Das kirchliche Engagement zum 27. Januar war in der Vergangenheit von einer ökumenischen Arbeitsgruppe, auch von Mitarbeitenden des Bischöflichen Ordinariats, ehrenamtlich gepflegt worden. Anfang 2023 löste sich die Gruppe auf. Krauß will die Gedenkarbeit fortführen und auf Kooperationen setzen wie aktuell mit Rheinhessen gegen Rechts. Zudem sucht er Interessierte, die sich in dieser Arbeit engagieren wollen. „Im Bistum selbst kann ich mir gut vorstellen, künftig mit einer Handreichung für Gottesdienste zum 27. Januar vom Deutschen Liturgischen Institut zu arbeiten.“ Wichtig ist Christoph Krauß, den Gedenktag mit aktuellen Fragen zu verbinden, „damit sich das Gedenken nicht in Kranzniederlegungen erschöpft“.

Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 21. Januar 2024. 

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