Seelsorger für die Städte

Datum:
27. Aug. 2025
Von:
Interview: Anja Weiffen/ Glaube und Leben

In der Region gab es einige Augustinergemeinschaften. In Mainz zum Beispiel erinnert die Augustinerkirche prominent in der Fußgängerzone an ihre Präsenz. Jan Turinski, Kirchenhistoriker im Bistum Mainz, skizziert im Interview Magazin "Glaube und Leben"  die Bedeutung des Ordens für die Stadt.

Papst Leo XIV. ist Augustiner. Seit seinem Amtsantritt ist das Interesse an dem Orden neu geweckt. Auch in der Region gab es Gemeinschaften – vor allem im Mittelalter. Spuren erzählen von Zeiten des Umbruchs. Der 28. August ist der Gedenktag des Kirchenvaters, des hl. Augustinus von Hippo. (354-430)

Was zeichnet die Augustiner durch die Jahrhunderte hindurch aus? Was ist ihre DNA?

Der Orden trägt zwar den Namen des Augustinus von Hippo, er wurde aber nicht von ihm gegründet. Erst 800 Jahre nach dessen Tod betritt der Augustinerorden die Bühne der Weltgeschichte. Entstanden ist er im13. Jahrhundert durch den Zusammenschluss mehrerer italienischer Eremitenorden, initiiert von der römischen Kurie. Einige dieser Orden lebten bereits zum Teil nach der Augustinusregel. Augustinus diente den Augustinereremiten, so der Name des Zusammenschlusses, nicht nur als Namensgeber, sondern auch als Vorbild.

Augustinus von Hippo hatte zu seinen Lebzeiten ein Kloster gegründet und Regeln für das gemeinschaftliche Zusammenleben aufgestellt: die sogenannte Augustinusregel. Sie regelt das klösterliche Leben aber nicht bis ins Detail. Vielmehr gibt sie die Rahmenbedingungen des Gemeinschaftslebens vor und betont vor allem die Liebe zu Gott und den Nächsten sowie ein Leben in Einfachheit und Demut.

Wie lebten die Augustiner im 13. Jahrhundert?

Sie orientierten sich an der Vita apostolica, das heißt am Ideal des Lebens der urchristlichen Gemeinde sowie an der dem Evangelium gemäßen Armut. Zudem wurden sie früh neben den Franziskanern, Dominikanern, Karmeliten zu den Bettelorden gezählt. Da zeigt sich schon ihre wesentliche Aufgabe: Als Bettelorden siedelten sie sich nicht irgendwo in der Abgeschiedenheit an, wie wir das von anderen Klöstern kennen, wie etwa bei den Benediktinern oder Zisterziensern, sondern sie gingen in die Städte. Sie wirkten vor Ort und kümmerten sich um die Seelsorge, nahmen die Beichte ab und predigten vor dem Volk. Später betrieben sie auch Mission. Zugleich legten sie großen Wert auf eine gute theologische Bildung und sahen im Studium der Theologie eine Grundlage des Ordens – gleich mehrere bedeutende Theologen des Mittelalters waren Augustiner.

Was zog einen Bettelorden wie die Augustiner in eine Bischofsstadt direkt an den Dom? Ihr damaliges Klostergebäude, das heutigePriesterseminar, sieht nach heutigen Maßstäben nicht nach Bettelorden aus.

Die Augustiner gingen wie auch die anderen Bettelorden direkt ins Zentrum der Stadt, um sich der Seelsorge anzunehmen. Mainz war damals viel kleiner als heute, eine Stadt, die aber stark wuchs und im ausgehenden 13. und beginnenden 14. Jahrhundert aufblühte. In dieser Zeit zogen immer mehr Menschen vom Land in die Städte, was zu einem erhöhten Bedarf an Seelsorge innerhalb der Stadtmauern führte. Genau in dieser Zeit kamen auch die Augustinereremiten nach Mainz, um dort pastoral, sozial und diakonisch tätig zu sein: wahrscheinlich um 1260 und damit während der Regierungszeit des Erzbischofs Werner von Eppstein. Sie wurden mit offenen Armen empfangen und früh von erzbischöflicher Seite durch Privilegien gefördert.

Aber wie war das mit der Armut? War damals den Bettelorden nicht jeglicher Besitz versagt?

Eine sehr spannende Frage, die auch den Augustinerorden in der Frühzeit intensiv beschäftigte. Im Kern der Diskussion stand die Frage nach der Tragweite des Armutsideals, das bei den Bettelorden hochgehalten wurde. In der Anfangszeit des Ordens lassen sich zwei unterschiedliche Auffassungen feststellen. Die einen lehnten jegliches, auch kooperatives, also gemeinschaftliches Eigentum ab. Auf der anderen Seite standen diejenigen, die kooperatives Eigentum für den Orden befürworteten. Man rang um eine einheitliche Linie. Mitte des 14. Jahrhunderts setzte sich die Auffassung durch, dass gemeinschaftliches Eigentum erlaubt sei. Dies wurde vom Konzil von Trient (1545 bis 1563) bestätigt.

Aber es heißt ja Bettelorden.

Der Begriff Bettelorden verleitet dazu zu denken, dass die Ordensleute alle Bettler waren und nur durch Almosen und ohne Besitz lebten. Das trifft es aber nicht ganz. Das Betteln war ein Bestandteil des Lebensunterhalts, aber nicht der hauptsächliche und keinesfalls der alleinige. Heute noch bekannt ist beispielsweise dasAugustiner-Bräu in München, das Augustinerbier, das spätestens ab dem frühen 15. Jahrhundert von Augustinereremiten gebraut und zeitweise auch an den Hof der Wittelsbacher geliefert wurde. Das zeigt: Es gab bei ihnen das Ideal, den Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu verdienen. Vom Namen „Bettelorden“ darf also nicht automatisch auf absolute Besitzlosigkeit und eine radikale Form der Armut geschlossen werden.

Warum existiert heute keine Augustinergemeinschaft mehr in Mainz?

Das hängt eng mit den Kriegen gegen das revolutionäre Frankreich im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert zusammen. In den Friedensschlüssen wurde der Rhein als Grenze zwischen dem Alten Reich und Frankreich anerkannt, Mainz wurde daraufhin von Franzosen besetzt, die Stadt wurde Französisch. 1802 gab es einen Beschluss, dass alle geistlichen Gemeinschaften aufgehoben werden sollten. Ihr Besitz wurde verstaatlicht. Damit endete nach rund 540 Jahren die Geschichte der Augustiner in Mainz.

Wie haben die Augustiner Mainz geprägt? Waren sie so etwas wie die Vorläufer der heutigen Cityseelsorge?

Zusammen mit anderen haben sie die Stadtseelsorge geprägt. Es lässt sich belegen, dass sie damals gepredigt und die Beichte abgenommen haben. Die Bedeutung der Augustinereremiten für das geistliche Leben in Mainz ist auch daran zu erkennen, dass vom beginnenden 13. bis zum ausgehenden 14. Jahrhundert ein Dutzend Weihbischöfe aus den Reihen der Augustiner kam. Auch im 17. Jahrhundert gab es einen Weihbischof, der Augustinereremit war. Zudem haben verschiedene Augustiner das theologische Leben in Mainz mitgeprägt und waren Dekane der theologischen Fakultät.

Welche heute noch sichtbaren Spuren gibt es?

Außer der Augustinerkirche, der Augustinerstraße und dem Namen des Gasthauses Augustinerkeller, gibt es kaum etwas, was an den Orden in Mainz erinnert. Aber wenn man bedenkt, dass sich bis auf die „Franziskanerstraße“ nahezu nichts findet, was auf die Franziskaner hinweist – auch dieser Bettelorden war in der Stadt aktiv – dann ist das schon viel. Wer sich durch Mainz bewegt, geht an vielen Orten vorbei, an denen einmal Klöster und Kirchen standen und geistliches Leben vollzogen wurde. Von vielen dieser Stätten ist nichts mehr übrig, sie sind verschwunden und laufen Gefahr, in Vergessenheit zu geraten.