Versöhnung macht nichts ungeschehen

. (c) Bistum Mainz |Feldmann
.
Datum:
12. Sept. 2024
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

"Ich sehe unseren christlichen Beitrag darin, Debatten anzuregen und auch mal Sand ins Getriebe zu streuen. Aber neben politischen Stellungnahmen und Debattenbeiträgen liegt für mich der Reiz christlicher Friedensarbeit in Begegnungen, die kleine Beiträge sind, mehr als Worte zu produzieren." Im aktuellen Magazin "Glaube und Leben" äußert Bischof Kohlgraf sich in der Rubrik "Perspektiven" zum Thema Frieden und Versöhnung sowohl in seiner Erfahrung  bei Gedenkveranstaltungen als auch angesichts der aktuellen Situation in der Welt.

Die Aufgabe als Präsident der deutschsprachigen Sektion von Pax Christi ist in den letzten Jahren sicher noch herausfordernder geworden als vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine und dem Massaker der Hamas an Jüdinnen und Juden am 7. Oktober 2023. Wir alle erleben wohl mit Sorge die Diskussionen um eine angemessene Verteidigung und sehen die Zuspitzung der Gewaltbereitschaft überall, nicht nur an diesen beiden Kriegsschauplätzen. Arbeitsgruppen und Engagierte von Pax Christi haben immer wieder Stellung bezogen, oft auch kontroverse Debatten ausgelöst. Pazifistische Positionen mögen manchen stören, sie sind derzeit – so scheint es mir – nicht mehrheitsfähig. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass es sie geben muss, weil sie andere scheinbare Selbstverständlichkeiten in Frage stellen. Ich habe mich zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Katholikentag in Erfurt dahingehend geäußert, dass ich es für mehr als problematisch halte, wenn nur von uns Christinnen und Christen die unhinterfragte Botschaft ausgeht, wir müssten mehr Waffen liefern und mehr Kriegsbereitschaft herstellen. Ich meine, dass es uns dann als Kirche in dieser Frage nicht mehr bräuchte. Zur Bewaffnung aufrufen, können andere überzeugender.

Ich sehe unseren christlichen Beitrag darin, Debatten anzuregen und auch mal Sand ins Getriebe zu streuen. Aber neben politischen Stellungnahmen und Debattenbeiträgen liegt für mich der Reiz christlicher Friedensarbeit in Begegnungen, die kleine Beiträge sind, mehr als Worte zu produzieren. Am 25. August hatte ich die Ehre, im französischen Dorf Maillé bei Tours einen Gottesdienst mit Erzbischof Vincent Jordy zu feiern, eine Ansprache zu halten und einen Baum als Symbol des Friedens zu segnen. Seit einigen Jahren pflegen Mitglieder von Pax Christi Kontakte zu Menschen in diesem Ort. Vor genau 80 Jahren wurden dort 124 Menschen, darunter 48 Kinder, von den Nationalsozialisten bestialisch ermordet. Konkrete Schilderungen der Überlebenden sind kaum auszuhalten. Es hat mich berührt, dass mir Menschen für meine Anwesenheit als Bischof aus Deutschland gedankt haben und dass sie mir die Hand gereicht haben, was für mich mehr war, als das übliche Händeschütteln. Derartige Gesten sind ein Geschenk. Ich kann unseren französischen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern nur meinen aufrichtigen Respekt dafür aussprechen, dass sie den Mut aufgebracht und manche Hand ergriffen haben. Es wird weitere Begegnungen geben müssen, und ich hoffe, dass die Versöhnung weitergeht. Versöhnung macht nichts ungeschehen und deckt nichts zu, im Gegenteil. Die Opfer dürfen niemals vergessen werden. Ich habe dort erlebt, dass der Hass nicht das letzte Wort haben darf.

Peter Kohlgraf ist Bischof von Mainz. Einmal im Monat schreibt er die Kolumne „Perspektiven“ für dieses Magazin.

Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 15. September 2024.  Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf – 06131 253-451 oder E-Mail: RedaktionFML@bistumspresse.de

aus.sicht |Onlineportal der Kirchenzeitungen