Haben die Kirchen zu lange geschwiegen angesichts der Gottesdienst-Verbote? Wie ist das überhaupt mit dem Verhältnis von Kirchen und Staat? Bischof Peter Kohlgraf äußert sich im „Wort des Bischofs“ dazu: „Es besteht kein Anlass, Verschwörungstheorien zu folgen.“
Durch die Corona-Krise verschärft werden in diesen Tagen Fragen des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat neu diskutiert. Hat der Staat das Recht, die in Artikel 4 des Grundgesetzes garantierte Religionsfreiheit zu beschränken und die Aussetzung von gottesdienstlichen Versammlungen für eine längere Zeit zu verfügen oder an strenge Auflagen zu binden? Es gibt Stimmen, die den Bischöfen Versagen vorwerfen, dass sie ohne Widerstände vor dem Staat eingeknickt seien.
Die Frage ist ernst zu nehmen, da das Grundgesetz in der Religionsfreiheit keine Gunst des Staates gegenüber den Religionen sieht, sondern den einzelnen sowie die Kirchen und Religionsgemeinschaften vor willkürlichen Eingriffen des Staates schützen soll. Religionsfreiheit ist Ausdruck der Würde des Menschen und der Person. Immer wieder, nicht erst seit der Corona-Pandemie, werden von bestimmten Kreisen Bischöfe als Lakaien des Staates verdächtigt, da sie ja vom Staat besoldet würden. Auch die Caritas- und Bildungseinrichtungen würden ja ausschließlich vom Staat getragen, es stünde nur „Kirche“ drauf, aber durch die angeblich komplette staatliche Refinanzierung sei man inhaltlich abhängig und schmücke sich mit fremden Federn. Das Thema „Kirche und Finanzen“ als ein Gebiet des Kirche-Staat-Verhältnisses ist in der öffentlichen Wahrnehmung von Halbwissen und Vorurteilen geprägt. In der Corona-Krise brechen diese Themen neu auf. Wie unabhängig ist die Kirche? Es stimmt: Der Staat fördert religiöse Aktivitäten, sofern sie dem Gemeinwohl dienen. Viele kirchliche Aufgaben wären aber ohne die Kirchensteuer nicht zu leisten, auch die staatlichen Refinanzierungen decken nicht sämtliche Kosten, manche Einrichtungen werden nicht staatlich gefördert. Dies im Einzelnen aufzulisten, sprengt den Rahmen hier. Der Finanzbericht des Bistums ist öffentlich einsehbar. Das Kirche-Staat-Verhältnis ist aus historischen Gründen in Deutschland mit anderen Ländern schwer vergleichbar. Kirche und Staat sind getrennt, das heißt der Staat identifiziert sich mit keiner Religion, aber er drängt das Religiöse auch nicht ins Private. Die Kirche als „Körperschaft öffentlichen Rechts“ darf Steuern einziehen, der Staat übernimmt derzeit gegen Gebühren diese Aufgabe. Kirchen haben damit Privilegien, die sie aber den Vorbehalten zum Trotz vor staatlichen Zugriffen schützen sollen. Es ist ein sensibles Feld, auf dem die verschiedenen Rechte und Pflichten immer wieder kontrolliert werden müssen. Die Religionsfreiheit ist, nochmals gesagt, keine Gunst des Staates gegenüber den Religionen, aber ebenso wenig bewegen sich die Kirchen außerhalb der Rechtsordnung. Nicht zuletzt im Umgang mit sexuellem Missbrauch und auch in manchem Finanzgebaren glaubten in der Vergangenheit einige Verantwortliche in der Kirche, so manche Dinge allein intern regeln zu können. Mit Recht ist dies kritisiert worden.
Religionsfreiheit entbindet nicht von der Verantwortung für das Allgemeinwohl. In der Corona-Krise haben wir auf bestimmte Freiheitsrechte verzichtet, um andere Rechte der Gesellschaft zu schützen, vor allem den Schutz der Gesundheit der Menschen. Die Gerichte verfolgen, dass dieser Prozess in Bewegung bleibt. So hat das Bundesverfassungsgericht zwei Anträge auf völlige Gottesdienstfreiheit zurückgewiesen, aber gleichzeitig den Auftrag gegeben, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen ständig zu überprüfen. Schließlich gilt es zu sagen, dass der Staat ja die Religionsfreiheit insgesamt nicht außer Kraft gesetzt hat. Die Kirche, so beschreibt es auch der Katechismus, trägt auch Verantwortung in Staat und Gesellschaft, ohne dass sie oder die Bischöfe zu Bütteln der Regierungen würden. Wir erleben, wie sich in einer Krise das Kirche-Staat-Verhältnis in unserem Land bewähren muss, aber auch bei allen offenen Fragen sich bewährt. Es besteht kein Anlass, Verschwörungstheorien zu folgen.
Ihr Bischof Peter Kohlgraf
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