Mit Krone nur 57 cm hoch und nur zwei Zentner schwer ist sie wohl die kleinste Glocke, die je im Stephansturm hing; nach fast 100 Jahren hat sie wieder heim gefunden.
Dem Unheil knapp entronnen
Schon im Ersten Weltkrieg – und nicht nur für den Zweiten – wurden viele Glocken in Deutschland zur Verhüttung abgehängt und eingezogen. Auch unser Lumpenglöckchen kam 1918 auf die Mainzer „Metallsammelstelle", entging dem Schicksal der Einschmelzung nur knapp, landete im Landesmuseum und überlebte beide Kriege. Anders erging es der noch älteren, im Turm hängenden Beatrix, die auf den „Glockenfriedhof" in Hamburg transportiert wurde, dort aber auch mit dem Schrecken davonkam.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Glöckchen im Dachreiter der Karmeliterkirche aufgehängt, und 2014, als diese Kirche eine neue Glocke bekam, hatte es seine Dienste dort getan. Einer Rückführung in die alte Heimat, St. Stephan, stand nichts mehr im Wege.
Eine zweite Maria Magdalena
Durch die Vermittlung von Günter Schneider, einem der beiden Glockensachverständigen des Bistums, und durch die Mitwirkung von Alwin Bertram, des für viele Bauarbeiten in St. Stephan zuständigen Architekten, steht die „Engelsstimme" nun im Kreuzgang und wartet darauf, ihren vier alten und jungen Schwestern in der Glockenstube Gesellschaft leisten dürfen; und eine von ihnen trägt sogar ihren Namen: Maria Magdalena. Auch wenn ihr Stimmchen zu dünn ist, um sich dem Klang der anderen vier anzuschließen, könnte sie doch zu Demonstrationszwecken sich hin und wieder hören lassen.
Ihren Namen „Lumpenglöckchen" trägt sie wohl ihrer früheren Aufgabe entsprechend: Sie läutete abends zur Polizeistunde und vertrieb die letzten Zecher aus Kneipen und Weinstuben. Zur napoleonischen Zeit, also um 1800, muss das 22 Uhr gewesen sein; die französische Stadtverwaltung hatte versucht, die Sperrstunde um eine Stunde vorzuverlegen, was aber am Protest der Bevölkerung und der Soldaten scheiterte.
Das Lumpenglöckchen könnte aus seinem vierhundertjährigen Leben viel erzählen, wenn man es ließe und wenn man seine Stimme verstünde. Über seine Geburt steht auf der Glockenwand:
☛ ♰ IN NAMEN IESV CHRISTE FLOS ICH M IOANNES BERTELT ZV MENTZ GOS MICH ANNO 1617
Im Namen Jesu Christi floss ich
M. Johannes Bertelt zu Mainz goss mich, anno 1617 ---