Die stummen Gestalten sprechen wieder

Ein neues Buch erschließt die Inschriften im Kreuzgang von St. Stephan

Grabplatte (c) St. Stephan
Grabplatte
Datum:
Mo. 27. März 2017
Von:
Siegfried Kirsch
Um vierzig Jahrhunderte geht es nicht, wie Napoleon verkündete, die von den Pyramiden auf seine Soldaten bei einer Schlacht herabblickten. Aber sieben sind es nachweislich, die im Kreuzgang von St. Stephan den Besucher bei einem Rundgang begleiten.

Von den mehr als einem Dutzend Kreuzgängen in Mainz sind heute nur noch zwei erhalten, der des Doms und der von St. Stephan. Von den über 200 bekannten steinernen Inschriften in St. Stephan, die an Verstorbene erinnern, existieren heute nur noch knapp 90. Diese sind teils klar und deutlich in Stein gehauen, teils nur mit großer Kennerschaft zu entziffern. Manchmal beschreiben sie eine noch erkennbare abgebildete Person, manchmal bilden sie einen kurzen und lückenhaften Text zu einem abgetretenen oder erodierten Relief oder einer Ritzzeichnung. Die weiteren 110 Inschriften sind durch fleißige Sammler früherer Jahrhundert auf Papier festgehalten und archiviert worden.

Nach jahrelanger Kleinarbeit ein großer Wurf

Der noch bekannten Inschriften - der steinernen und der archivalischen - hat sich die Kunsthistorikerin Susanne Kern in jahrelanger Kleinarbeit angenommen, um sie nun in einem voluminösen und opulent bebilderten Band von 700 Seiten der interessierten Öffentlichkeit (wieder) vorzustellen.

Im 17. und 18. Jahrhundert hatten vier Historiker in verschiedenen Jahrzehnten den damaligen Bestand gesichtet und aufgezeichnet. Ihre Genauigkeit dabei hält heutigen wissenschaftlichen Maßstäben nicht Stand; aber ihrem großen Interesse für die Geschichte des Kreuzganges verdanken wir es, manches zwischenzeitlich Verschwundene rekonstruieren und verstehen zu können.

Auf diesen Grundlagen baut Susanne Kern ihr Werk auf. Mit großer Akribie und umfänglichen Literaturangaben katalogisiert sie alle Inschriften, von denen die meisten im Kreuzgang zu finden sind, setzt sie in ihren historischen Zusammenhang, beschreibt die Personen, denen sie zugeordnet sind, analysiert ihre Typographie und die Ikonographie ihres Umfelds.

Zehn Exkurse veranschaulichen zusammenhängend den Kirchenschatz von St. Stephan, den Reliquienkult der Hl. Anna, den Friedhof im Norden des Gotteshauses, den Glockengießer Konrad Göbel und andere mit der Kirche verbundene Persönlichkeiten oder kirchengeschichtliche Besonderheiten.

Ein großer Wurf dank  vieler Mäzene

Die Stiftung St. Stephan, der Kulturfonds der Mainzer Wirtschaft und die Kulturstiftung Stefan Schmitz haben für ihre Unterstützung des Werkes großen Dank verdient. Denn so offensichtlich und so bedauerlich die fortschreitende Verwitterung des Sandsteins der Grabplatten ist, so verdienstvoll ist es, die jahrhundertalten Zeugnisse des stolzen Stiftes St. Stephan in anschaulichen Beschreibungen und hervorragenden Farbfotographien (Christian Feist) zu erhalten und wieder zugänglich zu machen.

Für den Besucher des Kreuzganges wäre es hilfreich gewesen, die Präsentation der Grabdenkmäler so anzuordnen, dass man bei einem Rundgang ihre „Besitzer" von einem zum anderen hätte identifizieren können; die Reihenfolge im Buch jedoch folgt - in der Tradition solcher Kataloge - den Entstehungsjahren: Probst Wignandus († 1048) eröffnet den Reigen der erhaltenen Inschriften im Kreuzgang, Vikar Johannes Schemburg († 1758) schließt ihn im Querhaus der Kirche ab. Über ein Schildchen mit Hinweis auf den Verstorbenen neben der Grabplatte würde sich jeder Epigraphiker freuen.

Susanne Kern. Mosaik des Todes. Die Inschriften des Stiftes St. Stephan in Mainz. Regensburg 2017, 704 S., mit zahlreichen großformatigen, farbigen Abbildungen; 49,50 Euro; am Schriftenstand im Westchor erhältlich.