Mehr Madonnen als Kneipen

Bald schmückt eine das Haus am Gautor

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Datum:
Sa. 7. Mai 2016
Von:
Siegfried Kirsch
Dass es in Mainz früher mehr Hausmadonnen gab als Kneipen, ist ein Bonmot, das man gerne glauben will. Von den mehr als 200 in der Innenstadt haben viele den letzten Krieg nicht überlebt. Aber seitdem schmücken auch neue die Wände und Ecken der Innenstadthäuser.

Der Passant, der mit den Augen nur auf seinem Smartphone klebt, kann sie nicht sehen, so viele dieser Statuen seinen Weg auch begleiten.

Die verdienstvolle Zusammenstellung aller Mainzer Hausmadonnen, die Annette Wöhrlin 2008 als Buch („Mainzer Hausmadonnen") herausgebracht hat, muss nun ergänzt werden. Denn pünktlich zum Marienmonat Mai erschien eine neue in der Stephanskirche und steht stolz im blumengeschmückten Altarraum auf einem drapierten Tisch neben der Osterkerze. Die Sandstein-Statue ist der Tauberbischofsheimer Madonna von Tilmann Riemenschneider nachempfunden. Deren Schöpfer hat seine „Madonna mit dem Kind" in einer Zeit geschnitzt, aus der viele Ausstattungsgegenstände stammen, die heute die Kirche schmücken, zwischen 1510 und 1520.

"Gott ist nicht fern."

In kunstvoll gedrehten Zöpfen reicht ihr Haar, teils offen, teils verdeckt, bis zum Arm hinunter; ihr Gesicht zeigt Gelassenheit und Würde, der reiche Faltenwurf des Gewandes ist teils rund, teils zackig. Sie steht auf einer angedeuteten Mondsichel, das Jesuskind auf ihrem rechten Arm bewegt sich lebhaft. Fern jeder Abgehobenheit und Idealisierung hat der moderne Bildhauer Riemenschneiders Realismus treffend wiedergegeben.

Pfarrer Stefan Schäfer, der mit Msgr. Klaus Mayer die Figur am 1. Mai im Gottesdienst weihte, sagte in seiner Predigt:
„Auch wer der Botschaft des christlichen Glaubens ganz fremd gegenübersteht und mit der Verehrung Mariens gar nichts mehr anfangen kann, versteht immerhin, welche Aussage da getroffen ist: ‚Gott ist nicht fern‘ verkünden die Hausmadonnen von Mainz. In seiner Menschwerdung, der Geburt aus der Gottesmutter Maria, ist er unwiderruflich an unsere Seite getreten."
Wer ihn wie Maria annehme, für den werde der Glaube ganz konkret und der Weg vom zukünftigen Standort, am Gautor, nicht zu weit bis zur Zitadelle, zum Gebäude der Pfarrer-Landvogt-Hilfe und zu den Wohncontainern, wo Obdachlose und Flüchtlinge anzutreffen seien.

Nur vorübergehend in St. Stephan

Die neue Madonna steht nur vorübergehend im Altarraum, ihren endgültigen Platz wird sie in einer Ecknische des Hauses an der Ecke Große Weißgasse / Am Schottenhof finden.
Seine Eigentümer, die Familie Götzky, haben das Gebäude vor 30 Jahren erworben und in seinem ursprünglichen barocken Baustil restaurieren lassen. Schon damals wurde eine Nische ausgespart und lange Jahre vergeblich nach einer geeigneten Figur gesucht.

Da es aber auf dem Markt nichts Geeignetes zu finden war, wurde 2014 schließlich eine erfahrene Werkstatt in Tschechien beauftragt, eine steinerne Nachbildung des hölzernen Originals von Tilmann Riemenschneider zu hauen.

„Diese Maria", so meint Hauseigentümer Götzky, Vater von drei Töchtern, „entsprach ganz meinen Vorstellungen, da hier offensichtlich eine lebenserfahrene Frau dem Künstler Modell gestanden hat. Sie ist eine gestandene Frau, ernst und gedankenvoll, keine mädchenhafte Mutter, die den Ernst des Lebens noch nicht kennengelernt hat." Dass seit den 60-er Jahren die Frau in Wirtschaft und Gesellschaft immer stärker in Erscheinung trete, lenke den Blick auch auf diese Frauengestalt, die ihre Entscheidung selbstbestimmt und aus freien Stücken getroffen habe. Besonders Frauen in ihren Nöten und Entscheidungen stehe diese Darstellung nahe.

Die rund 85 cm hohe Skulptur wird noch einen Sockel und ein kleines Vordach bekommen und nachts beleuchtet werden. Sie wird dann vorerst die letzte einer langen Reihe von Mainzer Hausmadonnen sein. Die als erste in der Chronik der Stadt erwähnte stammt aus dem Jahre 1250, als noch keine Smartphones die Passanten davon abhielten, von Zeit zu Zeit den Blick nach oben zu richten.