Predigt zum Buß- und Bettag 2018 - Pfr. Stefan Schäfer

„Heute einen Krieg beenden"

Datum:
Fr. 23. Nov. 2018
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

ich mag die alten schwarz-weiß Filme um Don Camillo, den in jeder Hinsicht schlagfertigen italienischen Landpfarrer und seinen ewigen Widersacher den kommunistischen Dorfbürgermeister Pepone.

Wenn Don Camillo nach einem Streit, bei dem er manchmal die Hand, aber auf jeden Fall die Stimme, erhoben hat, allein und noch ganz erhitzt und aufgewühlt von der Auseinandersetzung in seiner Kirche ist, hört er vom Kreuz herab Jesus, der zu ihm spricht. Mit einer Stimme, die so ganz anders ist als seine eigene: nicht dröhnend und laut, sondern leise, warm und liebevoll besänftigt sie den aufgebrachten Don Camillo. Die Stimme des Gekreuzigten stellt Fragen und bringt ihn zum Nachdenken, indem sie ihn an die Botschaft der Liebe, der Nächsten- und der Feindesliebe, erinnert.

Ich mag diese alten Filme für die Menschlichkeit der Geschichten, die sie erzählen und ihrer Protagonisten, die in allem Streit im Gegner immer noch ein Gegenüber erkennen und ihn nicht darauf reduzieren, ein Feind zu sein.
Am Ende sind in den Siegen, die Don Camillo erringt, immer auch die guten Absichten seines Gegenspielers enthalten und aufgehoben.
Und manchmal darf sogar Pepone gewinnen.

Es scheinen Geschichten einer vergangenen (und natürlich nostalgisch verklärten) Welt, die diese Filme erzählen.
Unserer Welt im Zeitalter des Internet stellt Eva Menasse, die neue Mainzer Stadtschreiberin, ein ganz anderes Psychogramm.
Sie schreibt:
„Da sich die Menschheit charakterlich nicht genauso exponentiell verbessert hat wie ihre Prozessoren, hat das die erwartbaren Folgen: Noch nie gab es so viel Lüge, Denunziation und sprachlich vervielfältigten Hass in der Welt."

Was sich in Internetforen abspielt, ist längst auch auf die Straßen gedrungen.
Bundespräsident Steinmeier hat kürzlich dafür drastische Worte gefunden:
„Aus gesellschaftlichen Haarrissen sind tiefe Gräben geworden. Wir erleben Wut und Protest (. . .) Hass und Gewaltausbrüche. Wir erleben Dauerempörung, eine sozialmoralische Rage, mit der Gruppen regelrecht gegeneinander in den Kulturkampf ziehen. Und wir erleben sogar, dass dabei die Existenzberechtigung des anderen in Abrede gestellt wird. Und so ist, online und offline, die Wirklichkeit dieser Tage viel zu oft: Deutschland spricht nicht, Deutschland brüllt."

Der diesjährige Buß- und Bettag ist in diese Situation hineingestellt, in der Menschen sich gegeneinander verschanzen und das Gespräch mit dem, der anders ist und anders denkt verweigern.
Die wachsende Feindseligkeit zwischen den Lagern führt in den Abbruch der Kommunikation.
Aus hasserfüllten Worten sind längst schon Taten geworden.
Da ruft das Motto, das uns heute zusammenführt, auch uns zur Besinnung:
Wo haben wir uns vielleicht ganz unreflektiert und im Bewusstsein doch auf der richtigen Seite zu stehen, selbst auch in unseren Feindbildern eingerichtet ?
Es redet uns ins Gewissen und fragt uns an, ob nicht auch wir manchmal in Verachtung auf die „anderen" schauen:

„Heute einen Krieg beenden."

Die ausgestreckte Hand als Plakatmotiv fordert dazu heraus, das Gespräch und die Begegnung auch mit denen zu suchen, die uns widersprechen und deren Meinung uns fremd und unangenehm ist.

Um nicht missverstanden zu werden: So weit, dem zuzuhören, was Herr Gauland sagt, muss die Liebe nicht gehen. Die Hetzer verdienen kein Gehör.

Der Kollege am Arbeitsplatz mit seinen manchmal kruden Ansichten verdient es aber vielleicht schon!

Ignatius von Loyola (ein Heiliger, der wahrscheinlich nicht allzu häufig in einer evangelischen Kirche zitiert wird) notiert in seinem „Exerzitienbuch", dass jeder gute Christ bereitwilliger sein müsse, die Aussage seines Nächsten zu retten , als sie zu verurteilen.
„Und wenn er sie nicht retten kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht, und versteht er sie schlecht, verbessere er ihn mit Liebe."

Als Menschen der Versöhnung mit ausgestreckter Hand den Dialog zu suchen, ist ein anspruchsvolles Programm:
Im aufrichtigen Dialog lasse ich mich überraschen, anregen, bereichern. Ich gehe aber auch das Risiko ein, irritiert, überwältigt und verändert zu werden. Der Dialog kann auch scheitern.
Ihn immer wieder zu suchen, ist für unser Leben und Zusammenleben schlicht notwendig.

„Den anderen im Zuhören so groß wie möglich zu machen", sei das Wesen des Dialogs, meinte der jüdische Gelehrte Martin Buber.

Anknüpfend an diesen Gedanken ließe sich vielleicht sagen:

Das Geheimnis Christi, sein innerstes Wesen ist es, Gott im Zuhören so groß wie möglich zu machen, ganz Ohr für ihn zu sein, ganz Leib und Leben.
Gottes Gegenwart in ihm, seinem menschgewordenen Wort, aber offenbart sich darin, den Menschen im Zuhören so groß wie möglich zu machen.
Selbst der verachtete Zöllner Zachäus, der vor aller Augen „klein" ist, wächst, so wird es im Evangelium erzählt, in der Begegnung mit ihm in die Würde hinein, trotz allem ein „Sohn Abrahams" zu sein.
Ihn, Christus, in unserer Zuwendung zum andern, in Offenheit und der Bereitschaft, den anderen sich aussprechen zu lassen, im Dialog also, zu leben, gegenwärtig werden zu lassen für unsere Zeit, - das wäre dann vielleicht unser Auftrag als Christen in dieser zerrissenen Welt.

Das ist, wie gesagt, ein anspruchsvolles Programm: „Uns ist das Wort von der Versöhnung anvertraut."

Es kommt nicht dröhnend daher. Es brüllt nicht.
Den glimmenden Docht löscht es nicht aus, das geknickte Rohr richtet es auf.
Seine Stimme ist leise.

Es stellt uns Fragen und bringt zum Nachdenken.
Es weckt das Gewissen.
Und erinnert uns an die Botschaft der Liebe, die den Gegner nicht darauf reduziert, ein Feind zu sein, sondern auch in ihm den Mitmenschen, den Nächsten, zu entdecken vermag.

Amen