Weihnachten Erster Feiertag -

Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
Mo. 25. Dez. 2017
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

auf keinen Tag im Jahr gehen wir wohl mit so hochgesteckten Erwartungen zu wie auf Weihnachten. Wenn endlich die letzten Geschenke eingepackt und die letzten Karten geschrieben sind, dann soll –für ein paar Stunden wenigstens – die Unrast und Unruhe unseres Alltags zurücktreten, dann möchten wir in die Feier der Weihnacht eintauchen wie in eine andere Welt.

Auch wer vielleicht sonst das Gefühl hat, nicht viel geschenkt zu bekommen im Leben - an Weihnachten möchten wir offen sein, uns beschenken zu lassen und selbst zu schenken.
Auch wer im Beruf mit harten Bandagen zu arbeiten gewohnt ist und mit den spitzen Ellbogen der anderen rechnen muss – an Weihnachten möchten wir uns von unserer gütigen und liebevollen Seite zeigen dürfen.
An Weihnachten da erwarten wir, dass die Botschaft der Engel sich wenigstens in unserer kleinen Lebenswelt bewahrheiten möge. Wir sehnen uns nach ein bisschen Frieden, nach Harmonie und Geborgenheit in unseren Familien und bei denen, die wir liebhaben.

Freilich: Wo die Erwartungen derart hochgespannt sind, da droht auch die Gefahr der Enttäuschung.

Ich hoffe und wünsche Ihnen, dass Sie einen harmonischen, festlichen und frohen Heiligen Abend erlebt haben. Nicht immer verläuft er ja so, wie wir ihn uns wünschen. Die Seligkeit des Festes ist manchmal doch nicht ganz so vollkommen:
Das Geschenk, das man liebevoll ausgesucht hatte, kam vielleicht doch nicht gut an und hat nicht das zum Ausdruck bringen können, was man eigentlich hatte sagen wollen. Spannungen in der Familie brechen auf oder werden zumindest spürbar.
Mitten im Fest, mitten in der Freude bleiben manchmal eine Trauer und eine Einsamkeit, die man nicht einfach bei Seite schieben kann.
Am schmerzlichsten spüren das jene, die vom Feiern der anderen ausgeschlossen sind: die Alten, die Kranken. Auch in den Altersheimen wird an Weihnachten „Stille Nacht" gesungen. Da treten dann manchem Tränen in die Augen.
Und die Telefonseelsorge hat in diesen Tagen Hochkonjunktur.

Ich meine: Es ist gut, sich diesen feinen Riss, der durch unser Weihnachten geht, einzugestehen und bewusst zu machen.

Genau dort, wo wir mitten im Fest unsere Einsamkeit wahrnehmen, in der festlichen Freude, eine Trauer, die bleibt, könnten wir beginnen zu ahnen, was Weihnachten wirklich bedeutet.
Die wahre Freude der Weihnacht und ihr tiefster Trost könnten uns gerade dann berühren, wenn wir uns nicht in eine heile Welt zurückziehen, sondern uns unserer Bedürftigkeit stellen.

Das Bild, das die Bibel selbst von Weihnachten zeichnet ist reichlich unsentimental:

„Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht ergriffen.
Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf."

Auch über Jesus liegt ein Schatten: Er kommt, aber in der Herberge ist kein Platz.
Was ist das für eine Herberge, die sich vor einer hochschwangeren Frau kurz vor der Niederkunft verschließt? Was für ein Gesicht zeigt die Welt in dem Augenblick, da Gott sich aufmacht, sie heimzusuchen?

Aber eben das feiern wir doch an Weihnachten:
Nicht dass Gott diese Welt von oben herab wie mit einem Zauberstab berührt, so dass sie sich verwandeln und verklären würde wie in einem Weihnachtsmärchen von Walt Disney. Sondern, dass er an die Seite der Menschen tritt. Hinein in unser Dunkel und in unsere Zerrissenheit, um auch dem Ärmsten noch ein Bruder zu sein und seine Last mit ihm zu teilen.

Draußen im Stall wird er geboren. Draußen, vor dem Stadttor, hat er sein Leben beschlossen.
Und denen, die in irgendeiner Weise „draußen" waren, abgeschnitten, einsam, ausgeschlossen, hat dieser Gott in seinem menschgewordenen Sohn all seine Liebe und Zuwendung geschenkt:
Zuerst den Hirten, denen als erste die Weihnachtsbotschaft verkündet wird. Dann den Zöllnern und Dirnen, den Kranken und Aussätzigen, denen er auf den staubigen Straßen Galiläas nachgegangen ist und die er am Wegesrand aufgelesen hat.

Darin besteht doch der wahre Trost und die tiefste Freude der Weihnacht:
Gott hat unser Menschsein angenommen.
Gerade in seinen dunklen Seiten. Einsamkeit und Armut, das Schicksal des Ausgeschlossen Seins, ja sogar die Möglichkeit eines letzten Scheiterns hat er – am Kreuz- mit uns geteilt.
Der Friede der Weihnacht kehrt gerade dort ein, wo Gott sich an den Bruchstellen unseres Lebens an unserer Seite zeigt: „Ich bin da."

Darum gilt der Trost und die Freude der Weihnacht nicht nur denen mit der heilen Biographie ohne Brüche und ohne Tränen. Sondern auch denen, die von ihrem Leben enttäuscht sind, von anderen und auch von sich selbst, und die mit Schuldgefühlen ringen.
Nicht nur den Erfolgreichen. Sondern auch denen, die sich schwertun, den Maßstäben und Normen, die sie selbst und andere anlegen, zu entsprechen. Und die sich als Versager fühlen.
Nicht nur den Frommen und Glaubensfesten. Sondern auch denen, die mit ihren Zweifeln ringen und von der Kirche vielleicht nicht mehr viel erwarten.

Weihnachten zeigt uns einen Gott, der sich nicht auf die Seite der Gewinner schlägt, sondern in Wehrlosigkeit und Angewiesenheit denen nahe kommt, die schwach sind.
Könnte es da nicht sein, dass er auch uns gerade dort , wo der feine Riss der Einsamkeit und Trauer auch durch unser Leben geht, begegnen will, uns anrühren und heilen und heimholen in die Geborgenheit einer Liebe, die uns nicht fallen lässt, die mit uns geht auf allen Wegen unseres Menschseins, im Leben und im Sterben?
Dass er uns dort begegnet und uns die Augen aufgehen, so dass wir bekennen:

„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.
Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen,
die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit."

Amen