Bischof Peter Kohlgraf (c) Bistum Mainz

Gewissen: Heiligtum und Mitte

Bischof Peter Kohlgraf
Datum:
Fr. 3. Nov. 2023
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

„Die Würde des Menschen besteht darin, dass er einen unmittelbaren Zugang zu Gott hat“, schreibt Bischof Peter Kohlgraf im „Wort des Bischofs“ in der aktuellen Ausgabe von Glaube und Leben. Der Ort, an dem Gott zu den Menschen spricht: das Gewissen.

Im Monat November stehen uns bekannte und weniger bekannte Heilige vor Augen. Heilige sind Menschen, die ihrer je persönlichen Berufung gefolgt sind und sie in eigener Art und Weise gelebt haben. Nach christlicher Vorstellung haben alle Menschen eine persönliche Berufung, gleichgültig ob sie an Christus glauben oder nicht.
Das Gewissen ist der Ort, an dem Gott zu ihnen spricht. Es lässt sie erkennen, was gut oder böse ist: „Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist.“ (Gaudium et Spes 16). Die Würde des Menschen besteht darin, dass er einen unmittelbaren Zugang zu Gott hat. Die Verantwortung für die Entscheidung zwischen Gut und Böse liegt allein bei der individuellen Person. Es obliegt ihr, ihr Gewissen auszurichten und Maßstäbe sowie Werte anzunehmen, die sie leiten. Letztendlich kann niemand die Verantwortung für das eigene Denken und Handeln auf andere abwälzen.
Der Mensch ist Ebenbild Gottes. Er steht nicht nur ihm gegenüber in Verantwortung, son- dern auch der Welt und anderen Menschen. Er ist eingebunden in ein Netz von Beziehungen. Gott nimmt den Menschen radikal ernst. Im Buch Genesis wird berichtet, dass im Paradies Adam versucht, die Schuld auf seine Frau zu schieben, während beide wiederum die Schlange beschuldigen, die sie verführt hat.

Gerade weil Gott den Menschen mit einer so großen Würde beschenkt hat, ihm ähnlich zu sein, unterscheiden zu können zwischen Gut und Böse, entzieht er ihm nicht einfach die Verantwortung für sein Tun und dessen Folgen. In der Beziehung zwischen Gott und Mensch entsteht eine Spannung. Der Mensch ist Gott ähnlich und dennoch lässt ihn Gottes Gegenwart erkennen, wie schwach er sein kann und welche Schuld er trägt. Es gehört zur Würde des Menschen, von Gott auch in seiner Schuld und in seinem Scheitern geliebt zu sein.
Vor jedem Kommunionempfang beten wir: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Das Gebet bezieht sich auf eine Stelle des Matthäusevangeliums (Matthäus 8, 8). Ein römischer Hauptmann bittet Jesus um Hilfe für seinen Knecht, empfindet sich aber unwürdig, dass er sein Haus betritt. Manchmal wird unter Christinnen und Christen darüber gesprochen, ob ein erlöster Mensch, ein Ebenbild Gottes, ein derartiges Gebet sprechen kann. Davon bin ich allerdings fest überzeugt. Wer so betet, widerspricht seiner Würde nicht. Denn niemand nimmt sich das Recht heraus, das Geschenk der Kommunion, der Gemeinschaft mit Christus, zu empfangen, weil er gut und vollkommen ist.
Die Würde des Menschen zeigt sich darin, dass Gott ihn großmacht und ihn in allen Grenzen annimmt, in seiner Sünde und Schuld. Die Würde des Menschen liegt darin begründet, das Christus in ihm wohnen will. Ich bin immer wieder fasziniert davon, dass meine Würde nicht auf meiner eigenen Vollkommenheit beruht, sondern auf meinem Menschsein. Es beruht auf der Tatsache, dass Gott mich bedingungslos liebt.
Ihr + Peter Kohlgraf

Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 5.November 2023. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de

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