Bischof Peter Kohlgraf (c) Bistum Mainz

„Wir sind nicht nur Missbrauch“

Bischof Peter Kohlgraf
Datum:
Do. 4. März 2021
Von:
Bischof Peter Kohlgraf in "Glaube und Leben"

Über Kirchenaustritte diskutierten die Bischöfe bei ihrer Vollversammlung. Im „Wort des Bischofs“ greift Bischof Peter Kohlgraf das Thema auf. Er sagt: „Trotz aller Probleme der Kirche ist es notwendig, den Glauben gemeinsam zu leben.“

Ich glaube, dass es – trotz aller Probleme der Kirche – notwendig ist, den Glauben gemeinsam zu leben.

Selten wurde so viel über Kirchenaustritte geredet und geschrieben wie derzeit. Die Medien berichten aus Köln angesichts der aktuellen Situation über dramatisch hohe Austrittszahlen. Gerechterweise muss man sagen, dass überall in Deutschland die Zahlen hoch sind, nicht erst in diesem Jahr.

Bei der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz Ende Februar haben wir uns bei einem Studientag mit dem Thema beschäftigt. Es gibt viele Gründe, die Menschen zu einem Kirchenaustritt veranlassen. Zu einer ohnehin vorhandenen Entfremdung kommen oft bittere Enttäuschung über die Situation der Kirche oder auch negative persönliche Erfahrungen hinzu. Nicht selten sind es Menschen mitten aus der Kirche, die sich zum Austritt entschließen. Jede einzelne Entscheidung ist selbstverständlich zu respektieren. Aus der Kirche auszutreten, ist auch ein Ausdruck der Freiheit, und der Prozess der Säkularisierung in Deutschland schreitet weiter fort. Manchmal wird uns Bischöfen dafür die Verantwortung gegeben. Ohne dass ich mich der Verantwortung entziehen will: Der Prozess der Säkularisierung läuft nicht nur in bestimmten Gruppen oder Milieus, sondern in der gesamten Gesellschaft, bei sogenannten Progressiven und Konservativen, bei Alten und bei Jungen. Die Wissenschaftler, die die Gründe erforschen, sagen uns auch, dass oft geforderte Reformen nicht die Wende bringen werden, auch wenn der Trend kein blindes Schicksal sein muss.So sehr ich mich als Bischof für die Austrittsgründe interessiere und um eine glaubwürdige Gestalt der Kirche bemüht bin: Alle, die sich bewusst für die Kirche entscheiden, sollten über ihre Hoffnungen sprechen, Menschen ansprechen, einladen, Gastfreundschaft schenken und um Gastfreundschaft bitten. Ich glaube, dass es – trotz aller Probleme der Kirche – notwendig ist, den Glauben gemeinsam zu leben. „Wir sind nicht nur Missbrauch und die bekannten Kontroversthemen“, so habe ich es jüngst in einem Interview gesagt. Dazu stehe ich. In allen großen Religionen ist bewusst, dass zum Glauben eine Gemeinschaft gehört. Wer sich von dieser Gemeinschaft trennt, trifft seine eigene Entscheidung. Manchmal bekomme ich Zuschriften mit dem Tenor: „Wenn Sie nicht zufriedenstellend antworten, werde ich austreten“. Oder andere begründen ihre Entscheidung mit einer unliebsamen Maßnahme des Bistums. Das muss ich respektieren, aber die eigene Entscheidung ist die persönlich zu verantwortende Entscheidung, für die ich als Bischof nicht die Verantwortung übernehmen kann und will.Es wird weiterhin Veränderungen geben. Als Bischof kann ich nur aus Vertrauen und in Gemeinschaft wirken. Jede und jeder wird gebraucht. Ich danke allen, die bei uns bleiben. Bringen Sie sich ein – kritisch, konstruktiv und gläubig. Ich bin davon überzeugt: Unsere Welt braucht die Kirche, weniger als Organisation denn als Gemeinschaft überzeugter, liebender und glaubender Menschen.
Ihr Bischof Peter Kohlgraf

Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 7. März 2021. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de