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Kardinal Lehmann über seinen berühmten Vorgänger

Nach allgemeiner Überzeugung gehört Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811-1877) zu den herausragendsten Bischöfen im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Am 25.12.1811 wurde er in Münster geboren, sodass wir Ende 2011 seinen 200. Geburtstag feiern können. Dies ist nicht nur ein freudiger Anlass im Bistum Mainz und im Bistum Münster, auf sein Leben und Wirken zurückzuschauen, sondern er hat größte Verdienste für die Kirche in Deutschland und auch für die Weltkirche.

Durch beide Elternteile ist Bischof von Ketteler der westfälischen Adelsgesellschaft verbunden. Dieser Adel, der auch die Verbindungen untereinander pflegte und einzusetzen wusste, hat sehr große Verdienste in der Stärkung des wiedererstarkenden Katholizismus im 19. Jahrhundert. Er hatte ferner eine große Sensibilität und Verantwortung für die Präsenz der Katholiken in der Gesellschaft nach dem Untergang des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, bei dem mühseligen Aufstieg ab 1803 und ganz besonders in der Nutzung der neuen Freiheitsrechte nach 1848. Diese Mitgift hatte von Ketteler von Anfang an, durch sein Studium und seine Tätigkeit als Jurist, aber ebenso durch seine pastoralen Erfahrungen. So hatte er auch einen wachen Sinn für die politischen Veränderungen und die neuen Chancen der Kirche in einer gewandelten Welt.

Bischof von Ketteler ist als „Sozialbischof" bekannt geworden. In der verstärkten Industrialisierung des 19. Jahrhunderts gab es durch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandlungen eine hohe Verarmung vor allem der Industriearbeiter, aber auch mancher anderer Schichten. Bald entdeckte Bischof von Ketteler, dass die Caritas von Mensch zu Mensch und auch der Kirche nicht ausreichte, um der Proletarisierung abzuhelfen. So kam er, nicht zuletzt auch durch das Studium linker gesellschaftlicher Thesen, zur Forderung einer staatlich gelenkten Sozialpolitik. Diese hat er von den Mainzer Predigten 1848 bis in seine späteren Bemühungen auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz entfaltet und zum Teil auch eine Realisierung erreicht. So konnte Papst Leo XIII., als er seine erste Sozialenzyklika veröffentlichte (1891), sagen, Bischof Ketteler sei einer seiner Vorgänger.

In den letzten Jahrzehnten hat die Ketteler-Forschung neben dem „Sozialbischof" seine große Bedeutung für den Kampf der Kirche um ihre Freiheit von staatlichen Einflussnahmen hervorgehoben. Dies bestimmte schon seine frühen Stellungnahmen zur Schulfrage über den Einsatz für eine innerkirchliche Selbstbestimmung bis zum Kulturkampf in seinen letzten Lebensjahren.

Über vieles wäre noch zu berichten: Restaurierung des Domes, Gründung von Ordensgemeinschaften, Schaffung großer caritativer Einrichtungen, Wiedereröffnung des Priesterseminars. Ein entscheidendes Instrument im Aufbau des Bistums Mainz waren die zahlreichen Hirtenbriefe und Pastoralschreiben, mit denen sich Bischof von Ketteler unaufhörlich an die Gemeinden wandte und ihre Hilfe bei konkreten Projekten erbat. Es ist von Ketteler nicht leicht gefallen, sich während des Ersten Vatikanischen Konzils gegen die Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit zu richten. Er fürchtete einen Autoritätsverlust des Episkopats und betonte die Vorrangigkeit innerkirchlicher Reformen vor dogmatischen Entscheidungen. Es war für ihn nicht leicht, aber auch Ausdruck von einer Kirchlichkeit, die verabschiedeten Konzilsdekrete dann doch anzunehmen und zu veröffentlichen. Auf der Rückreise von Rom, wo er das fünfzigjährige Bischofsjubiläum von Papst Pius IX. mitfeierte, starb er am 13.7.1877 im Kapuzinerkloster Burghausen (Oberbayern) und wurde im Mainzer Dom begraben.

(Auszug aus dem Geleitwort zum Buch:

Karl Brehmer, Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811-1877) Arbeiterbischof und Sozialethiker. Auf den Spuren einer zeitlosen Modernität, Regensburg 2009, 7-8.)

 

Aus der Bibliographie des Kardinals (bis 2011)

Hinweis: Zum Teil sind unter den Links die Texte online abrufbar
 

Christliches Friedensverständnis zwischen Illusion und Resignation. In: Kettelerbrief 71 (Mainz 1982) 4-10

In der Kirche zu Hause, offen für die Weit : Grundsatzreferat beim Diözesantag der katholischen Verbände am 15. 9. 1985 in Mainz. Mainz 1985 (Aktuelle Information. öffentlichkeitsarbeit Bistum Mainz ; 38), 14 S.. - Auch in: Korrespondenzblatt Sozialdienst katholischer Frauen 1985, Heft 4, S. 3-13. - Ereignisse im Leben der KAB, hrsg. v. Kettelerhaus der KAB Westdeutschland, Köln 1985, S. 8-17

Antwort auf die Not der Zeit. Bischof Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler und das St. Josephshaus. In: Eckhart Knab (Hrsg.): Von der Knabenrettungsanstalt zum Jugendhilfezentrum, Freiburg 1990, 8-16

Ein Symbol für die Kirche. Zur Enthüllung des Bischof-Ketteler-Denkmals in Mainz am 23.Juni 1993. In: Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz 1993-1995. Beiträge zur Zeit- und Kulturgeschichte der Diözese, hrsg. v. Barbara Nichtweiß, Mainz 1997, 274-276

Geleitwort des Bischofs. In: 50 Jahre Zweiter Bildungsweg für Erwachsene. Ketteler-Kolleg und Abendgymnasium in Mainz, hrsg. v. Rolf-Jürgen Renard, Mainz 2001 (= Mainzer Perspektiven. Berichte und Texte aus dem Bistum 14), 9-11

Schlusswort. In: 50 Jahre Abendgymnasium und Ketteler-Kolleg des Bistums Mainz. Dokumentation der Feier am 24. März 2001. Mainz 2001, S. 72-73

Predigt im Pontifikalamt anlässlich des Gedächtnisgottesdienstes zum 125. Todestag von Bischof Freiherr Wilhelm Emmanuel von Ketteler am 13. Juli 2002 im Hohen Dom zu Mainz (online).

"Ausgleichende Teilhabe an den Lebensmöglichkeiten der Menschen" - Eröffnungsreferat des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 25. bis 28. September 2006 in Fulda (online-Link)

Laudatio anlässlich der Verleihung des Kettelerpreises 2006 an Sr. Lea Ackermann. In: ZASS-Stiftung der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (Hrsg.): Kettelerpreis 2006, Dokumentation, Köln 2006, 14-21.

Zum Geleit, in: Karl Brehmer, Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811-1877) Arbeiterbischof und Sozialethiker. Auf den Spuren einer zeitlosen Modernität, Regensburg 2009, 7-8.

Grußwort, in: Ketteler-Brennpunkt spezial, Sonderausgabe 2009, hrsg. von der Ordensgemeinschaft der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung, 7.

Grußwort zum 50-jährigen Weihejubiläum der Kapelle des Ketteler-Krankenhauses, in: Pulsschlag, Mitarbeiterzeitschrift des Ketteler Krankenhauses Offenbach, 1/2010, 3.

 Bischof Ketteler - Der „Sozialbischof" feiert 200. Geburtstag. Interview mit Karl Kardinal Lehmann über seinen großen Vorgänger, in: Sozialcourage 1/2011, 6-7. 

Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler - der Seelsorger und seine Hirtenbriefe. Vortrag im Rahmen der Bischof-von-Ketteler-Tagung zum 200. Geburtstag am 25./26. November 2011 im Erbacher Hof in Mainz. (online)

Beim Wort genommen...

„Auch wenn Bischof von Ketteler zu einer Adelsfamilie gehörte, hatte er stets eine tiefe Sensibilität für die Not und für die Bedürfnisse aller Menschen."

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„Der Seelsorger von Ketteler, der er zeitlebens blieb, hatte eine große Witterungsfähigkeit für soziale Not und ihre Herausforderungen. Er war nie einfach ein distanzierter Beobachter, sondern er ließ sich von der Not anrühren."

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„Ist dies alles nicht heilsam: soviel Kraft und Geduld, die sich nicht in Hektik und Populismus erschöpfen, sondern gerade Reformen mit einem langen Atem angeht?"

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"Man sieht, wie zur Realisierung der Katholischen Soziallehre ganz besonders der Dreischritt Sehen - Urteilen - Handeln gehört, und wie die zündende Sensibilität des Anfangs wichtig ist und bleibt."

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"Wir dürfen nicht als neugierige Zuschauer durch die Welt gehen, sondern müssen wirklich die Verhältnisse aus der Nähe kennen, mit den betroffenen Menschen leiden und dürfen nicht zögern, uns die Hände schmutzig zu machen."

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„In den letzten Jahrzehnten hat die Ketteler-Forschung neben dem ‚Sozialbischof' seine große Bedeutung für den Kampf der Kirche um ihre Freiheit von staatlichen Einflussnahmen hervorgehoben."

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"Er sieht ein ganz enges Bündnis zwischen der Freiheit und der Kirche. Freilich verlangt dies auch recht verstandene Freiheit in der Kirche selbst."

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"Wenn wir heute dieses Jubiläums gedenken, darf es bei aller Bewunderung der Gestalt des Bischofs von Ketteler nicht nur um einen verklärten Rückblick gehen. Wir wollen vielmehr uns fragen, was wir von ihm für die Erfüllung unseres heutigen Auftrages lernen können."

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