11. Sonntag Lesejahr A, Pfr. Stefan Schäfer
Liebe Schwestern und Brüder,
als zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils die Bischöfe in großer Prozession Einzug in den Petersdom hielten, trug Papst Johannes XXIII. nicht die Tiara als Zeichen seiner Macht, sondern nur eine Mitra:
Als Hirte wollte er sich zeigen, nicht als Herrscher.
Seinen päpstlichen Tragesessel nutzte er nur auf dem Petersplatz, um von den Leuten besser gesehen zu werden. In der Peterskirche ließ er anhalten, stieg herab und ging den Rest zu Fuß:
An einem Ehrenplatz, hoch über die anderen erhaben, war ihn nicht gelegen.
Nicht mit der Autorität der Macht wollte Johannes XXIII. den Menschen begegnen, sondern als Diener, nicht von oben herab, sondern „in Augenhöhe" und mit ihnen gemeinsam unterwegs.
Und diesen Weg hat er mit dem Konzil auch unserer Kirche gewiesen:
Eine Kirche für die Menschen zu sein, denen mit dogmatischen Positionen und ihrer Verteidigung nicht geholfen ist, die lange genug gehört haben, was alles falsch ist und was sie alles nicht dürfen, die aber endlich hören wollen, was wahr ist, mit welcher positiven Botschaft der Glaube unserer Zeit begegnen kann und was er ihnen für ihr Leben zu sagen hat;
eine Kirche mit den Menschen zu sein, die ein Ohr hat für ihre Freude und Hoffnung, ihre Trauer und Angst und die auf dem Weg des Fragens und Suchens durch die Zeit mit ihnen verbunden ist als ein pilgerndes Gottesvolk.
Manche werfen dem Programm des „Aggiornamento", der „Verheutigung" des Glaubens, auf das Johannes XXIII. das Konzil verpflichtet hatte, vor, es habe zu einer Anpassung an den Zeitgeist geführt und schließlich dazu, dass die Kirche so sehr an Ansehen und Einfluss verloren hat, wie wir das heute (zumindest in unseren Breiten) erleben. Auf einschlägigen Internetportalen wird Klage darüber geführt, dass die ewigen und unveränderlichen Wahrheiten, die der Kirche anvertraut sind, durch ihre Amtsträger in der Verkündigung angeblich verwässert und relativiert würden. Und nicht nur in reaktionären Kreisen reagiert mancher Katholik, der einen anderen Stil gewohnt war, mit Befremden auf manche Worte und Gesten des gegenwärtigen Papstes, der, auch darin ein würdiger Nachfolger von Johannes XXIII., so wenig Sinn für die sakrale Würde des Petrusamtes zeigt und den man, was nicht immer liebevoll gemeint ist, als „Spontifex Maximus" bespöttelt.
„Nur eine dienende Kirche dient der Welt". So lautet der in dieser Situation programmatische Titel eines Buches, das der Verlag aus gegebenem Anlass jetzt nachgedruckt hat. Sein Autor, Peter Kohlgraf, wird in wenigen Wochen zum neuen Bischof von Mainz geweiht werden.
Selbst einer Generation angehörend, die nicht mehr Zeitzeuge des Konzils gewesen ist, stellt er sich in diesem Buch (wie auch in anderen Publikationen) ganz eindeutig in die Tradition jenes Aufbruchs der Kirche vor mehr als 50 Jahren, der ja vor allem ein Aufbruch in den Dialog mit der Welt von heute gewesen ist, in eine Begegnung, die, wenn sie ehrlich und ohne Vorbehalt gesucht wird, im Idealfall beide Partner verändert, in der aber auf jeden Fall für die Kirche tiefgreifende Transformationsprozesse, Prozesse der Wandlung und der Umkehr, angestoßen werden.
Papst Paul VI., der als Nachfolger von Johannes XXIII. der eigentliche Konzilspapst gewesen ist, hatte in seiner Antrittsenzyklika „Ecclesiam suam" betont, die Kirche müsse „tief in sich hineinschauen und über ihr Geheimnis nachdenken". Daraus ergebe sich „ein starkes, ja unruhiges Verlangen nach Selbsterneuerung".
Aus dem inneren Dialog der Gewissenerforschung und der Besinnung auf ihr Geheimnis, die Gemeinschaft der von Gott aus sich selbst und über sich selbst Hinausgerufenen zu sein, erwächst der Auftrag zum „Gespräch der Kirche mit den Menschen unserer Zeit".
Ein solches Gespräch ist, wie jeder aufrichtige Dialog, herausfordernd und auch riskant. Man geht anders daraus hervor, als man hineingegangen ist: überrascht, angeregt und bereichert, vielleicht aber auch irritiert und verunsichert, auf jeden Fall aber verändert. Es ist wesentlich für die Kirche und für den christlichen Glauben, der damit rechnet, dass Gott auch in den „Zeichen der Zeit", mögen sie uns manchmal auch unbequem sein, begegnet und auf den Weg ruft.
Paul VI. hat es so formuliert: „Der Dialog setzt also bei uns eine innere Haltung voraus, die wir auch in unserer Umgebung hervorrufen und nähren wollen: Es ist die innere Verfassung dessen, . . . der sich bewusst ist, das eigene Seelenheil nicht von der Suche nach dem Heil des andern trennen zu können, der sich ständig bemüht, die Botschaft, die ihm anvertraut ist, in den Kreislauf des menschlichen Gesprächs einzuführen."
In seinem erwähnten Buch zitiert Peter Kohlgraf einen Leserbrief, der sich kritisch mit dem Armutsgedanken des gegenwärtigen Papstes auseinandersetzt und in dem es heißt, hilfreicher wäre es gewesen, Franziskus hätte statt eine „arme Kirche für die Armen" eine „glaubwürdige Kirche für die Gläubigen" als Ziel benannt.
Sein Buch ist ein Plädoyer gegen einen solchen Rückzug in eine Kirche der Reinen und der reinen Verkündigung der wahren, vermeintlich unveränderlichen Lehre.
Es beschwört demgegenüber das Ideal einer dienenden Kirche, die im Dialog, in der Zuwendung zu den Menschen und vor allem im Hinhören auf die am Rand, die Armen, sich verändern, transformieren, wandeln lässt, indem sie ganz Ohr wird für deren Hoffnungen und Freuden, Trauer und Angst, die sie teilt und die sie sich zu eigen macht.
„Geht und verkündet", so sendet der Herr uns auch heute zu den „vielen Menschen", mit denen er Mitleid hat, weil sie oft müde sind und erschöpft.
Wir ahnen, dass wir auf einen anspruchsvollen Weg gerufen sind. Aber auch, dass dieser Weg voller Verheißung ist.