Liebe Schwestern und Brüder,
ganz in den Anfängen nannten sich die Christen einfach nur die „Leute des Weges".
Die Apostel wanderten von Stadt zu Stadt. Mit leichtem Gepäck, wie es der Herr ihnen aufgetragen hatte.
Und in den Gemeinden herrschte ein Geist des Aufbruchs:
Im gemeinsamen Bekenntnis zu Christus schienen mit einem Mal Grenzen zwischen Menschen überwindbar. Religiös-ethnisch begründete Grenzen ebenso wie die des sozialen Status oder die zwischen den Geschlechtern.
Alle sind eins in Christus.
„Es gibt nicht mehr Juden und Heiden, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich", so beschreibt Paulus die Freiheit im Leben der ersten Gemeinden.
Bals schon nahmen die Zeitgenossen, irritiert und interessiert, das Christentum als Bewegung zur Kenntnis, die die Welt zu verändern begann.
Das ist lange her.
Das Christentum ist sesshaft geworden.
Die Nachfolger der Wanderapostel haben sich auf Bischofsstühlen niedergelassen. Schwer tragen sie am Gepäck einer 2000-jährigen Tradition. Und ohne Immobilienverwaltung kommt kein Bistum mehr aus.
Unbeweglich wirken auch manche Gemeinden. Als hätte man sich im vertrauten Milieu und unter Seinesgleichen eingerichtet und es sich gemütlich gemacht.
Als Bewegung und Aufbruch, der für die Gestaltung des Lebens in der Welt von heute interessant und inspirierend sein könnte, werden wir von unseren Zeitgenossen eher nicht mehr wahrgenommen.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat vor mehr als 50 Jahren noch einmal an die Anfänge anzuknüpfen versucht.
Es spricht von der Kirche als „pilgerndem Gottesvolk".
Doch es folgten bleierne Jahrzehnte, in denen eingebremst und zurückgenommen wurde, was in Bewegung geraten war.
Erst mit Papst Franziskus verbindet sich bei manchen wieder die Hoffnung, dass der verdrängte Impuls des Konzils doch noch zu einem Aufbruch werden könnte.
Mehr als die Worte und Gesten dieses Papstes hat aber Missbrauchskrise scheinbar einbetonierte Verhältnisse dramatisch in Bewegung und ins Rutschen gebracht:
Auch treue Katholikinnen und Katholiken, revolutionärer Anwandlungen völlig unverdächtig, empfinden inzwischen und sagen es offen, dass der Punkt endgültig erreicht ist, an dem es ohne tiefgreifende Reformen nicht weitergeht.
Für das Bistum Mainz hat jetzt Bischof Kohlgraf das Bild vom „pilgernden Gottesvolk" aufgegriffen.
In seinem Hirtenbrief zur diesjährigen Fastenzeit hat er einen Reformprozess angekündigt.
Er wolle, schreibt der Bischof, „intensiv einen pastoralen Weg beginnen, der sowohl auf die gesellschaftlichen Bedingungen eingehen muss als auch auf die Frage, was die Menschen heute von der Kirche brauchen".
Was den ersten Teil des Satzes, die „gesellschaftlichen Bedingungen", angeht, liegen die Dinge recht klar auf der Hand:
Ungebrochen ist der Trend zum Kirchenaustritt. Sinkende Mitgliederzahlen und sinkende Kirchensteuereinnahmen, ebenso wie der Rückgang bei Priestern und überhaupt beim hauptamtlichen Personal, erzwingen eine Anpassung an die Realitäten.
Der „pastorale Weg" des Bischofs ist zunächst schlicht ein Strukturprozess, der, wie anderswo, nun auch im Bistum Mainz in Großpfarreien führen soll. Um eine Vorstellung zu geben: Aus den 30 Pfarreien in unserem Dekanat Mainz sollen am Ende 5 geworden sein.
Die Begeisterung für das Reformprojekt hält sich, wenn ich das richtig sehe, bislang noch sehr in Grenzen.
Ob der Funke zu einem wirklichen Aufbruch überspringt, wird sich wohl daran entscheiden, wie ernst der zweite Teil der „bischöflichen Wegbeschreibung" genommen wird, und ob er, wie es der Bischof sich wünscht, zum treibenden Impuls eines „geistlichen Weges" wird:
Ob nämlich die „Frage, was die Menschen heute von der Kirche brauchen" von einem wirklichen Interesse an denen getragen ist, die für sich und ihre Anliegen schon lange keinen Raum mehr in der Kirche sehen.
Lässt sich die Kirchenleitung, lassen sich die Gemeinden durch die „Anderen", am Rand des kirchlichen Lebens oder „draußen", ernsthaft in Frage stellen und herausfordern?
Das größte Hindernis auf dem pastoralen Weg zu und mit den Menschen scheint aber eine äußere Gestalt von Kirche, die von vielen geradezu als Zeugnis gegen das Evangelium wahrgenommen wird.
Sie sollte als „Zeichen und Werkzeug" die Gottesherrschaft verkünden, die Freiheit erschließt und Menschen verbindet. Und wird oft doch oft als letzter Hort einer Männer-und Klerikerherrschaft empfunden, an dem Menschen kleingehalten und ausgegrenzt werden.
Das mag oberflächlich und überspitzt und fürchterlich einseitig sein.
Dennoch gehören für eine Strukturreform, die sich wirklich von den Fragen der Menschen heute bewegen lässt und die mehr sein soll, als eine Anpassung und Verschlankung der Organisation, eben auch die Themen, die gerne verdrängt und zuständigkeitshalber nach Rom verschoben werden, angesprochen und diskutiert:
Frauenordination, Pflichtzölibat, Klerikalismus und Machtmissbrauch.
Soll das „pilgernde Gottesvolk" in die Spur Jesu zurückfinden, muss auch darum gerungen werden, Strukturen aufzubrechen, die der befreienden Botschaft, mit der die ersten Jüngerinnen und Jünger einst aufgebrochen sind, permanent widersprechen.
„Dieser Weg wird kein leichter sein. Dieser Weg wird steinig und schwer."
Kein Spaziergang.
Aber das war er nie.
„Ich bin", sagt auch uns heute der Herr, „ der Weg, die Wahrheit und das Leben".
Wo wir in seinem Namen aufbrechen, ist er, unerkannt, wie mit den Emmausjüngern, auch mit uns unterwegs, in unserem Fragen und Suchen, in unseren Zweifeln und auch wenn wir das Ziel noch nicht sehen.
Amen