13. Sonntag im Jahreskreis - Pfr. Stefan Schäfer
Liebe Schwestern und Brüder,
die kleine Erzählung aus dem Alltag des Propheten Elisha, die wir als Lesung gehört haben, schlägt ein Thema an, das sich durch die ganze Bibel bis ins Neue Testament hinein durchzieht:
das Thema der Gastfreundschaft.
Im Buch Genesis begegnet das Motiv zum ersten Mal:
„Bei der Eiche von Mamre, während er am Eingang des Zeltes saß, als der Tag am heißesten war" (Gen 18,1), sieht Abraham drei Fremde auf sich zukommen.
Wie er die drei Wanderer nun herbeikomplimentiert, sie zum Bleiben überredet, ihre müden Füße umsorgt, im Zelt verschwindet, um die alte Sarah auf Trab zu bringen, damit sie Kuchen backt und schließlich mit Kalbfleisch, Sauermilch und frischer Milch (eine Kleinigkeit nur hatte er anbieten wollen) die Fremden bewirtet, erweist er sich als vollendeter Gastgeber.
Um am Ende des Tages zu erfahren, dass in seinen Gästen Jahwe selbst ihm erschienen ist. Über der Gastfreundschaft, die er drei Fremden erweist, empfängt er neu die ersehnte Verheißung:
Sarah erhält die Zusage, über´s Jahr den Sohn zu gebären, auf den sie und Abraham ein Leben lang gewartet haben.
So erfüllt sich in dieser Abraham Geschichte, wovon viele Mythen zu erzählen wissen:
Im Fremden begegnet uns Gott
Unsere kleine Elisha-Lesung ist ein Echo dieser Urerfahrung. Sie klingt wieder auf im Neuen Testament: „Vergesst nicht die Gastfreundschaft", mahnt der Hebräerbrief die christliche Gemeinde, „durch sie haben manche schon Engel bewirtet und wussten es nicht."
Gastfreundschaft ist immer auch riskant. Sie war es in biblischen Zeiten. Und sie ist es heute. Sie ist ein Wagnis, denn man weiß ja nicht, wen man sich da ins Haus holt. Der Fremde, der Andere, der vielleicht eine andere Sprache spricht und anderen Werten folgt, ist eine Infragestellung und erscheint manchmal auch als Bedrohung.
Gerade darin aber eröffnet er die Chance der Gottesbegegnung:
Gerade weil der Fremde, der auf mich zukommt, eben fremd und anders ist, abgründig, wie Gott selbst und darin sein Ebenbild, ist er der mögliche Ort der Offenbarung Gottes, des Gottes, der nicht nach unserem Bild und Gleichnis gemacht ist, nicht von uns erdacht und der nicht taugt zum Schlussstein eines Lebensgebäudes, wie wir es von uns her entwerfen um uns darin einzurichten und es uns gemütlich zu machen.
Im Anderen, im Fremden, ahnen wir die Begegnung mit dem „Ganz Anderen", der uns zum Aufbruch ruft, zu einer größeren Hoffnung.
Wir leben heute in vielfacher Hinsicht in einer Welt der Fremden:
Da sind nicht nur die Flüchtlinge, die in unser Land gekommen sind oder die Religion des Islam, die uns so fremd geblieben ist oder der türkische Kioskbetreiber, bei dem ich meine Zigaretten kaufe, und von dem ich nicht weiß, nach welchen Maßstäben er sein Leben gestaltet.
Es gibt auch das Gefühl der Fremdheit im eigenen Leben, das unser moderner Lebensstil, der Zwang zur Mobilität, die Anonymität , hervorbringt.
Es gibt die Vielen, die schon lange nicht mehr in der Gemeinde zuhause sind, die „Kirchenfremden", die am Rand stehen oder sich ausgeschlossen fühlen.
Und auch wir selbst sind ja oft längst nicht mehr so in unserem Glauben und seinen Traditionen beheimatet, wie das vielleicht einmal selbstverständlich war und erfahren uns als Fragende und Suchende und manchmal wohl auch als Zweifelnde.
Auf dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen verstehen wir vielleicht besser, was eine von der Bibel inspirierte Gastfreundschaft bedeuten kann:
Für die ersten Christen war sie noch nicht, wie in späteren Jahrhunderten, eines der 7 „Werke der leiblichen Barmherzigkeit", eine private Übung, die dem Einzelnen überlassen ist. In den Anfängen der Christenheit war Gastfreundschaft vielmehr Ausdruck eines neuen, anderen Lebensstils, den die christlichen Gemeinden im Geist Jesu entwickelt haben.
Diese frühen Christen haben sich selbst immer auch als Fremdlinge in ihrer Welt und Umgebung gefühlt und verstanden, als Beisassen ohne Bürgerrecht, in Erwartung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, die ihnen erst endgültig Heimat sein würden. In dieser Hoffnung, in Sehnsucht und Erwartung, verstanden sie sich als Pilger in einem wandernden Gottesvolk.
Sie, die für sich keine „bleibende Stätte" sahen, luden einander ein.
Die frühe Kirche war eine Kirche „in den Häusern":
In der Gastfreundschaft, im Teilen von Freude und Hoffnung, Trauer und Leid dieses Lebens, hielten die Jüngerinnen und Jünger Rast auf dem Weg und erfuhren dabei jetzt schon etwas von der Gegenwart des Herrn, dessen endgültige Ankunft sie zugleich ersehnten und hörten seine Zusage: „Fürchtet euch nicht. Ich bin bei euch, alle Tage bis zum Ende der Welt" als Ermutigung und Ruf ins Vertrauen für das Weitergehen.
In seinem Römerbrief schreibt der Apostel Paulus seiner Gemeinde:
„Richtet euch nicht nach der Welt, sondern wandelt euch (. . .) um aus Erfahrung zu lernen, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige, Vollkommene, nehmt euch der Bedürfnisse der Heiligen an, pflegt die Gastfreundschaft" (Röm 12,13).
Eine sich am Willen Gottes erneuernde Kirche wäre demnach immer auch eine gastfreundliche Kirche:
Offen, katholisch, niemanden ausschließend, gastfreundlich für die auf so viele Weise Entwurzelten und Heimatlosen unserer Tage,
solidarisch mit ihnen in dem Bewusstsein, selbst niemals ganz in dieser Welt zuhause sein zu können, mit den Flüchtlingen und Vertriebenen in unserem Land ebenso wie mit denen, die auf andere Weise Halt und Orientierung suchen, nach einer Rast für ihre aufgeschreckte Seele, einem Ohr für ihre Fragen.
Sie mögen manchmal unbequem sein, diese Fremden. Sie stellen uns in Frage und stören uns auf.
Vielleicht aber bringen sie uns eine überraschende Erfahrung:
Die nämlich, dass auch heute im Fremden und Anderen der Gott begegnen kann, der uns in unserem Unterwegssein, dem Fragen und Suchen, immer schon nahe ist und der uns alle ruft, ihm entgegenzugehen, damit wir Wohnung und Heimat finden bei ihm.